Von der Werkstatt ins Labor

Von der Werkstatt ins Labor


Ein persönlicher Rückblick auf kunstkritische Züchtungsversuche in Bonn und Düsseldorf

Einst Werkstatt, nun Labor – die Zeiten ändern sich. Als ich 2008 an der ersten „Werkstatt Kunstkritik“ in der Bonner Montag Stiftung teilnahm, schien das Wort „Werkstatt“ auf das viel beschworene „Elend der Kunstkritik“ anzuspielen. Der Motor der Kritik stotterte, eine Diskursreparatur war dringend nötig. So zumindest lautete die Diagnose von Christian Demand, der 2008 als Referent bei der von Noemi Smolik initiierten Workshopreihe für angehende und praktizierende Kunstkritiker grantelnd und hadernd in Erscheinung trat.

In den mondänen Räumen der Stiftung, die daran erinnerten, dass avancierte Kritik bis dato zumeist in privilegierten Kreisen entstanden ist, geißelte Demand „sprachliche Wichtigtuerei“, „moralische Hochstapelei“ und „schlechtes Denken“. Ich hatte bereits sein Buch Die Beschämung der Philister: Wie die Kunst sich der Kritik entledigte (2003) gelesen und begrüßte sein Plädoyer, das in nuce auf die Forderung hinauslief, Wolf Schneiders Regeln für gutes Schreiben endlich auf den Kunstdiskurs zu übertragen.

Im Dialog mit Smolik und Julia Voss (FAZ) erhielt ich in Bonn Gelegenheit, auch die eigene Diktion auf Redundanzen und Manierismen abzuklopfen – und damit zu einem Gang durch freundliche Fegefeuer, in welchem unter anderem mein Hang zur Ironie, zum adornesken Fremdwort und zur rhetorischen Staffage bemängelt wurden. Mit Lernprozessen verhält es sich wie mit dem Muskelaufbau und dem Kapitalismus: ohne schöpferische Zerstörung kein Wachstum. Dahingehend war der Workshop ein abbauend aufbauendes Erlebnis. Zwar war ich Textkritik gewohnt, hatte ich zu dieser Zeit doch bereits zahlreiche Beiträge unter anderem für die Stuttgarter Nachrichten, Die Zeit und kleinere Kulturmagazine verfasst. Mein Schwerpunkt war jedoch die Popmusik, wo eine frivolere Stilkultur herrschte. Nach dem Werkstattaufenthalt intensivierte ich meine Aktivitäten als Kunstkritiker, bestärkt darin, dass es gerade auf diesem Terrain noch einiges zu tun gab. Es galt, einige meiner Schwächen demonstrativ zu kultivieren, wie es Arnold Schwarzenegger vorgelebt hat, und die anderen nach Möglichkeit auszumerzen.

Nun wäre es sicherlich übertrieben und röche verdächtig nach unlauterer Werbung, vier Jahre später von einer eindeutigen Korrelation zwischen der Teilnahme an der „Werkstatt Kunstkritik“ und meinem anschließenden Werdegang als Kunstkritiker zu sprechen. Eines aber lässt sich festhalten: Geschadet hat es offenbar nicht. Es folgten Texte unter anderem für artnet, Monopol Magazin, FAZ, FAS, Texte zur Kunst, frieze d/e sowie zahlreiche Katalogbeiträge im In- und Ausland. Im Juni 2012 war ich schließlich selbst als Referent für Fragen der „Ethik der Kunstkritik“ mit von der Partie, diesmal beim „Labor Kunstkritik“ in der Düsseldorfer Arthena Foundation, deren mondäne Räume daran erinnerten, dass avancierte Kritik bis dato… siehe oben. Ich fungierte gleichsam als Dolly des ersten Workshops, wobei mir ein glücklicheres Schicksal als dem Retortenschaf beschieden war.

Der Namenswechsel im Titel der Veranstaltung war nicht nur mit Blick auf den Dolly-Faktor bezeichnend, sondern auch insofern, als im Kunstbetrieb der Begriff „Labor“ allgegenwärtig ist. Arts based research, artistic research, ästhetische Wissenschaft – heute amalgamieren die Disziplinen in den Reagenzgläsern der Inter-, Trans-, Multi- und Metadisziplinarität. Dabei wird mitunter übersehen, dass eine Leonardo-Da-Vinciisierung der Kunstszene von eher fragwürdigem Charakter wäre: weder ergäbe sie unmittelbar verwertbare Resultate, wollte man nicht die Eigengesetzlichkeit der Kunst preisgeben, noch würde die ästhetische Seite profitieren. Deshalb war es richtig, dass trotz Labelwechsel im Düsseldorfer „Labor“ an den bewährten, pragmatischen Standards der Vorgängerveranstaltungen festgehalten wurde: Input-Referate der Gäste (Jörg Heiser, Niklas Maak, Astrid Mania und ich) und der Initiatorin, Diskussionen, Ausstellungsbesuche (u.a. die Manifesta im belgischen Genk), Einreichung schriftlicher Kritiken der Teilnehmenden, abschließende Besprechung der Beiträge. In meinem Vortrag plädierte ich für eine närrische Kunstkritik, die weder in affirmatives Geplauder verfällt noch sich chronisch selbst überschätzt. Statt dessen, so meine These, solle sie sich an den subtileren Machtstrategien des Hofnarren orientieren, der gerade aus der Position der Unterlegenheit einen vielfach gebrochenen Einfluss entfaltet.

Angesichts der engagierten und differenzierten, so pragmatischen wie (selbst)kritischen Wortbeiträge der Teilnehmenden stellte sich zumindest bei mir der Eindruck ein, dass noch ausreichend sokratische Energien vorhanden sind, um für Stachel im Fleische des Kunstbetriebs zu sorgen. Eine Ethik der Kunstkritik besteht nicht aus einem prästabilierten Set von Regeln und Prinzipien, sondern entspringt der Bereitschaft, sich in einem offenen Diskurs über die eigene Position zu verständigen und diese beständig zu hinterfragen. Sokrates selbst hat es, ein wenig pathetisch zwar, auf den Punkt gebracht: „Daß ja eben dies das größte Gut für den Menschen ist, täglich über die Tugend sich zu unterhalten […] ein Leben ohne Selbsterforschung aber gar nicht verdient gelebt zu werden“.

 

Lesen Sie auch den Artikel „Abgründige Moderne“ von Charlotte Lindenberg, der im Rahmen des Labor Kunstkritik 2012 in der Arthena Foundation entstand.


tags: , , , , , ,