Besprechung
Die Spur der Steine
Robert Smithson. Die Erfindung der Landschaft – Broken Circle/Spiral Hill & Film im Museum für Gegenwartskunst Siegen
Natürlich hätte man auch einen Ausflug in das grenznahe holländische Städtchen Emmen in der Provinz Drenthe unternehmen können, um sich die Arbeit „Broken Circle / Spiral Hill“ von Robert Smithson vor Ort anzuschauen, wird diese Inkunabel der Land-Art nahe einer Wohnsiedlung am Ufer des Teichs einer aufgelassenen Sandgrube doch von der örtlichen Gemeinde gepflegt und wäre für eine Besichtigung demnach problemlos zugänglich. Sogar ein Badebetrieb soll über die Sommermonate dort eigens eingerichtet sein.
Nun haben wir allerdings noch keinen Sommer und somit bietet sich als Alternative wieder mal nur das Museum an. Aber auch zu besagtem Ausstellungshaus ist ein kleiner Ausflug von Nöten, handelt es sich doch dabei um das Museum für Gegenwartskunst in Siegen, welches durch eine illustre Bahnfahrt entlang der Sieg von Köln aus recht bequem zu erreichen ist.
Eva Schmidt, die Leiterin des Museums, ist eine ausgewiesene Kennerin des Werkes von Robert Smithson und so nimmt es nicht Wunder, dass knapp 40 Jahre nach der Fertigstellung, das Siegener Haus dieser einzigen erhaltenen Außenarbeit des Künstlers in Europa eine eigene Ausstellung widmet. Durch die Anreise inmitten des engen Siegtals, die Schlaufen des Flusslaufs immer wieder überquerend und die aufgelassenen Industriebrachen in den kleineren Ortschaften im Blick, ist man jedenfalls hinreichend sensibilisiert für Smithsons spezifische Auseinandersetzung mit Orten unter Berücksichtigung ihrer geologischen, sozialen, ökonomischen und urbanistischen Besonderheiten. Für viele zeitgenössische Projekte mit Ortsbezug wurde seine Herangehensweise, seine Bezugnahme auf historische Abläufe und menschliche Eingriffe schließlich wegweisend.
Smithson fragte nicht, was Kunst war und wie sie funktionierte, sondern vielmehr, wo sie war und wie sie mit anderen Bereichen in Beziehung stand. Eine Dialektik dieser Art ist eine Sichtweise, welche die Dinge in einer Vielzahl von Verknüpfungen, nicht als isolierte Objekte wahrnimmt. Für ihn war ‚Natur’ eine reine Erfindung der Moderne, eine Fiktion, deren Dekonstruktion zu seinen künstlerischen Themen gehörte. Es stellt sich daher schon die Frage, ob das Museum der richtige Ort ist, dieses Anliegen zu übermitteln, denn immerhin war die Land-Art angetreten, um die Erde, ihre Formen und ihre Materialien in einer Weise zu gegenwärtigen, die mit den Traditionen des Museums und des überlieferten Werkbegriffs bricht. Die Ausstellungskonzeption ist sich dieser Problematik jedoch bewusst und die Kuratorin Eva Schmidt weiß sich auf der sicheren Seite, hatte doch Smithson selbst die mediale Auf- und Nachbereitung seiner Kunst stets im Blick und unterschied klar zwischen den ortspezifischen Werken und den Arbeiten, die für den Ausstellungskontext angelegt waren. Entsprechend bietet die Siegener Ausstellung durch zahlreiche Zeichnungen, Fotografien, vor allem jedoch durch das von Smithson selbst sehr gezielt eingesetzte Medium des Films eine Annäherung und Einbettung der holländischen Arbeit, die weit über einen rein dokumentarischen Charakter hinausweist. Als weiteres gewichtiges Argument dient vor allem der Film, den Nancy Holt, die Witwe des Künstlers, im vergangenen Jahr, basierend auf den Storyboards und Skizzen des Künstlers endlich, darf man nach 40 Jahren Abstand wohl sagen, fertig stellte. Einige der Aufnahmen datieren denn auch aus der Entstehungszeit von Broken Circle / Spiral Hill. Gemäß Smithsons Anweisungen sind Dokumentaraufnahmen der holländische Flutkatastrophe von 1953 hineinmontiert und aktuelle Luftaufnahmen aus einem Helikopter vervollständigen den Film, der mit einer Textcollage z. T. mit Smithsons eigenen Kommentaren unterlegt ist. Die Fertigstellung des Films wurde seinerzeit durch den frühen Tod des Künstlers verhindert, der 1973 bei einem Flugzeugabsturz mit gerade mal 35 Jahren ums Leben kam. Allein das weitere Filmprogramm der Ausstellung, zu sehen sind neben dem Film zu Smithsons sicherlich berühmtester Arbeit ‚Spiral Jetty’ (1970), der wenig bekannte ‚Mono Lake’ (1968-2004) über einen gemeinsamen Ausflug von Smithson, Holt und Michael Heizer zu einem ausgetrockneten Salzsee, sowie die kurze Etüde ‚Swamp’ aus dem Jahre 1971, lohnt den Besuch der Ausstellung. Die eingefügten Zeichnungen Smithsons stellen das ganze Spektrum seiner Versuche, Irrwege und grandiosen Ideen dar. Sie machen nachvollziehbar, warum Smithson dereinst als der Piranesi der Land-Art bezeichnet wurde.
Was jedoch bei der Durchsicht der Ausstellung am nachhaltigsten irritiert, ist die, man ist schon versucht zu sagen ‚kindlich naive’ Erscheinungsform des Werkes ‚Broken Circle / Spiral Hill’ selbst. Bei ‚Broken Circle’ dient der begradigte Uferstreifen des kleinen Sees als Durchmesser eines unterbrochenen Kreises, wobei ein Bogensegment durch Aufschüttung im Wasser und das zweite durch Ausschachtung und anschließender Flutung an Land gebildet wird. Auf der dadurch entstandenen halbkreisförmigen Landzunge ist ein großer Findling aus der Region platziert. Positiv – negativ, konvex – konkav, erst die Zusammenschau ergibt die Form eines Kreises. Unmittelbar oberhalb des Kreises befindet sich der ‚Spiral Hill’, eine kegelförmige Aufschüttung, die durch einen spiralförmig eingeebneten Weg begangen werden kann. Die Arbeit erweckt den Eindruck einer rituellen Stätte, Überbleibsel einer untergegangenen archaischen Zivilisation zu sein, die in einer durch die Eiszeit geprägten geologischen Formation platziert wurde. Die Vermutung stellt sich ein, dass Smithson hier Kleine-Jungen-Träume und pubertäre Allmachtsphantasien aktiviert, erwachsen aus kindlichen Sandkastenspielen, um vermeintlich grandiose Außenwelt-Denkbilder zu inszenieren. Was als Werk bleibt, ist das Memorial, das Denkbild einer ästhetischen Geste.
Die reine Anschauung lässt einen daher ein wenig ratlos zurück, sperrt sie sich doch gegen eine suggerierte mystische oder metaphysische Aufladung des Werks. Auch will es nur bedingt gelingen, die Form der Arbeit mit den oftmals illusionslosen und hochintellektuellen, streckenweise sarkastischen Einlassungen in Verbindung zu bringen, mit denen Smithson seine kulturkritischen und kunsttheoretischen Texte durchsetzte, waren Smithsons Artikel doch voll von humoristischen oder bissig-satirischen Anspielungen auf den heuchlerischen Ästhetizismus der Moderne. Zusätzliche Verwunderung oder gar Unbehagen kommt auf, wenn man in Rechnung stellt, dass zur Entstehungszeit der Arbeit noch der Krieg in Vietnam anhielt, bei dem es zu einem großflächigen Einsatz von Millionen Litern Entlaubungsmitteln, hauptsächlich Agent Orange kam, welcher zu einer Langzeitkontamination der Vegetation und der Bevölkerung mit dem darin als Verunreinigung enthaltenen Giftstoffen führte. Auch lag die erste Landung auf dem Mond noch nicht allzu weit zurück. Alles zusammen dürfte zweifellos eine echte Herausforderung an die Dialektik darstellen. Was bleibt ist demnach eine Geologie der Bilder. Neben unzähligen anderen Attributen haben Bilder unzweifelhaft wohl auch die Eigenschaft sich abzulagern, sich in Strukturen und Systemen aufzufalten. Sie werden nicht selten zu heuristischen Landschaften geformt und türmen sich hier und da selbst zu Bergen auf. Smithsons eigene Worte können vielleicht doch das am besten geeignete Fazit liefern: „Logikschutt stellt sich dem Betrachter entgegen, wenn er in die Schichten der Ablagerungen blickt.“