Reinhard Mucha

Reinhard Mucha


„Frankfurter Block“, Sprüth Magers, Berlin, bis 30.8.14

Die Frage „Hast du schon Mucha gesehen?“ war wohl die am häufigsten gestellte während des Gallery Weekends in Berlin. Während das junge Publikum den in Düsseldorf lebenden Künstler als Neuentdeckung diskutierte, betrat die ältere Generation die Galerie Sprüth Magers, in der unter dem Titel „Frankfurter Block – Arbeiten am Hohlkasten 1981 – 2014“ ein Konglomerat an Werken Muchas zu sehen war mit Genugtuung. Wusste man schließlich schon lange, dass es sich hier um einen bedeutenden Künstler handelt, dessen Arbeiten man bereits zweimal auf der documenta und 1990 auch in Venedig, als er Deutschland während der 44. Biennale vertrat, gesehen hatte.

Reinhard Mucha, Frankfurter Block, [2014], 2012, Werkensemble (Detail) Installationsansicht, Frankfurter Block – Arbeiten am Hohlkasten 1981-2014, Sprüth Magers, Berlin, 02.05.2014 – 30.08.2014 © Reinhard Mucha, Courtesy der Künstler / Sprüth Magers Berlin London

Reinhard Mucha, Frankfurter Block, [2014], 2012, Werkensemble (Detail)
Installationsansicht, Frankfurter Block – Arbeiten am Hohlkasten 1981-2014, Sprüth Magers, Berlin, 02.05.2014 – 30.08.2014
© Reinhard Mucha, Courtesy der Künstler / Sprüth Magers Berlin London

Die Sperrigkeit von Muchas Werk fällt inmitten der Design orientierten und auf schnellen Konsum ausgerichteten Berliner Kunstszene auf. Muchas Kunst hat Substanz, sie ist handfest und so wird sie auch in der Galerie präsentiert. Betritt man den Raum, steht man zunächst vor einer weißen Wand, die durch einen engen Spalt einen Blick ins Innere eines weiteren Raumes bietet. Um in diesen Raum zu gelangen, muss man zunächst um die Wand herum gehen. Dieser Raum im Raum wurde exakt der Ausstellungssituation in der Frankfurter Galerie Grässlin nachgebaut, wo bis vor einem Jahr Muchas Werk „Schaffnerlos – Werke ohne Arbeiten 1981 – 2012“ zu sehen war. In der Berliner Ausstellung wurde diese Werkgruppe als endgültige Fassung in den „Frankfurter Block“ integriert. Der Komplex geht auf eine bereits 1981 begonnene Arbeit zurück, die Mucha anlässlich einer Ausstellung der Preisträger des BDI („Ars Viva – Skulpturen und Installationen von Preisträgern des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.“) in der Kunsthalle Bielefeld schuf. Und hier sind wir schon bei einem Prinzip in Muchas künstlerischem Vorgehen: Seine Werkgruppen werden über Jahrzehnte hinweg immer wieder überprüft, neuen Räumlichkeiten und aktuellen Geschehnissen angepasst. Die Zeit und die jeweiligen räumlichen Bedingungen scheinen dabei so in den Objekten und ihrer Anordnungen eingeschlossen zu sein, dass sie als Ensemble wie zusammen geschweißt wirken: Man spürt physisch eine Sogwirkung der kondensierten Zeit.

Reinhard Mucha, Frankfurter Block, [2014], 2012, Werkensemble (Detail) Installationsansicht, Frankfurter Block – Arbeiten am Hohlkasten 1981-2014, Sprüth Magers, Berlin, 02.05.2014 – 30.08.2014 © Reinhard Mucha, Courtesy der Künstler / Sprüth Magers Berlin London

Reinhard Mucha, Frankfurter Block, [2014], 2012, Werkensemble (Detail)
Installationsansicht, Frankfurter Block – Arbeiten am Hohlkasten 1981-2014, Sprüth Magers, Berlin, 02.05.2014 – 30.08.2014
© Reinhard Mucha, Courtesy der Künstler / Sprüth Magers Berlin London

Dieser Effekt wird in der aktuellen Ausstellung noch gesteigert. Hier zeigen Monitore animierte Fotografien der drei vorherigen Ausstellungsituationen – denn die Werkgruppe war, nachdem sie für die Preisträgerausstellung des BDI geschaffen wurde, 1982 im Kölnischen Kunstverein, im Lenbachhaus in München und in der Neuen Galerie in Berlin zu sehen. Begleitet wir die Fotoabfolge von Rollgeräuschen vorbei fahrender Skateboarder. An den Wänden hängen 99 gerahmte Fotokopien von Coupons, mit denen man Anfang der 1980 Jahre Werbematerial, wie Produktkataloge und Firmeninformationen anfordern konnte. Den Rücklauf von ungefähr 600 solcher Briefsendungen, die im Rahmen der Ausstellung im Kölnischen Kunstverein angefordert und an Mucha geschickt wurden, sieht man ungeöffnet und akribisch in 4 Tischvitrinen gestapelt. Die Schaukästen, hintereinander, wie Waggons aufgereiht, sind wiederum auf 16 Holzbänkchen aufgebockt, als fehlten die Reifen.

Auch neben den Tischvitrinen drängt sich das Bild des stehenden Zuges auf: Transporthunde liegen mit den Rollen nach oben in Glasvitrinen, auf dem Boden davor reihen sich umgedrehte Handwagen aneinander, eine zusammengerollte Decke der Transportfirma „Hasenkamp“ als Frachtgut. „(Capriccio) – Wie der tote Hase mit den Bildern verkehrt“ lautet der Titel dieses auf 2012 datierten Werkes, eine Anspielung, wie schon bei „Block“ an Beuys, selbstverständlich, aber auch eine Abgrenzung. Denn Mucha verbindet mit Beuys zwar die Materialität der Objekte, sonst aber nichts. Mucha ist kein Schamane, der Mythen um sich ranken lässt. Seine Welt ist nüchtern, industriell, auf maschinelle Reproduzierbarkeit und auf einen technisch geregelten Austausch ausgerichtet, der sich längst – wie die 600 zugeschickten Briefsendungen zeigen – verselbstständigt hat. Seine Werkgruppen sind, ähnlich einem Bahnhof, anonyme, von ständiger Bewegung ergriffene Umschlagplätze. Nicht zufällig bezieht sich Mucha in seinen Arbeiten immer wieder auf den Bahnhof. Da die Beschaffenheit seiner Werke seriell ist, suggeriert sie mechanisches Vorgehen und Vervielfältigung, die – wovon wir seit der Industrialisierung und erst recht im Computerzeitalter Zeugen sind – auch ohne das Subjekt läuft. Sie ist „schaffnerlos“. Züge fahren heute auch ohne Schaffner und wenn man Mucha Glauben schenken will, dann betritt die Kunst eine Ebene, auf der auch die einst so gefeierte Individualität des Künstlers zum Entgleisen führt. Dass allerdings auf dieser Ebene Werkgruppen mit einmaliger Energie entstehen können, zeigt diese Ausstellung eindringlich.


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