Sex Sea Magic

Sex Sea Magic


Körper aus der Zeitmaschine: Magdalena Kröner über Sigune Siévi bei Van Horn, Düsseldorf, bis 19.4.

Dass die Sache mit der Kunst einmal so für sie ausgehen würde, hätte Sigune Siévi wohl selbst am wenigsten erwartet. Die 1966 in Hamburg geborene, heute in Berlin lebende Künstlerin studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie bei der Bildhauerin Magdalena Jetelová, fühlte sich dort jedoch bald „überfordert“, wie sie selbst sagt. Siévi entschied sich, Klasse und Medium zu wechseln und studierte bei Bernd und Hilla Becher Fotografie. Es entstanden Portraits, die gut in die Klasse und die fotografische Ästhetik der ausgehenden 90er Jahre passten: melancholische Frauen im Wald, gerne nackt und doppelt belichtet. 2006 zeigte sie bei Andreas Brüning in Düsseldorf ihre letzte Einzelschau. Dann kam lange nichts mehr.

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Sigune Siévi, Sex Sea, 2012, Metal sheet, rubber foam, neon, cable, Ø 100 cm x 30 cm, Courtesy VAN HORN, Düsseldorf

Nun taucht Sigune Siévi mit der Ausstellung „Chambre d’Amour“ bei Van Horn wieder auf und hat sich in ihrer Arbeit völlig neu erfunden. Sie zeigt Skulpturen aus Holz und Neon, zwei Materialien, die sich in jedem einzelnen Objekt auf komplizierte Weise berühren, sich gegenseitig aufladen, kommentieren und in Frage stellen.

Was in diesen Arbeiten von der Fotografie übrig geblieben ist, ist ein genaues Gespür für die Wirkung von Licht, die Inszenierung von Körpern im Raum und deren geschickte Verdopplung und Brechung durch Spiegel. Für das Ensemble „Traum im Traum“ nähert sich eine schlanke, weiße Figurine einem ovalen Spiegel, der wiederum mit kleineren ovalen Spiegeln besetzt ist. Die Figurine könnte eine Frau mit einem kapriziösen Kopfputz sein, aber ebenso eine Vase auf einem hohen Podest mit seltsam verschnörkelten, rot leuchtenden Blumen aus Neon darin. Das Ensemble deutet eine Fülle möglicher Geschichte an, ohne anekdotisch zu werden. Es könnte sich hier auch um das zufälliges Treffen zweier Gegenstände handeln. Ist das nun ein dreidimensionales Portrait oder doch eher ein klassisches Stilleben? Die ebenso auf sich selbst konzentrierten wie ausgreifend theatralischen Objekte Sigune Siévis müssen sich nicht entscheiden. Jedes einzelne lotet neue Facetten einer greifbaren Spannung aus, die sich sowohl aus dem Zusammenspiel der disparaten Materialien wie auch aus ihren erzählerischen Aspekten ergeben.

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Sigune Siévi, Schwarzer Falter, 2012, wood, lacquer, neon, cable, 280 x 42,5 cm Courtesy VAN HORN, Düsseldorf

An was erinnert das? Zumindest an kaum etwas, was gegenwärtig in der aktuellen Bildhauerei in Mode ist. Präsenter scheint eine geistige und ästhetische Verbindung zur vor allem weiblichen Avantgarde der 1920er und 1930 Jahre. Die titelgebende Arbeit „Chambre d’Amour“ erinnert mit ihren sorgsam polierten, weißen Oberflächen und den immer wieder aufscheinenden technoiden Bezügen an die bemalten Holzreliefs einer Sophie Taeuber-Arp. Sigune Siévis von der Decke hängende, gleichermaßen organisch, funktional und technoid anmutende Arbeit „Schwarzer Falter“ könnte den kinetischen Skulpturen der polnischen Künstlerin Katarzyna Kobro verwandt sein. Siévis Skulpturen sind technisch aufwendig konzipiert und makellos ausgeführt: sorgsam gedrechselt und hochglänzend lackiert, sprechen sie eine somnambule Sprache, in der vage Bekanntes, Erinnertes oder Geträumtes aufscheint. Jedes einzelne Objekt ist ein Hybrid, der im Jetzt siedelt und zugleich an historische Formen erinnert.

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Sigune Siévi, Chambre d’Amour, 2011, wood, lacquer, neon, cable, 77,5 x 77,5 x 33 cm, Courtesy VAN HORN, Düsseldorf

Doch bevor ein kunsthistorisch orientierter Blick sich allzu gefällig im Vergleichen, Erinnern und Schwelgen in der perfekten Materialität niederlassen könnte, kommt er nicht umhin, den Bruch in jeder einzelnen der Arbeiten zu registrieren. Siévis skulpturale Objekte erhalten ihren spezifischen Reiz durch Elemente aus Neon; virtuos gebogene, fragile Glaskörper gefüllt mit Gas in unterschiedlichen Farben.
Eine Arbeit wie „Sex Sea“ scheint in der Form eines runden Emblems zunächst an eine altertümliche Eiswerbung zu erinnern, doch die Neonbuchstaben machen längst, was sie wollen. Sie scheren aus der typographischen Ordnung aus und wölben sich in den Raum hinein. Der Kern des Objektes glüht dabei rot wie das Auge des zum Eigenleben erwachten Computers „HAL“ in Stanley Kubricks „Space Odyssey“. In der durch ein Foto von Man Ray inspirierten Arbeit „Collier“ halten zwei weiße Schornsteine auf einem Podest einen locker gewundenen, rotglühenden Draht.

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Sigune Siévi, Collier, 2011, wood, lacquer, neon, cable, 107 x Ø 53 cm Courtesy VAN HORN, Düsseldorf

Jedes Objekt in diesem Raum entfacht ein derart unwahrscheinliches Spiel opponierender Kräfte, dass man meinen könnte, es mit einer geheimen Form von Alchemie zu tun haben. Oder doch eher mit einer raffinierten Spielart erotischer Verklammerung?


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