Uri Aran

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Keine Angst vor Mäusen – Harald Uhr über Uri Aran „Mice“ im Kölnischen Kunstverein, bis 27.3.16

„Wer bist Du wirklich? ist die Frage, die der Wurm dem Apfel stellt, während er sich durch ihn hindurchbohrt. Ein angenagter Kern mag die Mitte sein, aber ist er die Wirklichkeit?“ Margaret Atwood

Lässt man sich darauf ein, über die Ausstellung von Uri Aran im Kölnischen Kunstverein zu schreiben, tappt man bereits in die Fallen des Künstlers, denn es bedeutet in erster Linie Sprache, Wörter, Begriffe für etwas zu verwenden, was sich diesem Medium eigentlich zu entziehen versucht. In gewisser Weise stellt die Ausstellung selbst so etwas wie einen Sprachfindungsprozess dar, nur benutzt sie hierzu alles nur erdenklich mögliche, auch Satzfragmente oder Wortfetzen werden bemüht, jedoch eher um einen Zustand vor der Sprache, eine Art Protosprache zu umreißen. Demnach würde gleichermaßen auch die Bezeichnung ‚Sprachverhinderungsprozess‘ zutreffen können, um die Vorgehensweise Arans zu charakterisieren. Beides ist möglich, beides hilft aber nur bedingt weiter, daher müssen wir uns wohl oder übel in das Jammertal der Beschreibung begeben, um eine Annäherung zu versuchen, die eben diese These unterfüttern könnte, wohl wissend, dass wir dabei immer wieder an die Grenzen der Benennung stoßen werden. Der Künstler setzt dabei auf Kontingenz und versuchsweises Handeln, weiß er sich doch durch die Erkenntnis Walter Benjamins bestätigt, es gäbe kein Geschehen oder Ding weder in der belebten noch in der unbelebten Natur, das nicht in gewisser Weise an der Sprache teilhätte. Bereits die Zusammenfügung heterogener Materialien, vorgefundene genauso wie bearbeitete Dinge, schafft eine Dialogsituation und wiedererkennbare Formen, bei Aran vor allem etwa der Kreis und die Kugel, als Signet einer beweglichen Deutungsoffenheit, können Erzählstränge auslegen.

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

Nahezu alles kann als sprachliche Äußerung gewertet, oder einer Sinnsuche unterworfen werden. Für die Kölner Ausstellung seiner älteren und neueren Arbeiten hat der 1977 in Jerusalem geborene Künstler sich zusätzlich in besonderem Maße von der Architektur des Hauses, einem Juwel der 50er Jahre, inspirieren lassen und den Raumfolgen einen sprechenden Subtext unterlegt. Uri Aran, der vor seinem Kunststudium in New York zunächst in Israel eine Ausbildung als Gestalter und Typograph absolvierte, hat die Kölner Präsentation dezidiert als Einrichtungsaufgabe angenommen und den jeweiligen Räumen eine eigene Bestimmung zugewiesen. Im Entreebereich und im Treppenhaus stoßen wir an verschiedenen Stellen der Wände auf rätselhafte Reihen von oxidierten, vielleicht ausgegrabenen Klingenrohlinge. Sie scheinen Botschaften aus fernen Zeiten in Schriftzeichen zu vermitteln, die wir nicht mehr verstehen.

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

In der Ausstellung kommen fast alle nur denkbaren Gattungen zum Einsatz. Wir stoßen auf Malerei, Zeichnung, Skulptur, Collagen, Film, Musik, Schrift. Alles wirkt jedoch mehr angedeutet, weniger perfektioniert. Die Malerei bietet eher ein Zeichen für Malerei, die Skulptur erweckt einen notdürftig zusammen gebastelten Eindruck, ein labiler, unabgeschlossener oder einer Veränderung gegenüber aufgeschlossener Zustand kennzeichnet nahezu alle Formen. Dominiert wird die Ausstellung von einer Gipsskulptur, die sich als eine Art Spieltisch über eine Länge von mehr als zwanzig Metern erstreckt und einen Raumteiler bildet. Die Tischoberfläche ist mit einem dichten Raster von halbkugelförmigen Vertiefungen übersäht. Unzählige Murmel- und Hundefutterähnliche Gebilde könnten als Spielsteine fungieren. Bezeichnenderweise sind die Besucher tatsächlich aufgefordert, dieses Spieleangebot zu nutzen, eine entsprechende Anleitung wird jedoch nicht geliefert. Auch hier erweist sich die Parallele zur Sprache: Ein Spiel, welches man gelernt hat zu spielen, lange bevor man die Regeln erklärt bekommt. Die Vertiefungen des Spieltisches wurden durch ein aufwendiges Verfahren beim Guss des Tisches durch eingelassene Früchte und Obst erzielt, womit sich auch die Assoziation an ein Saatfeld einstellen könnte – die Spielsteine würden sich dann in entsprechendes Saatgut verwandeln. Ein wie auch immer gearteter Ernteertrag wird für die Zukunft in Aussicht gestellt. Hier befinden wir uns demnach im Gemeinschaftsraum der Ausstellung. Als potentielle Spieler können wir uns zu Mannschaften zusammenschließen oder dem Spielbetrieb beiwohnen. Bezeichnenderweise zeugt auch die übergroße Tischskulptur davon, dass sie nur mit einem Team, einer Gemeinschaft, gebaut werden konnte.
In der Flucht der Tischskulptur liegt ein verdunkelter Raum mit einer Großprojektion. Auf der Leinwand läuft als Endlosloop der Kinofilmabspann der Hollywoodproduktion ‚Der schwarze Hengst‘ (The Black Stallion) aus dem Jahre 1979 mit einer elegischen Musik von Carmine Coppola. Thema des Films ist die innige Beziehung eines Jungen zu einem Pferd. Der Abspann zeigt die beiden an einem Meeresstrand im vertraulichen Umgang miteinander. Die Kommunikation kommt ohne Worte aus und wird durch Gefühle vermittelt. Unser Verhältnis zu Tieren wird auch an anderen Stellen der Ausstellung thematisiert. Auf einem Monitor sehen wir den Künstler Tränen vergießend und einen Hund umschlingend. Im Obergeschoß tönt eine Stimme aus zwei Lautsprechern und listet, gemäß landläufiger Klischees ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Tiere auf. Auch der Titel der Ausstellung ‚Mäuse‘, darf hier natürlich nicht unerwähnt bleiben. Aufgerufen wird in jedem Fall ein je spezifisches Verhältnis, welches der Mensch vor allem auch emotional, zu den Tieren unterhält.

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

Im Raum unter dem Dach ist ein Bilderkabinett mit Blick auf die Dachterrasse eingerichtet. Auf den ersten Blick wirken die Malereien an den Wänden, als würden sie noch der Entstehungszeit des Gebäudes entstammen. Sie stellen eine Spielart der Abstraktion dar, wie sie uns aus der informellen Malerei der 50er Jahre bekannt erscheint. Ton in Ton, vornehmlich braun, beige, schwarz gehalten, rufen sie Anklänge etwa an Wols oder Fautrier hervor und scheinen mit einer Patina aus deren Epoche behaftet. Eine Malerei im Spannungsfeld von Formauflösung und Formwerdung aus einer Zeit, wo die Malerei ihr ureigenstes Vokabular neu erforschte. Ob damit eine gezielte oder bewusste Reminiszenz an besagte Bildersprache gemeint ist, muss offen bleiben. Zumindest scheint nicht dem Bedürfnis nachgegangen zu werden, uns nie gesehene Bilder zu präsentieren. Die Hängung wirkt dezidiert harmonisch und stellt die Konventionen des Kunstsystems nicht in Frage. Am entgegengesetzten Ende, im Untergeschoß des Hauses ist ein Hobbykeller in Form einer Druckwerkstatt eingerichtet. In diesem Refugium des Bastlers hat man selten Besuch und daher kann es schmuddelig zugehen. Unaufgeräumt, weil die Arbeit augenscheinlich nur kurz unterbrochen wurde, erhält man Einblick in handwerkliche Herstellungsprozesse und vermeint, dem Künstler dabei über die Schulter schauen zu können. Fehlt noch der Kinosaal. Er ist und bleibt ein Kinosaal denn es wird ein Film gezeigt. Die Filmcollage mit gefundenen und selbst gedrehten Aufnahmen greift einige Themen und Motive der Ausstellung auf. So richtet der Künstler die Kamera auf einen Freund in seiner Wohnung, der in nüchtern sachlicher Sprache die Entwicklungsschritte von der Kindheit zum Erwachsenen beschreibt. Bewusstwerdungsprozesse und die Bedeutung der Sprache kommen auch hier zu Tragen. Tieraufnahmen mit Haien wechseln sich ab mit alten Aufnahmen einer Kinderballettaufführung und einem BMX-Fahrradparcours für Kids in den Londoner Docks.

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

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Uri Aran, Mice, Installationsansicht, Kölnischer Kunstverein 2016. Photo: Simon Vogel

Als Substrate seiner künstlerischen Vorgehens eines kalkuliert reflektierten Spiels mit offenen Systemen und Möglichkeitsformen können die Objektassemblagen gewertet werden, die Uri Aran in diversen selbstgefertigten Vitrinen in der Ausstellung verteilt. Allerlei Dinge, von denen nicht ganz klar ist, ob sie einen Namen haben, finden sich darin. Graue Halbkugelformen, textile Bömmel aber auch vergilbte Passfotos und Pizzakartons tauchen in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder auf. Das Aufspüren von formalen Verwandtschaften und unterschwelligen Sinnbezügen kennzeichnet über weite Strecken das sich tentakelartig verzweigende Werk. Die Sprunghaftigkeit des spekulativen Denkens korreliert dabei mit einer künstlerischen Strategie des Eindeutigkeitsverzichts. Uri Aran verleiht den Dingen und Undingen die Antriebsgeschwindigkeit von Gedanken, die Exponate kommen dabei als rhetorische Attrappen und als spekulatives Chaos zum Einsatz. Jetzt also könnten wir mit den eigentlichen Fragen beginnen s.o..


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