Besprechung Körper, verkauert zum Arsch

Besprechung
Körper, verkauert zum Arsch


Catrin Lorch über Alexandra Bircken „Inside Out“ bei BQ, Berlin, bis 22. Juni

Man hat ja heute viel mit dem Körper zu tun. Und es sind offensichtlich andere Körper als die, die in den Neunziger Jahren in die Ausstellungen einzogen. Eine frischere, jüngere Generation. Weniger leidend, nicht mehr so ausgeblutet wie ihre archaischen Vorgänger. Und wieder eindeutiger. Als Männer, Frauen, Kinder zu erkennen, überhaupt ausgeformter. Kein Zufall sicher, dass Künstlerinnen wie Isa Genzken oder Cathy Wilkes Schaufensterpuppen verwenden, Plastikbabies, Plüschtiere. Da wird dann einiges aufgetürmt, überreizt, akkumuliert – so dass es gerade noch hält. Gar nicht so weit entfernt arbeiten die, die das ganze etwas enger zusammen ziehen: Alexandra Bircken war jemand, der einen Stein in ein Netz einspinnen konnte. So wie man jemandem einen Pullover um die Schultern legt, den man liebt. Traditionell hatten Frauen dafür die Stricknadeln, Männer den Zeichenstift – denn die sind, wenn sie so viel Gefühl zeigen, meist Künstler. Die Achtziger Jahre und frühen Neunziger haben viel Energie darauf verwendet, die Sache für beide Geschlechter deckungsgleich zu machen, zu den hervorragendsten Gestalten dieser Epoche gehören Mike Kellys Banana Man und die entsetzliche Robbe, der Rosemarie Trockel eine wasserstoffblonde Perücke aufsetzte, bevor sie sie nackt an den Schwanzflossen aufhängte und dem Tier statt eines Titels ein Karl-Kraus-Zitat mitgab: „Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten, der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit dem gesamten Weib vorlieb nehmen muss.“

Es werden genau solche Wesen sein, die Alexandra Bircken zuweilen im Atelier über den Weg laufen. Sie kann Falten legen, Häkelknoten arrangieren, arbeitet mit Knöpfen und Perlen und Stöcken. Haaren, alten Skiern. Denn es war nicht mehr viel Mode in ihr, als sie Mitte der Neunziger Jahre als Dozentin am St. Martins College angefangen hat, nicht mehr Kleider für Körper zu entwerfen, sondern Körper. Aber man hat nicht explizit drauf geachtet, weil da so viel Farbe war, so viel Technik und Material verwirkt wurde – und vor allem: Schönheit. Soll man schreiben, dass man das Gefühl hat, sie sei mit ihrer aktuellen Ausstellung „Inside Out“ in der Galerie BQ in Berlin und dem Pavillon der Volksbühne angekommen? Weil es jetzt unübersehbar ist? Zumal sie ja weit übers Ziel hinausgeschossen scheint; gerne wird ja von Irritation berichtet, wo es um Kunst geht, hier konnte man Verstörtheit notieren, zurückweichendes Entsetzen.

Die Körper, die man jetzt zu sehen bekommt, sind sehr präsent. Tranchiert und portioniert außerdem. Bevor Alexandra Bircken sie gehäutet hat, zerteilt und aufgesockelt, müssen sie viril und schlank gewesen sein. Vielleicht sogar muskulös. Manchmal hängen beim Metzger Schautafeln, die einem präzise darstellen, wo man ansetzen muss, um hinterher Rumpsteak, Roastbeef, Ober- und Unterkeule aus dem Leib zu schälen. Auf den weißen Sockeln der Galerie liegen Unterarme, Schultern, Rückenstücke bereit. Technisch hat Alexandra Bircken im Atelier vielleicht nur eine alte Motorradkluft etwas ausgestopft, in Stücke zerteilt und die Schnittkanten sauber verspachtelt. Die Anmutung ist aber eigen und entsetzlich: Das ist keine Leiche. Aber auch keine Puppe. Ja, die stromlinienförmig gemusterte Haut gehörte mal einem Körper, ihr waren Geschwindigkeit, Lärm und Geruch zu eigen. Es ist viel Leben entwichen, aber das ist nicht weg. Und auch vor dem breit aufgespannten Overall, den Alexandra Bircken aufgeschnitten hat wie ein Kuhfell, denkt man nicht zuallererst an den Tod, auch wenn es da hängt wie eine Trophäe, wie das fein gezeichnete Fell einer Wildkatze oder Gazelle. Aber es hat noch nicht ganz ausgeatmet – oder saugt sich gerade mit einem neuen Leben voll. So wie es der tote Balg eines Vogels kann, der im Ritual umgeschnallt wird, das Leopardenmuster, das man sich über die Uniform hängt, bevor man losmarschiert.

In der Mitte der Ausstellung steht ein Motorrad, es ist eine „Aprilia“, was ja schon deswegen Sinn macht, weil gerade Frühling ist. Das Ding war fahrbereit, als es angeliefert wurde. Kein Allerweltsmotorrad, vor allem der Motor ist ein besonderes Stück. Und genau hier hat Alexandra Bircken mit der Säge angesetzt, das Motorrad klappt jetzt sauber auf, zeigt alle seine Innereien und wirkt so sauber zerschnitten, dass man meint, die Verletzung ließe sich auch einfach wieder rückgängig machen, es brauche dafür vielleicht nur ein bisschen Arbeit mit dem Lötkolben. Denn eigenartigerweise hat die Geschwindigkeit ja nicht abgenommen. Die stillgestellte, tödlich weil irreparabel verletzte Maschine, wirkt noch immer vital. Wenn überhaupt stört es das Bild, dass Alexandra Bircken ihr die Wucht und Richtung zerknickt hat, aus einem schnellen, blausilbern schimmernden Pfeil eine Dreiecks-Geschichte besetzt, in dem sich unvermittelt die Akteure Ingenieurskunst, Sportlichkeit und Bildhauerei treffen. Also vielleicht kurz ausgebremst, aber nicht wirklich aufgehalten.

Nachdem Alexandra Bircken bei ihren Ausstellungen im Bonner Kunstverein oder im Kunstverein Hamburg jeweils auch ausgreifende oder komplizierte Räume souverän mit ihren Arbeiten in die Zange nahm und die große Flexibilität der weichen Bildhauerei weit aufspannte, kümmert sich die aktuelle Ausstellung nicht groß ums Wo. Und sogar untereinander scheint die Präsentation kaum verbunden. Allesamt sind sie Werke, die aus sich heraus dringlich sind, die Raum und Platz und Zuschauer reklamieren und denen es – eigentlich – ganz gleich sein kann, was nebenan passiert. Sie sind den Skulpturen von Louise Bourgeois verblüffend ähnlich, gar nicht in ihren Formen – auch wenn es da genügend Körper gibt -, sondern vielmehr in ihrer Anmassung, unübersehbar wie die aus winzigen Matratzen aufgestapelten Stelen, unmittelbar unsere Nähe suchend wie die einsam aufgehängten Geschlechtsteile. Die fiese große Blase, die da unter Glas sauber vertäut ist wie ein giftiger Käfer. Das vertrocknete Riesenstück, das von der Decke baumelt. Ein Körper, verkauert zum Arsch und noch dazu aus Bronze – wie will man solche Stücke überhaupt zusammen bringen, eins ist schon zu viel für so einen Raum, für eine Vernissage, die Aufmerksamkeit, die so ein Text hervorzurufen im Stande ist.


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