Besprechung Die Macht der Mode

Besprechung
Die Macht der Mode


„Die Macht der Mode. Zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und Republik“ in der Textilfabrik Cromford, Ratingen, bis 30.10.2016. Von Oliver Tepel.

Die zwei bedeutsamsten Jahrzehnte der Mode? Vielleicht könnte man sich heute auf die Jahre 1962 bis 1982 einigen, Zeiten, in denen die Haute Couture letzte Avantgardekreationen schuf, welche noch ihren Weg auf die Straße fanden, während die Straße mit den Moden der Jugendkulturen auf die Haute Couture zurückwirkte. Eine Verflechtung, welche Raum gab für alle möglichen Lebensentwürfe, repräsentiert im Look der Menschen. Große Freude hatten vor allem die Jugendkulturen an den Bedeutung kleinster Zeichen. Ein guter Teil jener Bedeutungen war längst frei, klischeeisiert oder sinnentleert warteten sie darauf, neu interpretiert und in den folgenden Jahrzehnten dann vergessen zu werden.

Doch wann war der Moment, an dem die Zeichen an Freiheit gewannen? Die Ausstellung „Die Macht der Mode“ in der Textilfabrik Cromford in Ratingen erinnert an genau jenen Moment. Dort, wo in der Ausstellung die Mode um 1900 mit jener anno 1920 kontrastiert wird, erscheint es gleich einer Zeitenwende, nichts, was ein Mensch erlebt haben könnte, während er sich einfach nur vom 18. ins 38. Lebensjahr bewegte. Doch so war es! Dieser Mensch wäre als Mädchen noch mit Korsetts zur Formung des Körpers aufgewachsen, in Kleidern, die es kaum ermöglichten, die Arme zu haben, um dann in einer Welt zu landen, in der man vielleicht mit dem eigenen Auto in Nachtlokale fuhr, wo man im kastig geschnittenen Pailettenkostüm, die befreiten Arme schlacksig wedelnd, wild tanzte. Gut, dies sind Visionen eines hippen, bourgeois-bohemen Großstadtlebens, doch vielleicht symbolisiert die Metropole im Kunstlichterschein jenen epochalen Wandel weit mehr, als die marschierenden Soldaten, welche der jungen Dame des Ankündigungsbilds in Manier einer Doppelbelichtung auf ihr legeres Kleid projiziert wurden.

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Drei Radfahrerinnen, Anfang des 20. Jahrhunderts © LVR-Industriemuseum

Klar, der Kontext liegt nah, selbst wenn 2014 das Jahr mit all den Ausstellungen zum ersten Weltkrieg war, bleibt das Thema virulent. Zu recht, denn eine Unschärfe, mal zu fern, mal zu nah, dominiert die persönliche und zusehends auch akademisch historische Wahrnehmung jener Zeit. Zugleich mag eine entsprechend fixierte Thematik auch Besucher mobilisieren. Doch, sie verkürzt auch.

Tatsächlich war der Krieg in seinen Folgen für die Herrenmode weit bedeutungsvoller, allerdings bezeugt die Ausstellung auch dies mit einer enormen Menge an kompletten Kostümen und Ausstattungen, oft original oder liebevoll rekonstruiert.

In zwei der drei Ausstellungsräumen umkreist man diese beeindruckende Ansammlung imaginierter Charaktere. Man hat sich dafür entschieden, die Kleidung lebensecht, also, wie angezogen zu drapieren, aber weitestgehends ohne Mannequinpuppen zu benutzen, erst als diese in den 20ern Zeitkolorit sind, erscheinen sie als Köpfe in einem nachgestellen Schaufenster. Doch die Abwesenheit der Körper verdeutlicht nur umso mehr, wie jene präsentierten Kleider Charaktere schufen.

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Eng geschnürte Kleider im Sans-Ventre-Stil in der Ausstellung, Foto: Jürgen Hoffmann © LVR-Industriemuseum

So war der männliche Vorkriegscharakter stets militarisiert, auch die Ausgehgaderobe zeigte den Mann als Teil der Armee, was ihn repräsentierte, war sein militärischer Status, einer, dessen Abbild den klaren Vorgaben von Dienstgrad und angemessener Erscheinung folgte, die Welt des Hauptmann von Köpenicks. Nach dem Entsetzen des Kriegs verschwindet das Militärische, Beruf und Ausbildungsgrad mögen erkennbar sein, dies aber jenseits von Abzeichen und mit einem zusends wachsenden persönlichen Spielraum der Gestaltung des Selbst.

Diese Spannung prägt eine mogliche Betrachtungsperspektive auf die vielen Kleider, ihre Bedeutung wird individueller und verliert damit auch den festen Verweisrahmen – der Prozess der Moderne. Doch bezeugen die ältesten Damenkleider mit ihren Referenzen an Barock- und Rokoko- Stile, eine Form des überhöhenden Zitats, welches an die postmodernen Retro-Fetisch-Szenen unsere Tage erinnert: von allem bewusst zuviel, noch enger wird die Taille geschnürt, noch verstellter die Haltung, in welche das Keid ihre Trägerinnen nötigt. Jene unverholene Fetischsierung des zugleich nahezu komplett verhüllten weiblichen Körpers ist heute tatsächlich nur in entsprechenden Subkulturen opportun, dann vor allem aber Ausdruck einer freien Entscheidung der Trägerin! Dass wir dennoch nicht ganz frei davon sind, bezeugen ein paar, etwas keck zum Massnehmen aushängte Bänder, die mittels Knopf und Schlaufe eine definierte Taillenweite anzeigen, eigentlich um das bizarre Corsagenidealmaß zu verdeutlichen. Die Schlaufen der kürzesten Massbänder sind fast alle gerissen… Noch wirksam, die aufoktruierten Ideale und Rollen gegen die der erstarkende Feminismus kämpfte. Doch nicht nur der, sondern auch die Medizin, bald mit einem machtvollen Wortgeber: die boomende Industriewelt entdeckte die Frau als Produktionsfaktor und als Konsumentin ganz neuer Dinge.

Bürgerliches Paar in Sommerkleidung, 1890er Jahre © LVR-Industriemuseum

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Reformkleid mit Jacke für den Tag, 1900-1910 © LVR-Industriemuseum

Autofahrerinnen-Mantel mit Schutzbrille und Schutzhaube, 1910er Jahre © LVR-Industriemuseum

Autofahrerinnen-Mantel mit Schutzbrille und Schutzhaube, 1910er Jahre © LVR-Industriemuseum

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Kluft eines Wandervogeljungen, 1910er Jahre © LVR-Industriemuseum

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Typisches Charlestonkleid mit Federboa, Mitte der 1920er Jahre © LVR-Industriemuseum

Sportliches Outfit eines Herrn, 1920er Jahre © LVR-Industriemuseum

Sportliches Outfit eines Herrn, 1920er Jahre © LVR-Industriemuseum

Vielleicht ist dieser Wandel, illustriert von aussagekräftigen Wandphotos der augenfälligste. Als Frauenrechtlerinnen neue gesellschaftliche Räume eroberten, warteten dort Straßenbahnen, Autos, Maschinen; der Umgang mit der Technik forderte Kleider, die sich nicht in Hebeln und Zahnrädern verhedderten, forderte Beweglichkeit und eben jene Normalität, welche Männer, auch mit ihren Modeidealen, Frauen zuvor versagten. Dennoch lugt das 19. Jahrhundert noch aus dem Bild einer Landpartie im Auto, nur hielten nun breite Bänder die Hüte und Gazeschleier schützen vor Staub. Doch gleichzeitig erscheint manch neue Kleidung wie die Realisierung einer futuristischen Phantasie. Ein wunderbares jagdgrünes Fahrradkostüm von 1900 wäre heute längst wieder Haute Couture. Was und wieviel von den so schnell sich ausdifferenzierenden Arbeitskleidungen in der Mode späterer Jahrzehnte zweckentfremdet aufgegriffen wurde, auch davon berichtet die Ausstellung en passant. Die Angaben zu Machart und den verwandten Materialien sind meist sehr präzise, hier geht es wirklich um Kleidung, nicht allein um ihre Bedeutung als Trope oder Metapher. Zu Recht, denn vieles des einstigen Schneiderhandwerks ist längst verlorene Kultur.

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Anzeige des Warenhauses Tietz, Anfang des 20. Jahrhunderts © LVR-Industriemuseum

Vielleicht begann dieser Prozess mit den Kaufhäusern, welche mehrmals thematisiert werden. Zu Beginn waren allein Capes Konfektionsware, da sie keinen individuellen Schnitt benötigten. Man kaufte sich für alles andere Stoffe, Schnitte und holte das Kleidungsstück dann später ab. In unserer Jeans + T-Shirt Welt ist das Gefühl für Materialien, Verarbeitung oder einen genau sitzenden Schnitt längst verschwunden. Dennoch erkennen wir uns in der Kleidung der 20er schon ganz gut wieder, auch dank ihrer ersten Gesten einer Jugendlichkeit oder urbanen Boheme. Doch das Spannungsspiel zwischen Uniformität und Individualismus hat sich aufgelöst, die individuelle Befreiung ist heute eine letzte Bastion der Freaks, modischer Aussenseiter, mutiger Einzelgänger. Welch neue Welt des „Ich“ stattdessen einst die Warenhäuser verhiessen, davon zeugen auch Filmausschnitte, etwa aus dem Berliner Klassiker „Menschen am Sonntag“.

Es gibt so viel zu bestaunen, zig Details, etwa Badeschuhe mit Hermesflügeln, die vielleicht in genanntem Film getragen wurden und heute wie Prototypen der Sneaker-Welt erscheinen. Dann zig Varianten von Matrosenanzügen, wie sie heute noch japanische Schulkinder anziehen, während sie in ihrer Freizeit vielleicht ans 19. Jahrhundert angelehnte Lolita Kleider ausführen. Auch der Krieg, avisierter Fokus der Ausstellung, zeigt seine unmittelbaren Spuren, doch vornehmlich in Plakaten, welche zu Haarspenden und dem Sammeln von Brennesseln, aus denen Gewebe hergestellt wurde, aufrufen. Schnittmuster weisen auf die schlichte Mode, welche sich auch international während des Zweiten Weltkriegs durchsetzte, als beklommenes Zeichen der Solidarität und auch als faktische Armut. Das bleibt eh klar, die gezeigte Mode ist jene des Bürgertums, bis die industrialisierte Produktion einer universalen und somit weit günstigeren Konfektion die Warenhäuser der 20er zu Traumorten vieler machte.

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Blick in die Ausstellung, Foto: Tanita Dreßen © LVR-Industriemuseum

Was oftmals die hohe Kunst in Ausstellungen vergleichbarer Thematik bezeugen soll, aber nicht so recht zeigen kann, das schafft die Mode, zumindest wenn sie so präsentiert wird, wie hier: Man sieht in multiperspektivischer Komplexität den rasanten Wandel einer Gesellschaft. Dies so gut zu vermitteln, ist schon eine kuratorische Meisterleistung.

Die zwei bedeutendsten Jahrzehnte der Mode? – Jetzt wissen wir die Antwort.


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