Besprechung Mit anderen Augen

Besprechung
Mit anderen Augen


Alexandra Wach über „Mit anderen Augen – Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie“, Ein Kooperationsprojekt der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln und des Kunstmuseum Bonn, www.mit-anderen-augen.info, 25.2. – 8.5.2016

„Ich fotografiere mich, also bin ich“ könnte das Mantra des grassierenden Selfie-Booms sein, dem inzwischen selbst Museen und Institutionen wie zuletzt das Düsseldorfer NRW-Forum mit der Schau „Ego-Update“ meinen huldigen zu müssen. Was macht das aber mit der Porträtkunst aus der Hand von Foto-Profis? Dass sie kein hoffnungsloses Auslaufmodell ist, beweist die Doppelausstellung „Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie“ in Köln und Bonn. Sie erforscht das Thema unter dem Aspekt der Veränderungen, die das Genre durchgemacht hat, um in der kommerzialisierten Bilderflut von heute bestehen zu können. Die Ansätze reichen von dokumentarisch über seriell bis zu inszeniert. Neu formulierte Bildtraditionen finden sich neben dem Rückgriff auf die Eigenheiten der Amateurfotografie. Während die einen an die Aussagekraft des Porträts glauben, leugnen die anderen ihren Röntgen-Mythos.

Welche der Fraktionen nun Recht hat, spielt beim Gang durch die Ausstellungen keine Rolle. Ein facettenreicher Strom aus sozialen Realitäten, Künstlerbildnissen, dem Menschen als Material auf Fahndungsfotos oder narrativen Situationen zieht am Auge des Betrachters vorbei, wie etwa die Frau, die Wolfgang Tillmans den Rücken zukehrt, während an der Wand vor ihr zwei Gemälde hängen. Das Paar aus der Biedermeierzeit richtet den Blick scheinbar direkt in die Kamera. Immerhin machen diese beiden mit, denn die eigentlich Porträtierte verweigert sich mit einer Trockenhaube auf dem Kopf.

Wolfgang Tillmans_Domestic scene Remscheid

Wolfgang Tillmans, Domestic scene, Remscheid, 1991, C-Print; Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln

Noch mehr Zitate stecken in den Fotografien von Jitka Hanzlová. Wer 2011 die Berliner Blockbuster-Schau „Gesichter der Renaissance“ gesehen hat, bringt das nötige Rüstzeug mit, um sogleich die Tricks zu erkennen, mit denen sie in ihrer Serie “There is Something I Don´t Know“ operiert. Hell-dunkel-Kontraste dominieren etwa das Porträt einer nach links schauenden jungen Frau mit verschränkten Armen, die an Leonardos „Dame mit Hermelin“ erinnert. Nichts in dieser Komposition ist dem Zufall überlassen, weder die Pose noch das Bildformat. Das gilt auch für die anderen Jugendlichen, die Hanzlová auf der Straße gecastet hat und die so wirken, als kämen sie aus einem anderen Jahrhundert. Ein Lächeln sucht man vergeblich. Nachdenklich bis streng fixieren sie als Dreiviertelfiguren die Kamera und schauen doch so, als sei ihnen die 1958 geborene Fotografin bereits lange bekannt. Das könnte an ihrer eigenen Biografie liegen. In den 80er-Jahren ist sie aus der Tschechoslovakei ins Ruhrgebiet nach Essen geflohen. Die Erfahrung von Fremdheit treibt sie seitdem in ihren Porträts um. Behilflich ist ihr eine analoge Kamera. Hanzlová verbringt mitunter ganze Wochen im Labor. Solange bis die Farben die Dichte von Malerei ausstrahlen und das Innere der Porträtierten kraftvoll betonen.

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Jitka Hanzlová, Untitled (Hermelin) from „There is something I don’t know“, 2007, archival color pigment print on OBA- & acid-free, 100% cotton paper 51,7 x 38 cm © Jitka Hanzlová, courtesy Mai 36 Galerie, Zürich

Weniger zeitlos und stärker im Jugendmilieu verwurzelt sind die Bilder von Tobias Zielony. Der 1973 geborene Wahl-Berliner glaubt nicht an die Möglichkeit, die „wahre“ Persönlichkeit hinter der äußeren Fassade erfassen zu können. Er begnügt sich mit der Selbstdarstellung der Porträtierten, die zumindest etwas über ihre Wünsche und Sehnsüchte verrät. Seine Protagonisten findet er an sozialen Brennpunkten wie Knowle West in Bristol, Plattenbausiedlungen in Halle-Neustadt oder die Vorstädte von Marseille, wo er 2003 für die Serie „Quartiers Nords“ junge Männer beim „Rumhängen“ begleitete, in Situationen also, in denen er ihr ”Komplize“ war. Und doch gibt es kein Bild ohne denjenigen, der es macht. Er trägt natürlich auch seine subjektive Wahrheit im Gepäck. Zielony schafft den herausfordernden Spagat zwischen dem Authentischen und dem Inszenierten, Gesellschaftskritik und Glamour des Elends.

Annette Kelm_American_Portrait

Annette Kelm, American Portrait, 2007, C-Print; Courtesy: die Künstlerin und Galerie Johann König, Berlin

Im Bonner Teil der Doppelausstellung „Mit anderen Augen“, der sich mit etablierten Namen wie Thomas Ruff, Christopher Williams, Thomas Struth, Dunja Evers oder Annette Kelm der Vielfalt unterschiedlichster Ansätze widmet, erweist sich der 1982 geborene Jan Paul Evers als würdiger Kontrahent zu den Positionen von Hanzlová und Zielony. Er klopft seine Schwarz-Weiß-Kompositionen von gefundenem Foto-Material in der Dunkelkammer mit Vorliebe auf die möglichen Varianten ihrer Montage ab und erschafft so paradoxerweise Unikate. Für das Genre Porträt ist er seit einer Reise nach China entbrannt. Die Omnipräsenz von Mao-Bildnissen deutet er als Transfer westlicher Ikonografien der Macht. Grund genug, sich in den eigenen Gefilden auf den Spuren von Warhol an einem Familienporträt von Helmut Kohl samt Gattin und Schäferhund zu vergreifen. Die Bearbeitung des Motivs dient der Destillierung eines Images, das mit dem eigentlichen Charakter der gezeigten Personen kaum in Übereinstimmung zu bringen ist. Pikanterweise gehören dazu auch Porträts der Düsseldorfer Kunst-Mäzenin Julia Stoschek oder des Galeristen Hans Meyer, von dessen Sohn Max Evers vertreten wird. Katja Stukes geht noch einen Schritt weiter. Sie führt die Erwartungen an das Genre ad absurdum, indem sie Standbilder aus Londoner Überwachungskameras imitiert.

Jan Paul Evers_Ehepaar mit Hund

Jan Paul Evers, Ehepaar mit Hund, 2012, Silbergelatine-Abzug, 75,5 x 61,5 cm, Unikat, Copyright: Jan Paul Evers; Courtesy Galerie Max Mayer, Düsseldorf

Der zweite Teil in Köln fokussiert auf das Fortleben der unverwüstlichen Dokumentarfotografie. Mit von der Partie ist die in Hamburg lebende Bulgarin Pepa Hristova, Jahrgang 1977 und Mitglied der Agentur Ostkreuz. Sie spürte für ihre Serie „Sworn Virgins“ ausgerechnet im Norden Albaniens einen seltenen Fall der Gender-Verwirrung auf. Eine mündlich überlieferte Gesetzessammlung bietet Familien, die kein männliches Oberhaupt vorweisen können, ein Schlupfloch, das noch aus dem Mittelalter stammt: eine Frau aus der Verwandtschaft darf die Rolle der Stellvertreterin für den nicht selten durch Blutrache beseitigten Patriarchen übernehmen. Dafür zahlt sie einen hohen Preis. Sie muss Jungfrau bleiben. Im Gegenzug ist ihr nicht nur der Respekt der Sippe sicher. Sie erhält auch den privilegierten Status der Männer, was offenbar im Laufe der Jahre auch zu einer körperlichen Verwandlung führt. Die Frauen tragen nicht nur Männerkleidung und schneiden ihre Haare kurz. Selbst ihre Gesichter haben jeglichen femininen Zug verloren. Hristova hat die Mann-Frauen in einer archaisch anmutenden Umgebung aufgenommen und damit dieses soziale Phänomen noch kurioser erscheinen lassen. Glücklich wirken sie in ihrer Nische zwar nicht. Aber in der traditionellen Rolle der Frau-Frau wäre ihr Leben wohl noch mehr Restriktionen unterworfen gewesen.

QAMILE (86) was the youngest of nine girls and was already spending her time with the men of the village at the age of nine. From that moment on, she grew up as a son. As the only man in the family, she inherited her childhood home after her parents died. She was known as "Grandpa Qamile," but over the years, the woman inside her resurfaced. Her movements became more graceful, her features softer. Qamile died in 2011.

Pepa Hristova „Qamile 1“, aus der Serie Sworn Virgins, Albanien 2008–2010 © Pepa Hristova

Eine Erfahrung, die sich auch in den Bildern des Südafrikaners Pieter Hugo erschließt. Schauplatz der Serie „Permanent Error“ ist die weltweit größte Müllkippe für Elektroschrott in Ghana, in der sich die Kehrseite unseres beschleunigten Geräteverschleißes spiegelt. Junge Männer suchen zwischen den entsorgten Computern und Kühlschränken nach Rohstoffen und nehmen eine Verseuchung durch Giftstoffe in Kauf. Ein apokalyptischer Ort, der keinerlei Zugang zu der im Westen viel beschworenen Partizipation bietet. Von Albanien und Accra ist es nach Afghanistan nicht mehr weit. Der 1966 geborene Mark Neville kann einen Abschluss am renommierten Londoner Goldsmiths´ College vorweisen. Als offizieller War Artist folgte er 2010 den britischen Truppen in das bis heute im Chaos versinkende Land. Er ging mit den Soldaten zwei Monate lang auf Patrouille in der Provinz Helmand und begleitete sie auch bei der Entschärfung von Sprengfallen. Immer wenn ein Afghane seinen Weg kreuzte, verglich er sein Alter mit dem der auffällig jungen Briten. Für seine Serie „The Helmand Work“ nahm er beide Parteien ins Visier und schaffte in den Farbporträts eine Nähe, die vor Ort, wo Kategorien wie Freund und Feind der Unschärfe anheimfallen, zwischen den Kindern und Jugendlichen eigentlich nicht möglich war.

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Jerry L. Thompson „Williamsburg, Music Hall stage door, 05.06.2013“, © Jerry L. Thompson

Um wie viel entspannter wirken da die Altersgenossen, die Jerry L. Thompson, einstiger Assistent von Walker Evans, auf der Straße aufgenommen hat. Das Abenteuer des Heranwachsens zeigt sich in der Lust am Zeigen der Tattoos, Anti-Kriegs-T-Shirts und blauen Haarmähnen, der verzweifelten Suche nach Individualität innerhalb des Schutzraums einer Jugendkultur. Die Figur im Vordergrund ist von der Welt abgeschieden und doch mitten drin. Eine objektive Syntax trifft auf Emotionen, die zwischen Stolz und Unsicherheit schwanken, jenseits von Posen, die bei Erwachsenen längst zur zweiten Natur geworden sind. Das gilt auch für die Porträts des Japaners Hiroh Kikai. Im Tokioter Stadtteil Asakusa nahm er über Jahre Passanten vor einer Tempelwand auf. Die Menschen kamen und gingen. Der Ort blieb der gleiche. Im Zeitalter der digitalen Vervielfachung sämtlicher Lebensbezüge sorgen diese stillen Arbeiten für ein anderes Album der Intimität. Es sind geduldige Studien der Selbstvergewisserung, die das Anekdotische weit hinter sich lassen.

Artikelbild: Clegg & Guttmann, Group Portrait of Bundesministers, 2000, 113 x 169 cm; Courtesy Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln


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