Benjamin Zuber & Daniel Kiss
Keep Your Balance – Ellen Wagner über „Crooked Horizons“ im KunstWerk Köln e. V., 28.2.-19.3.2016
Daumen hoch, Herzchen links, Küsschen rechts, die geballte Faust und dann ein Konfettiregen. Emoticons, wie wir sie auf Twitter, Facebook & Co. verteilen, decken ein breites Spektrum an Befindlichkeiten ab. Neben Smileys und Herzchen laden auch kleine Bilder von Alltagsgegenständen, die für bestimmte „emotionale“ oder „erlebnishafte“ Momente stehen, kurze Mitteilungen atmosphärisch auf. Für jede Situation im Rahmen einer sozialen Interaktion, scheint es den passenden „Sticker“ zu geben, der mit nur einem Fingertippen „aufgeklebt“ ist. Emoticons, ob lose verstreut, bewusst gesetzt oder nachdrücklich gehäuft, schenken Zuwendung und werben selbst um Aufmerksamkeit.
Auch in Crooked Horizons von Daniel Kiss (*1984, Köln) und Benjamin Zuber (1982, Berlin) wird man mit Botschaften nach Art der Emoticons bedacht, oder, in der Facebook-Sprache: „angestupst“. Der Großteil des Raums wurde installativ mit übermannshohen Cut-outs aus Sperrholz und handgeschöpften Papieren von Daniel Kiss bestückt. Die „geselligen“ Motive der Cut-outs, die zwischen bunt besprühten Plastikfolien gediegenes Baustellenflair verbreiten, entstammen ebenfalls sozialen Netzwerken: Weingläser und Flaschen, lodernde Feuerstellen, ein ganzes Bündel Pfeile, ein Herz und an der Wand ein kleiner Haken. Wer seine Facebook-Kontakte pflegt, weiß, was das bedeutet: „Gesehen“ erscheint neben einem Häkchen unter gesendeten Nachrichten, sobald der Empfänger das Fenster mit der „Unterhaltung“ aufgerufen hat.
Tatsächlich zeigen sich Kiss’ Objekte recht gesprächig: Am Boden vor und auf ihnen wurden kleine schwarze Buchstaben ausgelegt, wie rasch getippte Mitteilungen: „give“, „go“ und „our path“ ist da zu lesen, und man fühlt sich irgendwie adressiert, ohne zu wissen, zu was genau man angespornt werden soll. Auch die handgeschöpften Papiere tragen Schriftzüge. Sie erinnern an Motivational Mantras, wie sie in den Social Media kursieren: Lebensweisheiten, die helfen sollen, niemals aufzugeben, im Sport, im Job, in der Liebe wie in der persönlichen Entwicklung generell. Oft sind die Sprüche vor stereotype Hintergrundatmosphären gesetzt, wie einen Sonnenuntergang oder einen Bergsteiger in der Felswand. Kiss jedoch präsentiert keine perfekten Hochglanzbilder, sondern lose Buchstabenketten auf groben Papierlappen. Die rauputzartige, recycelt wirkende Materialstruktur und die kryptischen Worthülsen geben keine griffigen Ratschläge, die auf konkrete Lebenssituationen anwendbar wären. Stattdessen werfen sie die Frage auf, inwiefern sie überhaupt eine tiefere Bedeutung für unser Leben entfalten könnten.
Eine unregelmäßig geformte Papierarbeit in Anthrazit hängt etwas schief im Raum und sieht aus wie mit bunten Zuckerstreuseln dekoriert. Sie erinnert an ein buntes Drip-Painting – und ist tatsächlich eines: Das Blatt entstand durch das Übereinandergießen gefärbter Papiermassen, in einem Prozess, der trotz konzentrierter Ausführung nie ganz kontrollierbar ist. Mit weißem Papierbrei wurden Buchstaben in das geschöpfte Bild hineingemalt: L, U, C, I, D, I, T, Y – die Klarsicht die einen etwa im Schlaf überfällt, wenn man merkt, dass man träumt und plötzlich eine ganz neue Perspektive auf das eigene Leben als im Wachzustand erhält.
Wie eine Traumsequenz wirkt auch Benjamin Zubers Video, das einen am anderen Ende der Halle erwartet. Hier treten Kiss’ schablonenhafte „Emoticons“ als Requisiten und Hauptdarsteller zugleich auf. Sie werden bedeutungsvoll auf Stativen dargeboten oder vom leeren Umriss einer menschlichen Gestalt in einem labyrinthischen Parcours umhergetragen. Kiss hat Zuber das Nutzungsrecht an seinen Objekten eingeräumt – im Wissen, dass seine Arbeiten dadurch als bloß dienende Kulisse wahrgenommen werden könnten, und im Vertrauen darauf, dass sich analoge Skulpturen und digitale Oberflächen auf Augenhöhe begegnen. Der Dialog ist geglückt: Im Video poliert Benjamin Zuber die Objekte auf, ohne sie völlig zu glätten. Teils treten die Formen im Negativ auf und geben den Blick auf hinter ihnen befindliche Stoffbahnen frei, wodurch sie selbst verhüllt wirken und kokett zwischen den Bildgründen wechseln.
Die surreale Atmosphäre lässt vertraute Symbole aus digitalen wie analogen sozialen Netzwerken fremd werden. Das „Teilen“ persönlicher Bildobjekte ist ein Hauptthema der Ausstellung. Von hier aus ergeben sich Verbindungen zu unterschiedlichen Formen des Kommunizierens und Komponierens in unserem täglichen Umgang mit Dingen, Menschen und deren – auch künstlerischen – Äußerungen. Jede unserer Reaktionen, mit Kommentaren, Likes und Aneignungen, ist ein formender Eingriff und kostet Energie. Dies gilt nicht nur im Bezug auf die Kooperation der beiden Künstler, sondern auch für die Ausstellungsbesucher. Denn auch wenn man nach einiger Zeit alles „gesehen“ und „abgehakt“ hat, hat man keine Chance, unmittelbar zu antworten – zumindest nicht mit einer schnellen Kurzmitteilung an ein klar definiertes Gegenüber. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, sich zwischen den Versatzstücken zu bewegen und zu den Dingen und Personen im Raum zu positionieren. Es ist wohl kein Zufall, dass das Motiv der Weinflaschen den Bezug zu genau dem sozialen Netzwerk herstellt, in dem man sich in einer Ausstellung – besonders während der Eröffnung – befindet: Weinflaschen verkörpern das savoir vivre, auf Partys, im Restaurant oder eben auf Vernissagen. Man kennt sie aus kubistischen Stillleben, die das „alltägliche“ Künstlerleben im Atelier oder im Café, zwischen inspirierender Isolation und anregendem Austausch, ins Bild holen.
In Crooked Horizons bestimmen die eng am Klischee vorbeischrammenden Figuren als überdimensionierte, aber zugleich abgeflachte und abgenutzte Erscheinungen den Raum. Vollendet wird die harmonische Tristesse durch die Soundkulisse einer klagenden Oboe, die in wechselnder Lautstärke Tonleitern durch den Raum schweben lässt. Verhalten raschelt dazu eine Abdeckplane.
Crooked Horizons verunsichert sanft und leise und bleibt dabei selbst an jeder Stelle perfekt ausbalanciert. Die Ausstellung ist in Form – so gut, dass man sich selbst im Vergleich etwas frühjahrsmüde fühlt. Doch auch dafür bietet sie die Lösung: Überall im Raum sprießen Fotografien von Salatköpfen, so grün, dass man sie am liebsten von der Wand ernten und zu einem Greensmoothie pürieren möchte. Entschleunigt durch den hypnotisierenden Klang der Oboe verlässt man die Ausstellung wohl nicht unbedingt energiegeladen, vielleicht aber doch mit dem Vorhaben zum Zurücksetzen und Reaktivieren der ein oder anderen persönlichen Netzwerkverbindung.
Ellen Wagner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach a. M. am Lehrstuhl für Kunstgeschichte.