Lessons in Posing Subjects

Lessons in Posing Subjects


Magdalena Kröner über Robert Heinecken im Wiels, Brüssel, bis 18. August

In diesem Sommer stärkt das Brüsseler Kunstzentrum Wiels seinen wachsenden Ruf für sorgfältig gemachte Ausstellungen mit  bislang weniger bekannten fotografischen Positionen. Mit dem Künstler Robert Heinecken wird ein Pionier der amerikanischen „Pictures Generation“ vorgestellt, der in Europa, anders als die „Pictures“-Künstler Richard Prince, Cindy Sherman, Louise Lawler oder Robert Longo, erst noch zu entdecken ist. Der 1931 in Denver geborene und 2006 gestorbene Heinecken zählte zu den wichtigsten Protagonisten der Kunstszene im Los Angeles der Nachkriegszeit, auch wenn er erst nach seinem Tod vom Artist’s Artist, der über drei Jahrzehnte an der U.C.L.A. lehrte, zur Entdeckung wurde, die mit internationalen Ausstellungen wie jüngst im New Yorker MoMA oder ab Herbst im Hammer Museum in Los Angeles gefeiert wird.

10. Robert Heinecken

Lessons in Posing Subjects : Standard Pose #2 (Hand/Head), 1982 (detail)
SX-70 Polaroid prints mounted on Rives BFK paper, lithographic title and text.
38 x 51 cm. Edition 9/10. The Robert Heinecken Trust

Bereits kurz nach dem Aufkommen der Polaroid SX-70 Sofortbildkamera ab 1972 widmete sich Robert Heinecken dem neuen Medium. In Brüssel ist nun seine erste Polaroid-Collagenserie „He/She“ zu sehen. Das Zusammenspiel aus schnappschußartigen, mit Modellen nachgestellten Fotografien und den handgeschriebenen Dialogen zwischen „Ihr“ und „Ihm“  suggeriert verschiedene Stadien einer fiktiven Intimität. Die Dialogpartner sprechen über Themen wie das Begehren, über das Künstlersein und über Eifersucht. Die naheliegende Identifizierung mit dem Gezeigten führt vor, wie leicht Manipulationen im Zusammenspiel aus Text und Bild herzustellen und wie schwer sie zu durchschauen sind.

Dieses Vorgehen war typisch für die „Pictures“-Künstler, wie sie nach der vom Kritiker Douglas Crimp 1977 im New Yorker Artist’s Space kuratierten Gruppenschau genannt wurden. Diese junge Generation bezog sich in ihrer Kunst auf die Bilder um sich herum, auf Werbung, Massenmedien, Hollywood. „In immer größerem Maße wird unsere Erfahrung von Bildern beherrscht, schrieb Crimp damals im Katalog zur Ausstellung, „Daher wird es notwendig, das Bild selbst zu verstehen – nicht, um eine verlorene Wirklichkeit wiederzuentdecken, sondern um zu bestimmen, wie dem Bild eine eigene Bedeutsamkeit zukommt.“ Diese Art, die Bilder des Alltags zu analysieren, entsprach dem Zeitgeist: Poststrukturalismus, Zeichen- und Gendertheorie behaupteten den Tod des Autors und das Ende der Geschlechtergrenzen und postulierten, daß dem Spektakel der Massenmedien und der etablierten, die Machtverhältnisse zementierenden Kunst dringend zu mißtrauen sei.

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Robert Heinecken: Lessons in Posing Subjects 16.05 – 17.08.2014, photo: Sven Laurent

Mit seinem großangelegten, konzeptuellen Bildprojekt „Lessons in Posing Subjects“, entstanden in den 80er Jahren, führt Robert Heinecken zunächst simpel scheinenden, kontextuellen Verschiebungen am Beispielen banaler Produktfotografie durch: er versammelt Ausschnitte aus Mode- und Versandkatalogen, die er mit der Polaroidkamera abfotografierte, collagierte und nach „Standardposen“ anordnete.

Zunächst scheint es, als gäbe es hier nichts zu sehen, was man nicht schon tausendmal gesehen hat. Weibliche Modelle verschränken die Arme hinter dem Kopf oder stemmen beide Hände in die Taille, die Männer lachen siegesgewiss in die Kamera oder legen eine Hand um die Schulter ihrer Partnerinnen. Doch tatsächlich hat man diese Art der Fotografie, von jedermann täglich quasi bewußtlos konsumiert, so tatsächlich noch nie gesehen. Denn dazu kombiniert Heinecken Texte, die von der einflußreichen, 1979 erschienenen Studie „Gender Advertisments“ des kanadischen Soziologen Erving Goffman inspiriert wurden. In der Kombination aus typologischer Reihung und pseudo-wissenschaftlichem Kommentar entsteht ein absurdes und gleichwohl frappierend akkurates fotografisches „Handbuch“ kommerzieller fotografischer Inszenierungen, die im Kern bis heute gleich geblieben sind.

Heineckens „Lessons“ lesen sich manches Mal wie Slapstick. Da wird etwa die unbedingte Wichtigkeit verhandelt, einen bestimmten Gesichtsausdruck in unterschiedlichen Inszenierungen beizubehalten („Lessons in Posing Subjects/Maintaining Facial Expressions (Female/Brunet)“),  an anderer Stelle wird der genaue Winkel diskutiert, in dem ein Unterhemd vom Bauch weggelupft werden soll, welcher suggerieren soll, daß sich das Model in seiner Baumwollunterwäsche wohlfühlt („Lessons in Posing Subjets/Lingerie (Tank and Hipster)“). Die feinen Abstufungen von erotischer Suggestion, die jeder sofort und ohne Worte erkennt, derart analytisch, genau und bitterböse vorgeführt zu bekommen, hat auch nach fast vier Jahrzehnten nichts von seiner Eindringlichkeit verloren.

01_Robert Heinecken

Lessons in Posing Subjects/Lingerie (Tank and Hipster), 1981
6 SX-70 Polaroid prints mounted on Rives BFK paper, lithographic title and text.
38 x 51 cm. Edition 9/10. The Robert Heinecken Trust

Auch die Bildsprache der Pornographie interessierte Heinecken: für seine Collage „Hustler Blind Beaver Hunt“ von 1979 überklebte er die suggestiven Posen von Pornobildern mit Produktfotos aus Unterwäschekatalogen. Andersherum verfuhr er in der 1981 entstandene Bildserie „Socio-Fashio Lingerie“ vor, für die er Bilder aus Modekatalogen für Unterwäsche wiederum mit Pornobildern ergänzte.

Ob Mode, Privatfoto oder Porno – Robert Heinecken widmete sich in seinem Werk nur scheinbar gegenläufigen Standards der Bildproduktion und Rezeption und schaltete diese einfach, aber um so surrealer miteinander kurz. In der Analyse der dargestellten Posen entlarvte er Körpermodelle und -Haltungen, die sowohl in der Gestaltung antiker Statuen eine Rolle spielen, als auch in der gegenwärtigen Pop- und Konsumkultur und weckte dabei zahlreiche unbewußt gewordenen Inszenierungs- und Wahrnehmungsmuster auf. Dies macht sein bildanalytisches, künstlerisches Projekt trotz der offensichtlichen Zeitgebundenheit seiner Motive ungebrochen aktuell.

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Robert Heinecken : Lessons in Posing Subjects 16.05 – 17.08.2014, photo: Sven Laurent

Nicht zuletzt illustriert das Werk Heineckens die Möglichkeiten des Gebrauchs von Polaroid als konzeptuellem Medium. Er benutzte das Sofortbild, um das für den gedankenlosen Konsum produzierte Katalog- oder Pornobild in ein Unikat zu verwandeln und es wie in einer Petrischale einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Das kennt man auch von Richard Prince, dem so viel bekannteren Vertreter der „Pictures Generation“. Während Richard Prince die zu Ikonen geronnenen Alpha-Männer wie den Marlboro-Mann in den Fokus nahm, schaute Heinecken auf namenlosen Fotomodelle, weibliche und männliche Prototypen, die den Konsum triggern sollen. Die hier vorgeführten, streng geschlechtsspezifischen Inszenierungen sind bis ins Kleinste festgelegt, und bestimmen nicht nur die Posen der Werbung bis heute, sondern längst auch die Muster der alltäglichen Selbstinszenierung per Instagram und Twitter, die zwischen privat und öffentlich nicht mehr unterscheidet.


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