Ich stricke alles selbst!


Rosemarie Trockels „Flagrant Delight“ im WIELS, Brüssel

„Um ja nicht falsch verstanden zu werden, was natürlich Auswirkungen auf die Zukunft hätte, ich stricke alles selbst!!!“ lautet der Titel einer nicht realisierten Publikation Rosemarie Trockels. Ihr Blick auf die Kunstgeschichte, die konstante Reflexion der Verortung ihrer selbst als Künstlerin in einem von Männern dominierten Kunstfeld und ihr unablässiger Widerspruch gegen dieselbige kristallisiert sich in diesem einen Buchtitel. Er ist zusammen mit vielen anderen Entwürfen für Künstlerbücher Teil der umfassenden Retrospektive der 1952 geborenen Kölnerin Künstlerin, die das WIELS in Brüssel noch bis 27. Mai zeigt.

Die Ausstellung„Flagrant Delight“ fasst assoziativ Arbeiten aus unterschiedlichen Werkphasen zu losen Gruppierungen zusammen. Dabei legt Trockel besonderen Wert darauf, dass die Ausstellung an unterschiedlichen Punkten begonnen und beendet werden kann. Es gibt keine vorgegeben Leserichtung, keine Chronologie, sondern ein Nebeneinander. Anders als ihre männlichen Kollegen, die im Alter von 60 Jahren oft schon diverse Retrospektiven ihres Werkes gefeiert haben, besteht Trockel darauf, die Aktualität im Bezug auf Form wie auf Inhalt ihrer Arbeiten zu wahren, sie nicht zu historisieren, obwohl sie natürlich längst schon Legenden der (feministischen) Kunstgeschichte sind.

Einen besonderen Fokus legt das WIELS auf eine umfassende Serie von Collagen, die zwischen 2004 und 2011 entstanden sind und aus zahlreichen Privatsammlungen zusammengetragen wurden. Die rund 40 Collagen geben einen gelungenen Einstieg in Trockels Kosmos. Die Künstlerin kompiliert auf dem Grund flacher Holzboxen unterschiedlichste Fundstücke, Memorabilia, Skizzen, Fotos und Zeichnungen, von den 1970er Jahren bis heute. Courbets „L’origine du monde“ verbindet sich mit einem männlichen Oberkörper, der aus Bettlaken herausschaut, Brigitte Bardot taucht immer wieder auf wie auch das fragmentierte augenlose Gesicht von Truman Capote, dekoriert mit Lametta und Silbergirlande. Zugleich sind die Holzboxen selbst Träger monochromer, expressiver oder auch minimalistischer Malerei. Die Collagen sind eine Art Remake, in denen Trockel sich selbst zitiert und ihre Arbeit und inhaltlichen Bezüge in festgelegtem Format collagiert und neu zusammenfügt. Expressive Malerei und minimalistische Formensprache verbinden sich mit assoziativen Objekten und Materialien, die sich nicht nur auf Popkultur und Alltagswelt beziehen, sondern auch auf Trockels Biographie, ihre eigene Rolle als eine der wenigen Frauen im Kunstfeld der 1970er und 80er Jahre. In den Collagen findet sich das Prinzip der Ausstelung wieder: sie aktualisieren die Kunstgeschicht(en) und setzen ihr anstelle einer retrospektiven Nacherzählung subjektive Perspektivverschiebungen entgegen.
Neobarocke, tönerne Skulpturen, die ebenfalls neueren Datums sind, sind daneben zu sehen. Sie haben wenig mit häuslichen Töpferarbeiten zu tun sondern muten recht martialisch. Es sind schwere Klumpen, zu Haufen geformt, die an Wänden hängen oder liegend präsentiert werden. Amorphe und kristalline Formen, metallisch oder schwarz-weiß glasiert. Mit Hilfe eines Eimers eingedrückt und verformt, erinnern sie an zu massiven Maulwurfshügeln mutierten Interiordesign-Accessoires.

Neben einer Werkgruppe monochromer, großformatiger Strickbilder und kleineren Strickcollagen zeigt Kurator Dirk Snauwaert Trockels vielseitige Skulpturen. Außerdem, in minimalistischer Tradition, Trockels Herdplattenbilder, die keine angenehme Wärme, sondern gefährliche Hitze ausstrahlen. Die coolen Arbeiten der Minimal- und Konzeptkünstler – Trockel zitiert sie und macht in jeder einzelnen Arbeit deutlich, wie maskulin diese scheinbar universalistische Formsprache ist und um welchen Preis die Karriere männlicher Künstler, aber auch die weiblicher oft erkauft ist. Auf die Unhintergehbarkeit des eigenen, weiblichen Geschlechts und die für jede Generation von Frauen leider nicht an Dringlichkeit nachlassenden Frage von Kind und Karriere verweist insbesondere Trockels Arbeit „Spiral Betty“. Robert Smithsons Land Art Monument deutet sie zum weiblichen Verhütungsmittel um, eine stark vergrößerte Spirale mündet in eine Glasröhre, die durch eine disproportional große Neonröhre penetriert wird. „Statistisch gesehen bedeutet die Geburt eines Kindes für eine Frau – und insbesondere für eine Künstlerin, die allein ihrer eigenen Produktivität verhaftet ist – die größte Gefahr in die sogenannte Armutsfalle zu tappen“, erläutert die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch in ihrem Essay „Feminismus nach der Identitätspolitik“. Trockel verschränkt in ihren Arbeiten die gemeinhin weiblich codierte Reproduktionssphäre mit der gemeinhin männlich codierten Produktionssphäre. So auch, wenn sie Judds Stacks aus Schaumstoff mit den Maßen eines Herds zitiert.

Trockel, die Anfang der 1970er erst an der Pädagogischen Hochschule, später an der Werkkunstschule in Köln studierte, nutzt zur Kritik an der männlichen Dominanz im Kunstfeld nicht allein Wolle und Strick, auf die ihre Arbeiten oft reduziert werden, sondern bedient sich einer großen Spannweite von Materialien; Skulpturen, Publikationen, Rauminstallationen und Collagen. Sämtliche Arbeiten verweisen pointiert auf eben diese schweigend akzeptierte, scheinbar natürliche Gegebenheit der Unterrepräsentation weiblicher Künstlerpositionen im Kunstfeld und in der Kunstgeschichte, die viele für überwunden halten und die dennoch bis heute, von Galeristen, Kuratoren und Kritikern, beständig reproduziert wird. Immer noch ist ein Großteil der institutionellen Einzelausstellungen Künstlern und nicht Künstlerinnen gewidmet. Ebenso wurde wie selbstverständlich über Gerhard Richters achtzigsten Geburtstag nicht nur in nahezu allen Printmedien berichtet, sondern sogar in der Tagesschau; fraglich, ob Rosemarie Trockels sechzigster Geburtstag im November diesen Jahres nur im Ansatz ein ähnliches Medienecho hervorrufen wird.

Die Ausstellung macht eine künstlerische Strategie in Trockels Werk offensichtlich: die Künstlerin greift das Formenvokabular ihrer männlichen Kollegen auf und deutet es in ihre eigene Sprache um. Die Ästhetik der Arbeiten spielt mit der Konnotation von dem was gemeinhin als der Sphäre der Frau, des Weiblichen zugeordnet gilt, die inhaltliche Ebene ist darauf bezogen und geht gleichzeitig darüber hinaus. Sie bietet einen unmittelbaren Zugang zu den Inhalten, die sie verhandelt und auf die sie sich bezieht. Sie sind feministisch ebenso wie leichtfüßig, dadaistisch, ironisch und surrealistisch. Das Erscheinungsbild der einzelnen Arbeiten changiert von kapriziös und exzentrisch bis zu meditativ und introvertiert. Trockel führt immer wieder ganz unmittelbar die Prinzipien von Anziehung und Abschreckung vor, wenn sie den Blick des Betrachters mit Hochglanzlasierten, glänzenden Oberflächen zweier Büsten anzieht und dieser anschließend zurückschreckt, sobald er in ihnen die verzerrten Gesichter zweier Hexen mit unheimlich echt anmutenden Augen erkennt, die in anstarren. Trockel wirft den Blick auf den Betrachter provozierend zurück.

Zum Teil wirkt es beinahe so, als duelliere sich Rosemarie Trockel mit ihren männlichen Kollegen in einzelnen Arbeiten. Darunter auch die expressionistischen Maler der 1980er wie auch Colorfield-Maler in den 1950ern, die sie in ihren monochromen Strickbildern zitiert. Bei diesem ‚Kampf“, den Trockel führt, macht es ganz besonders Spaß, ihr bei der Wahl ihrer Waffen zuzuschauen. Sie will nicht ‚auch malen’ oder unter Beweis stellen, dass sie ‚als Frau’ dasselbe oder mehr ‚leisten’ kann. Sie schlägt mit ihren ganz eigenen Mitteln zurück und greift zu Materialien, die von männlichen Künstlern bis dahin verschmäht wurden – ein strickender Barnett Newman ist doch sehr schwer vorzustellen. Ebenso ein Martin Kippenberger, der auf seine Entourage von Studenten und Assitenten verzichtet. Trockel hingegen ‚strickt alles selbst’.
Nachfolgende Künstlerinnen-Generationen haben ihr zu verdanken, viel selbstverständlicher – aber in keinem Falle unbewusst – mit ihrer Rolle als Künstlerin im Kunstfeld umgehen zu können. Das macht die nach wie vor unzweifelhafte Aktualität von Trockels Arbeiten aus. Künstlerinnen wie Karla Black, die raumgreifende Skulpturen und Installationen schafft, deren Aufbau zwar minimalistisch ist, die aber aus pastellfarbenen Seifen und Pudern bestehen, wäre ohne die Arbeiten von Trockel kaum denkbar. Oder auch Cosima von Bonin, die ihre Malerei und Skulpturen aus Stoffen und Mode-Accessoires zusammennäht. Der Zustand einer Gleichwertigkeit von weiblichen und männlichen Künstlern im Kunstfeld ist noch lange nicht erreicht, aber Trockel hat die Waffen auf dem Weg dorthin neudefiniert, hat sie mit großem Selbstbewusstsein subtil entwickelt und macht von ihnen nach wie vor Gebrauch. „Ich bin Dan Graham“ prangt da auf einem weiteren Buchentwurf.

Stephanie Seidel (*1985) ist Interim-Direktorin am Neuen Aachener Kunstverein.


tags: , , ,