Sammeln im Geiste der Demokratie
Oliver Tepel über „Nur hier“, Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland in der Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland , Bonn, bis 14. April
Eine Kaskade farbigen Stoffs begrüßt den Besucher. Michael Beutlers „Carpet“ (2009), ein überdimensionierter Vorleger aus gerollten Flicken. So schmückend wie verwirrend in seinem Ausmaß. Überfrachtung der Sinne und Rätsel zugleich – Der Staat zeigt seine Neuerwerbungen der Jahre 2007 bis 2011. „Nur Hier“ nennt die Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn die bis zum 14. April laufende Präsentation jener jüngsten Ergänzungen der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland. Danach ziehen die Werke ihrer Wege. Tatsächlich ist diese Sammlung eine der letzten Gesten der Bonner Republik, wie sie sich zur Zeit der Kanzlerschaft Willy Brandts sah. Weltoffen, nicht zentralistisch, statt Prunk, ein ebenerdiger Bundestag wider zu hoher Hierarchien. So genügte 1970 ein einfacher Brief des Künstlers Georg Meistermanns an den Kanzler, in dem der damalige Vorsitzende des Deutschen Künstlerbundes vorschlug, eine Sammlung aktueller Kunst ab 1949 zu initiieren. Teams aus Fachleuten, auf Zeit bestimmt, sollten die Auswahl treffen. Bereits ein Jahr später begann die erste Kommission aus fünf Museumsdirektoren mit ihrer Auswahl, bald fanden sich in ihr auch Künstler, Kritiker und Kuratoren. Heute beruft der Beauftragte für Kultur und Medien die ehrenamtlichen Mitglieder. Als 2000 Kulturstaatsminister Michael Naumann die Vertreterin einer Art-Consulting-Firma hinzufügen wollte, trat die Kommission geschlossen zurück. Bislang der einzige Eklat.
Statt ein museales Gebäude zu füllen, sammelte man zunächst für die Wände von Ministerien und Botschaften, als „Darstellung eines neuen Geistes, wie er dem Selbstverständnis der Demokratie entsprechen sollte“, so Meistermann in seinem Brief. Nicht zuletzt wollte er, dass Politiker und Diplomaten sich stärker „mit jener Kunst identifizieren, die unsere Welt und unser Leben widerspiegelt“. Das gelang nicht immer. 1984 liess Helmut Kohl Meistermanns Brandt Portrait aus der Galerie im Kanzleramt entfernen – zu abstrakt. Dennoch wurde sein Projekt ein Erfolg, statt einen musealen Raum zu füllen, verleiht die Sammlung ihre erworbenen Arbeiten weltweit an Ausstellungsprojekte oder als dauerhafte Gabe. Dies erklärt auch den Titel der aktuellen Ausstellung, denn im Zusammenhang erblickt man die Neuerwerbungen „Nur Hier“.
Zudem wuchs Meistermanns Ansinnen schon während der ersten 10 Jahre zu einer Sammlung, die versucht, das Schaffen in der BRD lebender Künstler zu repräsentieren. Längst spricht man von „Lücken“, einige sind, ob des begrenzten Jahresetats von knapp 400.000 Euro, kaum mehr zu füllen. So stehen die Kommissionen unter dem Druck, recht junge Künstler im Hinblick auf ihre zukünftige Bedeutung auszuwählen. Das gelang ihnen nicht immer. Viele jener weltberühmt gewordenen jungen Maler der 80er wurden erst ab 1998 angekauft. Während über lange Zeit die Kommissionen fast jährlich wechselten, gab es seit 2000 nur deren drei. Doch gerade sie wagten zeitnahe Überblicke. Zugleich komplettierten sie die Sammlung aktueller Künstler – hier etwa mit dem Ankauf einer Arbeit der so stillen wie einflussreichen Jutta Koether oder sie entdecken ältere, zugleich aktuell wirkende Arbeiten, wie Ludwig Gosewitzs „A-E-I-O-U“ aus dem Jahr 1963. „Es geht darum, ein Spiegel des Schaffens und des allgemeinen Kunstdiskurses zu erhalten, frei und unabhängig vom Markt“, definierte Ausstellungsleiterin Susanne Kleine zur Eröffnung die Aufgabe. Natürlich sind alle der gezeigten Werke auch Teil des Kunstmarkts, aber inmitten der präsentierten Vielheit aus Farben, Formen, Ansinnen und Anlässen erscheint gerade heute auf’s Neue die Sinnfrage. Ihr Diskurs lebt.
Was vermag Kunst? – Kunst kann ihr Wesen ändern, besagt ein Text von Markus Gabriel Text im Katalog. Diese Qualität ausnutzend, hat sie jedoch längst all ihre scheinbaren Bestimmungen selbst sabotiert. Dennoch kehrt die Sinnfrage zurück, da neben der Kunstmarktflaute von 2009 vor allem eine enorme Disparität die vergangenen Jahre charakterisiert. Alte Zuordnungen und Bewertungen gerieten in Bewegung, zugleich scheint die Kunst in ihrer Vielfalt zu verstummen. Thomas Lochers Siebdruck „Politics of communication“ aus dem Jahr 2000, wirkt da wie ein stilles Echo der offensiv politischen Konzeptkunst der 90er. Doch die, neben Abbildungen von Büroschreibtischen eingefügten Sätze skizzieren sehr genau das kommunikative Problem: Welche Inhalte vermag Kunst mit ihren Mitteln zu transportieren? Harun Farockis Videoinstallation „Ernste Spiele“ (2009 – 2010) beschreibt Ausbildung und Kriegserfahrung US-Amerikanischer Soldaten anders als der TV-Beitrag eines Politischen-Magazins. Was addiert sie hinzu? Vielleicht jene Beklemmung, welche allein die Nacherzählung eines Traumas auslöst.
Kunst entzieht sich den Kommentaren. Nicht zuletzt merkt man dies in den Wandtexten, welche ausgewählte Werke dem Betrachter öffnen wollen. Ob etwa Eva Berendes dem dort unterstellten Augenzwinkern ihres eleganten schwarzen, von geometrischen Formen durchzogenen Paravents von 2007 zustimmen würde, mag bezweifelt werden. Auch wenn Silke Otto-Knapps schwarz-weisses Aquarell „Piano“ (2011) im Ton des belgischen Symbolismus eine an ihrem Instrument sinnierende Figur zeigt, fehlt darin jede Geste der Distanzierung. Diese Perspektive mag das eigentlich Neue der vergangenen Jahre kennzeichnen. Die unlängst noch allbeherrschende Ironie verklingt endlich, auch das bezeugt die Auswahl. So steht eine Kunst, die sich den lauten Posen oder der Idee des politisch konnotierten Widerständigen entzieht, für die Jahre 2007 – 2011. Wo Thomas Kilpper medienwirksam das Motiv des bekannten Photos einer Spionageaffaire für „Brandt/Guillaume“ (2009) ins Bodenlinoleum des ehemaligen Ministeriums für Staatsicherheit schnitt, verdampft das Politische zur Pose oder zum intellektuellen Diskurs für Kunstkenner. Kilpper lies eine ganze Reihe Bilder zum Thema „Überwachung“ in das Linoleum schneiden. Vielleicht wäre die Frage politischer, wer die Arbeit der für solch ein großes Projekt benötigten, aber ungenannt bleibenden ausführenden Künstler überwachte. Nein, Kunst war und ist nicht der naheliegendste Ort, will man demokratische Strukturen abbilden.
Doch dann steht man plötzlich in einem gleichseitigen Raum. An vier Wänden aufgereiht 100 Photos, jedes zeigt ein Menschenalter, beginnend mit einem Neugeborenen und endend mit einer 100 Jährigen. In der Mitte des Raums eine Vase mit Schnittblumen. Es macht Sinn, daß die Kuratoren ein Photo aus Hans-Peter Feldmanns „100 Jahre“ (1996 – 2000) als Plakat- und Katalog-Motiv wählten, überwindet der Gang entlang des Alterns doch viele Fragen nach Sinn und Bedeutung für eine sehr einfache aber eindringliche Mitteilung über das Leben und das Verrinnen der Zeit. Mögen folgende Generationen anhand der seit 1970 angekauften Arbeiten vergangene kulturelle Entwicklungen würdigen oder sich desinteressiert abwenden, so wie wir oft von der akademischen Salonkunst des 19. Jahrhunderts, diese Arbeit sendet einen Eindruck dessen, was Kunst vermag über Zeiten und Definitionen hinweg.
Oliver Tepel
(Ungekürzte und leicht überarbeitete Version des zur Ausstellungseröffnung erschienenen Printtexts.)