Gewagt persönlich

Gewagt persönlich


Noemi Smolik über Andrea Fraser im Museum Ludwig, bis 21. Juli 2013

„Oddly anachronistic, even nostalgic“ schrieb der Kritiker James Trainor vor 10 Jahren in der frieze anlässlich zwei New Yorker Galerieausstellungen von Andrea Fraser. Was war mit der Institutionskritik passiert? Welche Relevanz hatte sie überhaupt noch angesichts veränderter, sich nun selbst kritisch hinterfragender Museen? Der von James Mayer in einem Essay eingeführte Begriff der „institutional critique“ hatte sich als fester Bestandteil des internationalen Kunstgeschehens etabliert. Sein Essay begleitete 1993 eine Ausstellung in der heute schon legendären New Yorker Galerie „American Fine Arts“ und bezog sich auf die Kunst von Reneé Green, Marc Dion und Andrea Fraser. Mayer meinte, dass ihnen, bei aller Unterschiedlichkeit der künstlerischen Praktiken, die Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinstitutionen und ihren gesellschaftlich politischen Verwicklungen und Verstrickungen gemeinsam seien. Er sah diese Entwicklung nicht als etwas völlig Neues, begann sie doch bereits in den 1960er und 70er Jahren, als sich Künstler wie Hans Haacke und Marcel Broodthaers der Frage nach den Voraussetzungen des Museums zuwandten. Für diese Künstler war das Museum Ausgangsmaterials ihrer Kritik, bei ihrem Vorgehen spielte geschickte Strategie eine wichtige Rolle.

Seit Anfang der 1990er Jahre erweitert Andrea Fraser mit ihren Aktionen entscheidend die Strategien der institutionellen Kritik. Nun sind ihre Aktionen in einer Einzelausstellung im Museum Ludwig zu sehen, die ihr anlässlich des Wolfgang-Hahn-Preises ausgerichtet wurde. Viel Aufmerksamkeit also, deren Ambivalenz der amerikanischen Künstlerin durchaus bewusst ist. In ihrer hier groß projizierten Videoinstallation von 1998/2001 „Soldadera“, die eine nostalgische Reminiszenz an die revolutionäre Haltung des mexikanischen Künstlerpaares Diego Rivera und Frieda Kahlo ist, erwähnt sie nicht zufällig die Äußerung von Abby Rockefeller, ehemals Präsident des New Yorker Museum of Modern Art, wenn man diesen Künstlern Aufmerksamkeit verschaffe, sie schon aufhören würden, „rot“ zu sein.

Eben diese Ambivalenz, gepaart mit Selbstironie ist es, die Frasers Werk auszeichnet und von anderen, oft trocken, soziologisch ausgerichteten institutionellen Kritiken unterscheidet. Schon in ihren frühen Aktionen den „Museums Highlights“ mit denen sie 1989 im Philadelphia Museum of Art beginnt und die sie dann in weiteren Museen ausführt, entlarvt sie Strukturen, an denen sie teil nimmt. Als „Jane Castleton“ führt sie Besucher durch das Museum, gewährt ihnen Einblicke in Zusammenhänge und Hintergründe, die sonst eher verschwiegen werden. In „May I help you?“ von 1991 spricht sie Besucher von Galerieausstellungen und Messen an. Beide, an verschiedenen Orten aufgeführte Aktionen sind als Videodokumentationen in Köln zu sehen.

Von Selbstironie getragen ist auch ihr Auftritt „Kunst muss hängen“ in der Kölner Galerie Nagel im Jahre 2001. Vor ihren eigenen abstrakten Bildern stehend wiederholt sie auf Deutsch eine Wort für Wort auswendig gelernte Rede des Künstlers Martin Kippenberger. Seine aus dem Munde einer Frau kommenden und mit Akzent untermalten, ursprünglich bedeutungsvollen Sätze platzen in der Luft wie Seifenblasen. Es ist Frasers Kommentar zu einem Künstler, dessen gegenüber dem weiblichen Geschlecht nicht immer von Respekt getragenes Verhalten sie als Feministin – über Jahre engagiert sich Fraser in der feministischen Gruppe „The V-Girls“ – sie sicherlich nur schwer ertragen konnte.

Im Auftrag der MICA Foundation führt Fraser in den New Yorker Räumen dieser Stiftung in 2003 „Official Welcomen“ vor. Sie hält, schwarz gekleidet eine Rede, die sich aus Auszügen von Eröffnungs- Begrüßungs- und Lobreden, einst von Kritikern, Künstlern und Sponsoren vorgetragen, zusammensetzt. Während der Rede zieht sie sich aus, am Ende steht sie nackt hinter dem Rednerpult. Und damit nimmt ihr kritischer Auftritt eine exhibitionistische Wendung an, die Parallelen zum libidinösen und fetischisierenden Umgang mit Kunst herstellt. Auch bei diesen Auftritten setzt sie sich in Bezug zum Geschehen, wobei sie sich diesmal an einer gewagten Grenze bewegt.

In „Little Frank and his carp“ von 2001 sieht man sie mit einem elektronischen Museumsführer in der Hand, wie sie sich an einer Säule des in Bilbao neu gebauten Guggenheim Museums zur Verblüffung der Museumsbesucher sexuelle Befriedigung verschafft. Und 2003 bietet sie einem Sammler einen Beischlaf für 20.000,00$. Das Geschehen lässt sie von einer Videokamera aufnehmen. Als Besucher des Museum Ludwig kann man sich in einem eigenen Raum von dessen Echtheit überzeugen.

In ihrer letzten größeren Arbeit „Projection“ von 2008, sieht man sie dann in einem Designersessel sitzend, an die linke Wand als sie selbst projiziert und auf der rechten  Wand in der Rolle ihrer Psychotherapeutin. Als Besucher verfolgt man dazwischen stehend den tatsächlich stattgefundenen Sitzungen. Abgründe, Einsamkeit, Ängste kommen hier stotternd zu Tage, auf die die Therapeutin mit einer distanzierten Überlegenheit reagiert. Wieder geht es um Macht, Unterwerfung, Projektion. Dieses Mal gewagt persönlich.

Ist die Institutionskritik persönlich geworden? Wird sie privater in einer Zeit, in der Ausstellungsinstitutionen, ob Museen oder Kunstvereine, in ein undurchsichtiges Dickicht aus Einflussnahmen und Repräsentationszwängen geraten sind? Andrea Fraser konfrontiert immer auch den Besucher mit diesen Fragen, involviert ihn in Konflikte, die gleichsam ihre wie auch seine eigenen sind. Rockefellers These der Neutralisierung durch Aufmerksamkeit mit eingeschlossen. Und das ist nach wie vor ihre Stärke.

Performances und Veranstaltungen:

Jeden Sonntag um 16 Uhr wird die Performance „May I help You?“ von Schauspielern aufgeführt, die von Andrea Fraser angeleitet wurden.

Freitag, 21. Juni, 19 Uhr: Europapremiere der Performance „Men on the Line“ (2012) von Andrea Fraser
Zugleich Präsentation der weiterführenden Publikation

Donnerstag, 6. Juni, 17 – 22 Uhr: Langer Donnerstag im Museum Ludwig
18, 19 Uhr: Führungen durch die Ausstellung
20 Uhr: Performance „May I Help You“ von Schauspielern

Freitag, 7. Juni, 19 Uhr:
Vortrag
Shannon Jackson: „Staging Institutions? Andrea Fraser and Performance Studies“
Vortrag im Rahmen der Reihe „Kunst im Kontext“ der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig
Ort: Kino im Museum Ludwig (Vortragssaal), 1. Etage

Dienstag, 9. Juli:
KunstBewusst Vortrag
Helmut Draxler: „Teil des Problems“
Ort: Kino im Museum Ludwig (Vortragssaal), 1. Etage


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