Lippenstift und Schere auf Papier

Lippenstift und Schere auf Papier


Běla Kolářová und Lucie Stahl im Kölnischen Kunstverein, bis 29. Mai

 

Das Benutzen von alltäglichen Objekten in ihren Arbeiten und das technische Verfahren, mit dem sie ihre Arbeiten herstellen, ist diesen beiden Künstlerinnen gemeinsam, sonst aber auch nichts.

Weder das Alter, Kolářová starb im vorigen Jahr im Alter von 87 Jahren in Prag, Stahl ist 1977 in Berlin geboren und lebt in Wien, noch die Art, wie sie sich der Wirklichkeit nähern, noch die Wirkung ihrer Arbeiten. Die Arbeiten von Kolářová sind still, zurückhaltend, formal exakt gelöst. Die Arbeiten von Stahl sind eher vordergründig, scheinen unkontrolliert zu sein, im Vergleich zu Kolářová schreiend. Doch wer ist Kolářová, die mit 87 Jahren starb, ohne eine nennenswerte Ausstellung vorweisen zu können?

Eine Fotografin, die, nachdem sie den Satz „Die ganze Welt ist bereits fotografiert“ gehört hatte, keine mehr sein konnte. Daher beginnt sie Anfang der 60er Jahre Gegenstände, die der Vergänglichkeit unterworfen sind, wie Bohnen, Samen oder Blätter direkt auf Negativ abzulichten. „Künstliche Negative“ nennt sie diese Arbeiten. In Köln ist ein wunderbarer Lichtabdruck von beschwingten, flauschigen Samen des Löwenzahns aus dem Jahre 1972 zu sehen. In solchen Bildern klingt noch der Lyrismus der tschechischen Fotografie wie man ihn aus den Arbeiten der tschechischen Fotografen František Drtikol und Josef Sudek kennt.

Diese Experimente führen Kolářová zum Licht. Sie lässt das Licht direkt aufs Fotopapier wirken. In Köln eröffnen die Ausstellung gleich drei „Röntgenograme“ von 1962/63, wie Kolářová ihre Experimente nennt, die mal exakte Kreise zeigen, mal die Kreise in diffusen Wirbeln auflösen lassen. Mit diesen minimalistischen Malereien setzt sie die formale Reinheit fort, die die tschechischen Fotografen Jaroslav Rössler und Jaromir Funke von Anfang des 20. Jahrhundert zur Weltspitze zählen lässt, gleichzeitig nimmt sie die Lichtexperimente eines Wolfgang Tillmanns vorweg.

Das Licht bringt Kolárová wieder zur Fotografie. Sie will das Licht und den Schatten fotografisch festhalten. Aufnahmen von Gegenständen des Alltags und ihr Schatten folgen. „ABC der Dinge“ nennt sie ihre Serie von 1964, die in ihrer nüchternen Sachlichkeit einmalig ist. Doch bald reicht ihr die Fotografie nicht mehr, der Schatten soll real werden: Seit 1964 reiht sie daher physische Gegenstände wie Verschlüsse, Sicherheitsnadeln, Scheren oder Klammern auf weißen Blätter zu Mustern. Rasterbilder, die mit Lippenstiften gezeichnet sind, kommen später hinzu. Damit bleibt sie dem banal Alltäglichen, das sie immer radikaler als eine serielle Wiederholung des stets Gleichen darstellt, bis zu ihrem Tod treu. Hier fällt vor auf, dass ihre Gegenstände allesamt einem auf Haushalt orientierten Kosmos der weiblichen Welt entnommen sind. Bereits Anfang der 60er Jahre – erstaunlich früh – führt sie diese weiblich bestimmten Gegenstände in die Kunst ein.

Kolářovás subtile, kleinformatige Arbeiten werden im Kölnischen Kunstverein dem Werk der jungen Künstlerin Lucie Stahl gegenübergestellt. Auch sie widmen sich den Gegenständen des weiblichen Alltags wie Stiften, Wäscheklammern, Frauenmagazinen. Auch sie sind direkte Abdrücke der realen Gegenstände, die auf einen Scanner, zusammen mit sarkastischen Kommentaren der Künstlerin gelegt, dann abgelichtet und als abgelichtete Blätter in eine durchsichtige Masse aus Plastik zu Tafeln gegossen werden. Pornographische Anspielungen und vulgäre Ausdrucksweise sind keine Seltenheit in ihren Tafeln, die viel größer als die Fotos Kolářovás, bunter und schriller sind. Die Texte sind oft Fußnoten zum aktuellen Geschehen innerhalb der Kunstszene und nicht immer einfach zu entschlüsseln. Daher die durchaus berechtigte Sorge, ob diese Tafeln nicht zu sehr die stillen und feinen Arbeiten der tschechischen Künstlerin dominieren? Das wäre schade, zumal diese bisher umfangreichste Ausstellung ihrer Arbeiten zeigt: als Künstlerin ist Kolářová origineller und vor allem vielseitiger als ihr Ehemann Jiři Kolář. Dass er weltberühmt wurde während sie ihr Leben in seinem Schatten verbrachte, gehört auch zu den Banalitäten des weiblichen Alltags.

Noemi Smolik


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