Besprechung
Isa Genzken


Irritation als Methode – Magdalena Kröner über „Isa Genzken. Modelle für Außenprojekte“ in der Bonner Bundeskunsthalle, bis 17. April 2016

Es war wieder mal ein ziemliches Spektakel: Ein Lastwagen mit einem sehr langen Anhänger hielt vor ein paar Tagen an der Ecke West 60th Street und 5th Avenue am Eingang des New Yorker Central Park. Ein ganzer Trupp Männer lud behutsam zwei stählerne, weiße Orchideen von Isa Genzken aus; Kräne hievten sie in die Höhe: zwei surreale, erste Frühlingsboten, elf und neun Meter hoch, die alles um sie herum zur Miniatur schrumpfen lassen.

Die frisch aufgestellten Orchideen, im letzten Jahr bereits auf der Biennale Venedig präsentiert, sind nun im kleinen Format in Bonn zu sehen.
Die Bonner Bundeskunsthalle zeigt eine Zusammenstellung von Modellen aller bislang für den Außenraum konzipierten Projekte Isa Genzkens. Hier läßt sich der Einschlag eines stets unberechenbaren Werkes ins Reale erstmals vollständig nachvollziehen; die Reibung aus Idee und Wirklichkeit, und die Spannung, die daraus entsteht. Man begreift etwas von der Genauigkeit, mit der die mittlerweile 67-jährige Künstlerin den Außenraum betrachtet; das, was in diesem bereits existiert, und was in diesem existieren könnte.

Als an gleicher Stelle vor einigen Jahren die Architektur-Modelle Thomas Schüttes gezeigt wurde, war das vor allem ein Spiel mit Utopien: eine Fülle von Entwürfen, die Skizzen blieben, weil es in ihnen um das Inszenieren von Phantasien ging. Schüttes Häuser waren wie ein Rumpeln im Bauch des Architekten, ein Reigen schräger Ideen, bei denen es konstituierend war, dass diese nie realisiert wurden. Sie funktionierten wie Lockerungsübungen zum Arbeiten in Stahl und Bronze, zum Erhabenen und Staatstragenden in Schüttes Werk.
Isa Genzkens Modelle sind ausnahmslos in Bezug auf ihre Realisierung in sehr unterschiedlichen Stadträumen hin gedacht. Sie zeigen nicht zuletzt, wie gut es der Künstlerin gelingt, immer wieder gegen das System zu arbeiten. Da, wo übermäßige Bedeutungsschwere ein unvermeidlicher Teil der Arbeitssituation zu sein scheint, wie bei ihrem Beitrag „Oil“ zur Venedig-Biennale von 2007, arbeitete sie instinktiv dagegen und wickelte den deutschen Pavillon in orangefarbene Gitterfolie aus Plastik ein, als würde hier während der Biennale, mitten in den Giardini gebaut.

Die Schau zeigt auch, wie wenig es Isa Genzken zulässt, dass die profaneren Fragen von Statik und Materialeigenschaften, Problemen mit Verschmutzung und öffentlicher Akzeptanz ihre Ideen in irgendeiner Weise einschränken. Genzken macht das Provisorische, Ungefestigte zur Methode. Sie begegnet urbanen Situationen vorzugsweise mit Gesten und Material, die allem zuwiderlaufen, was der Raum zu fordern scheint, so etwa mit Sonnenschirmen, Puppen, Kinderwagen oder Blumen, die sie an die Seite von etwas Monolithischem stellt, wie der Münsteraner Kirche Unserer Lieben Frauen, dem New Yorker New Museum oder dem Münchener Lenbachhaus. Genzken braucht und sucht, anders als etwa der Weltmöblierer Anish Kapoor, nicht immer die ganz große Bühne. Pathos ist ihr grundsätzlich unangenehm. „Ich will mit meinen Skulpturen keinen Raum wegnehmen. Ich gebe Raum dazu,“ nennt sie es.

Genzken weigert sich beharrlich und erfindungsreich, Erwartungen paßgenau zu erfüllen; zu tun, was von ihr erwartet wird. Das macht die Schau so sehenswert, scheinen doch Arbeiten für den öffentlichen Raum, wie kaum eine andere Gattung der Kunstausübung, den Vorgaben und der Willkür von kommunalen Auftraggebern und Bauherren zu unterliegen. Jeder, der schon mal in einer Jury für ein solches Projekt saß, weiß, wie schnell ungewöhnliche Ideen von den Bedenkenträgern in einer solchen Runde gekippt werden können. Um so besser, dass in Bonn auch die nicht realisierten Projekte gezeigt werden.
Genzkens Ideen reiben sich so respektlos und zugleich spielerisch an der Umgebung um sie herum, dass man sich bei jedem Entwurf, der nicht realisiert wurde, fragt, wie das passieren konnte.

Warum wurden die zwei Antennen niemals Wirklichkeit, die sie dem postmodernen New Yorker AT&T Gebäude von Philip Johnson aufpflanzen wollte? Warum sind zwei zwölf Meter hohe Pappeln, gefertigt aus Industrieschrott, nie im Brüsseler Hafen aufgestellt worden? Warum spannt sich ihre wunderbare „Wäscheleine für Frankfurt“ nicht zwischen den Hochhäusern der Commerzbank und der Hessischen Landesbank?
Über ein Projekt wird gegenwärtig noch entschieden: Wenn man sich Genzkens Vorschlag für die Skulpturprojekte Münster 2017 anschaut, kann man nur hoffen, dass „Sonic The Hedgehog“, der blaue Igel, den sich Genzken bei den aufblasbaren Comicfiguren der New Yorker Macy’s Parade abgeschaut hat, im nächsten Jahr schwerelos durch Münsters Straßen treiben wird.

Und wenn diese Künstlerin sich, und sei es nur für das Vergnügen der eigenen und unserer Vorstellungskraft, des New Yorker Ground Zero annimmt, dann markiert das den stärksten Moment der Ausstellung. Wo man jahrelang vehement um eine Möglichkeit angemessener Erinnerung stritt, und heute der nichtssagende Büroturm von Daniel Libeskind und David Childs die Südspitze Manhattans dominiert, entwickelt Isa Genzken in Collagen und einem Film ihre ganz eigenen „Freedom Towers“: Bäume aus Antennen, Türme mit wirbelnden Tape-Streifen wie Zuckerstangen, riesiges Geschenkpapierband, das in der Luft flattert. Nun kann man sich zumindest vorstellen, wie unerhört und unfaßbar das hätte sein können.


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