„Ich möchte Euch einen Tanz vorlesen.“

„Ich möchte Euch einen Tanz vorlesen.“


Harald Uhr über Simone Fortis ‚Sound Move‘ im Kunstmuseum Bonn, bis 23.10.16

Als Quereinstieg eignet sich das vielleicht sattsam bekannte heroische Statement des 1935 geborenen Minimalisten Carl Andre aus dem Jahre 1968: „A Man Climbs a Mountain because it is there. A Man Makes a Work of Art because it is not there.” Vor allem dann, wenn man es einer deutlich früheren Arbeit der im gleichen Jahr geborenen Simone Forti gegenüberstellt. Die Rede ist natürlich von ihrer sicherlich populärsten, weil vielfach aufgeführten, Performance „Huddle“ aus dem Jahre 1961. Gebildet wird dieser Haufen von einer eng zusammenstehenden Gruppe von etwa sieben bis neun Menschen, die sich, leicht gebeugt und die Köpfe zusammensteckend, einander umfassen und so eine Art Halbkugel formen, etwa wie eine verkleinerte Fußballmannschaft beim Einschwören vor dem Spiel oder aber eben auch, wie die Spitze eines Berges. In konstanter, aber nicht eilender Bewegung löst sich aus dieser Gruppe nach einiger Zeit jeweils eine Person heraus, klettert an den Körpern der anderen empor und wieder zurück in die Menge, von wo kurz darauf anschließend eine weitere Gestalt heraustritt, sich eine gangbare Konstellation sucht und nach oben klettert. Dieser Vorgang setzt sich in ähnlichem Rhythmus fort. Nach etwa zehn bis fünfzehn Minuten löst sich die Formation wieder auf – die Kunst verschwindet nahezu spurlos, aber auch der Berg ist nicht mehr da. Die Arbeit wirkt somit wie ein augenzwinkernd, ironischer vorweggenommener Kommentar zu Andres so scheinbar einleuchtenden wie erklärenden Worten.

Simone Forti, Thunder Makers, 1969, Sounding, 2012, ©The Box LA

Simone Forti, Thunder Makers, 1969, Sounding, 2012, ©The Box LA

In der Ausstellung, die das Kunstmuseum Bonn gemeinsam mit dem diesjährigen Beethovenfest der (Bewegungs-) Künstlerin, Choreographin, Tänzerin und Schriftstellerin eingerichtet hat, kommt die Arbeit ‚Huddle‘, die in wunderbarer Weise sowohl als Aktion, Tanz, Skulptur oder Objekt betrachtet werden kann, gar nicht vor. Man kann und sollte sie sich aber dennoch in einer der zahlreichen Versionen im Netz anschauen, etwa hier: http://ubuweb.com/film/forti_huddle.html. Warum sie, im Gegensatz etwa zu der großangelegten Retrospektive im vorletzten Jahr in Salzburg jetzt in der deutlich übersichtlicheren Präsentation in Bonn fehlt, hat eine einleuchtenden Grund. Sie kommt nämlich weitgehend ohne Musik, Geräusch- oder Tonelemente aus. Durch die Anbindung an das Beethovenfest wurden verständlicherweise vornehmlich Werke ausgewählt, die mit entsprechenden Klangfacetten daher kommen. Dennoch umspannt die Show Arbeiten aus den frühesten 60er Jahren bis weit in unser neues Jahrtausend hinein. Eins jedenfalls wird bei der Übersicht deutlich. Simone Forti ist bis heute eine helle und aufmerksame Beobachterin der jeweiligen künstlerischen Strömungen geblieben und hat diese nicht nur mitunter humorvoll und subtil begleitet, sondern hat immer wieder entscheidende Impulse gegeben und Anstöße geliefert, festgefahrene Vorstellungen ein wenig zu verflüssigen. Sabine Breitwieser formulierte ähnliches in Ihrem Salzburger Katalog: „Fortis künstlerische Arbeit artikuliert sich in einer beispiellosen Freiheit und in vielfältigen Verbindungen, als würden Disziplinen, Genres und Grenzen nicht existieren.“ Es ist nicht verwunderlich, dass Forti mit dieser Haltung lange Zeit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle agieren konnte.

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Simone Forti, Face Tunes, 1968, Sounding, 2012, ©The Box LA

Ende der 50er studierte Forti zunächst Malerei, zu einer Zeit also, als der Abstrakte Expressionismus noch State of the Art war. Wild gestikulierend wurden riesige Leinwände traktiert. Forti wechselte jedoch schnell in die Tanzimprovisationsklasse von Anna Halprin nach San Francisco. Hier, so ein Bonmot, welches Forti bei der Bonner Eröffnung zum Besten gab, konnte sie sich ähnlich betätigen, wie vor den Leinwänden, hatte aber nicht mehr die triefend nassen und öligen Bilder um sich herum. Klingt ja erst mal überzeugend. Action without painting wäre hier die Kurzfassung. Mit ihrem damaligen Mann Robert Morris zog Forti 1959 nach New York und entwickelte dort die Stücke, mit denen sie nachhaltigen Einfluss sowohl auf die Tanz- aber auch auf die Kunstszene nehmen sollte. Die ‚Dance Costructions‘ wurden wie eine Installation von Objekten verteilt im Raum aufgeführt. Zunächst 1960 in der Reuben Gallery in Soho und ein Jahr später in Yoko Onos Loft. Diese Aufführungen markierten einen Wendepunkt in der Auffassung von der Beziehung zwischen Körper und Objekt, Bewegung und Skulptur.

Simone Forti, Platforms, 1961, Sounding, 2012, ©The Box LA

Simone Forti, Platforms, 1961, Sounding, 2012, ©The Box LA

Zu den ‚Dance Costructions‘ gehört die eingangs erwähnte Arbeit ‚Huddle‘ aber auch das in Bonn gezeigte Werk ‚Platforms‘. Unter zwei unterschiedlich großen Holzpodesten liegen versteckt eine Performerin und ein Performer und kommunizieren durch an die Atmung angepasstes Pfeifen miteinander. Im gleichen Jahr 61 fertigte Morris seine proto-minimalistische Arbeit ‚Box for Standing‘,http://65.media.tumblr.com/ee890c80fd5b93096e32cf4a2070c72d/tumblr_n601r5qZvT1qand03o1_1280.jpg im Grunde eine aufgerichtete Version der Platform, die ebenfalls Platz für eine Menschen bietet. Wie Forti hatte Morris die Malerei hinter sich gelassen und experimentierte mit einfachen Objektformen und deren Zusammenspiel mit dem menschlichen Körper. Im weiter entwickelten Minimalismus sollten diese einfachen Formen später für sich stehen und dem Betrachter lediglich die Möglichkeit bieten, diese zu umschreiten. Für Forti hingegen behielt die Interaktion mit den Objekten weiterhin Vorrang. . Es geht ihr nicht nur um diese sargähnlichen Kisten auf dem Boden, sondern um zwei Menschen, die man nicht sieht und die miteinander kommunizieren – die versuchen, einander trotz dieses Getrenntseins zuzuhören. Ihr Ansatz jedenfalls kann als Initialzündung für die sich nur wenig später formierende Gruppe von Tänzern, Musikern und Künstlern gelten, die sich in der Judson Memorial Church in Greenwich Village regelmäßig trafen. Zu Ihnen zählten Yvonne Rainer, Steve Paxton, Robert Morris, Deborah Hay, Trisha Brown und viele mehr. Hervorgegangen war diese Gruppe, die den Post-Modern Dance prägen sollte, aus einer Tanzkompositionsklasse bei Merce Cunnigham, die der Cage-Schüler Robert Dunn leitete.

Simone Forti, Cloth, 1967, Sounding, 2012, ©The Box LA

Simone Forti, Cloth, 1967, Sounding, 2012, ©The Box LA

Für Simone Forti blieb jedoch die Anbindung an die experimentelle Musik eines John Cage, La Monte Young oder Charlemagne Palestine wichtiger. Daher nahm sie zwar an den Kursen teil, trat aber nicht in den Stücken des Judson Dance Theatre hervor, sondern beteiligte sich stattdessen an den Performances, Happening und Fluxus-Aktionen ihres damaligen zweiten Manns Robert Whitman. Wie eine Rückkehr zur Malerei mutet ihre daraus erwachsene Arbeit ‚Cloths‘ aus dem Jahre 1967 an. An der Oberkante dreier unterschiedlich großer Holzrahmen sind mit mehreren Lagen buntfarbener Stoffe befestigt. Für die Zuschauer unsichtbar kauert hinter diesen Rahmen jeweils eine Person und stimmt in unterschiedlichem Rhythmus einige ihrer Lieblingssongs an und wirft eines der Tücher über den Rahmen und wechselt sowohl das Erscheinungs- als auch das Stimmungsbild der Installation. In der Bonner Ausstellung werden diese und andere Arbeiten in regelmäßigen Abständen durch Studierende des Zentrums für zeitgenössischen Tanz der Kölner Hochschule für Musik und Tanz aufgeführt. Deren Präsentation darf man sich daher beim Besuch der Ausstellung nicht entgehen lassen. Andere Arbeiten, wie einen Solotanz Fortis im Garagenhof ihres Hauses in Los Angeles von 2012 oder eine Wiederaufführung einer gemeinsamen Performance mit Charlemagne Palstine im Innenhof der Pariser Louvre werden auf Video gezeigt. In einem hergerichteten ‚Listening Room‘ kann man sich diverse Musikstücke ihrer Mitstreiter anhören. „Mich interessiert, was wir durch unsere Körper über die Dinge wissen.“ lautet ein häufig zitierter Satz Fortis. Mit Ihrem Werk reflektiert Forti die Veränderungen im Denken über den Menschen und seine Umwelt, die sich in allen Künsten auswirken. Sie schließt damit in gewisser Weise durchaus an die zeitgemäßen Erkundungen des Anthropozäns an, welches neue Parameter des Verhaltens erfordert und eine Neubewertung unserer Verhältnisse zu alle den Kräften verlangt, seien sie belebt oder unbelebt, mit denen wir auf unserem Planeten koexistieren müssen.

Artikelbild: Simone Forti, Song of the Vowels, 2012, Sounding, 2012, The Box, Los Angeles, CA, Ausstellungsansicht


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