Fluxus ist nur der Rahmen

Fluxus ist nur der Rahmen


Die Galeristin Christel Schüppenhauer verabschiedet sich mit der Ausstellungstrilogie „Schlusspunkt“, bis 15.12.

Ein zierlicher Schuh mit Buch, serviert auf einem Teller, umhüllt von Papierschnipseln voll winziger Schriftzeichen. Chinesisch, Arabisch, Französisch: Das collagierte Objekt „Un petit déjeuner conte de fée“ von dem Prager Künstler Jiří Kolář aus dem Jahr 1979 ist kaum über die Sprachschnipsel zu entziffern. Es wirkt wie ein kleines, beiseite gestelltes Gedicht aus vielen verschiedenen Kulturen. Die Arbeit ist einer der feinen Schätze visueller Poesie, die Christel Schüppenhauer für ihre letzte Galerie-Schau aus dem Depot geholt hat. Nach über 300 Ausstellungen, darunter die große „Fluxus-Virus“-Ausstellung 1992 im Kölner Kaufhof-Parkhaus, beendet sie mit der Ausstellungstrilogie „Schlusspunkt“ zum Jahresende ihre Tätigkeit als Galeristin.

Es ist kein Abschied mit Getöse, sondern eher eine höfliche Verabschiedung mit Werken, die die bewegte Geschichte der Galerie belegen: Schüppenhauer, die gerade 70 Jahre alt geworden ist, spricht nicht viel über sich selbst, wird nicht sentimental und verliert sich nur ungern in Anekdoten: „Ich möchte einfach meinen Kindern, kein Chaos hinterlassen, deshalb habe ich beschlossen, mit 70 höre ich auf“, sagt sie schlicht. Im Vordergrund ihrer Berichte stehen stets die Künstler, Ben Patterson, Ben Vautier, Mary Bauermeister, Emmet Williams, Jiří Kolář, Karel Trinkewitz und viele andere, mit denen sie ab 1980 in Essen-Kettwig und ab 1987 in Köln – zuletzt in der Luxemburger Straße – zusammengearbeitet hat. „Mein Ziel war es Künstler zu finden, die grenzüberschreitend arbeiten“, sagt die Galeristin, die in ihrem Programm visuelle und konkrete Poesie, Fluxus und Concept Art vereint.

„Künstler einer verlorenen Generation“

Der politische Rahmen hat sich seit Gründung der Galerie 1980 völlig verändert: In großen westlichen Tageszeitungen erschien am 1. Februar 1977 eine Petition von Künstlern, Intellektuellen und Arbeitern der Tschechoslowakei. Im Rahmen der „Charta 77“ richteten sie sich gegen Verletzungen der Menschenrechte durch die eigene Regierung. Kurz darauf wurden viele der Unterzeichner zur Emigration gezwungen, darunter auch der Prager Künstler Karel Trinkewitz. Christel Schüppenauer kannte Trinkewitz aus früherer Begegnung in Prag und nahm ihn 1979 bei sich auf. Damals noch unter dem Namen PRAgXIS, eröffnete sie die Galerie 1980 mit einer Einzelausstellung von Trinkewitz in einer alten Arztpraxis in Essen-Kettwig.

Die poetischen Steine von Trinkewitz aus den Jahren 1966 bis 1970 tragen heute in fetten Lettern die Namen Samuel Beckett und Roland Barthes. Nach außen wirken sie wie stille Waffen des intellektuellen Protests, in ihrem Inneren tragen sie die kritischen Schriften, die Trinkewitz gegen das kommunistische System verfasste. Trinkewitz war selbst neben anderen Intellektuellen und Künstlern am Prager Frühling beteiligt, der 1968 von sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurde.

Aktuell bei „Schlusspunkt“ erinnern Collagen von Kolář und Trinkewitz an diese Zeit. „Eigentlich sind das die Künstler einer verlorenen Generation, die nie eine richtige Chance hatten, bekannt zu werden“, bemerkt die Galeristin und betrachtet eine Collage von Trinkewitz. Neben dem ständigen Suchen nach Verbindungslinien zwischen Bildender Kunst, Musik und Literatur, die das starre Denken aufbrechen, hat die Galeristin immer den Austausch zwischen der Kunst der ehemaligen Tschechoslowakei und der „Westkunst“ gefördert. So besonders bei der Ausstellung „WortLaut: Konzepte zwischen visueller Poesie und Fluxus“, die 1989 im Museum Bochum und 1991 als erste Ausstellung einer westlichen Galerie nach 1989 in Prag stattfand.

Eine kokelnde Ente über den Dächern der Schildergasse

Ein weich ummantelter Kleiderbügel erinnert heute an eine weitere große Ausstellung der Galeristin. An dem Bügel befestigt ist ein Einkaufsnetz und in Plastik geschweißte Geburtstagskerzen. Die charmante Assemblage bezeugt den Gedankenaustausch, den die Galeristin mit Ben Patterson bei einem Rheinspaziergang zu „Fluxus-Virus“ führte: „Wir haben einfach so rumgesponnen, uns Zeit genommen, zu fabulieren.“ (Ob der Spaziergang wohl fünf Zigarettenlängen dauerte, da die Stummel fein säuberlich in der Collage verarbeitet wurden?)

Mit „Fluxus-Virus“ feierte man von September 1992 bis Januar 1993 den dreißigsten Geburtstag von Fluxus. Die Ausstellung war erst in Köln und dann in München zu sehen. Schüppenhauer war Initiatorin und es gelang in Köln das Kaufhof-Parkhaus als ungewöhnlichen Ort für die 29-tägige Ausstellung zu bekommen. Auf mehreren Ebenen waren die Werke und Aktionen zu sehen – bis heute bleibt das besondere Bild von Pattersons kokelnder Citroën-Ente über den Dächern der Schildergasse in Erinnerung. Neben Nam June Paik, Alison Knowles, Eric Anderson, Mieko Shimoni, Mary Bauermeister nahm noch einmal die Riege internationaler Fluxus-Künstler an der Ausstellung teil – außer John Cage, der kurz vor Ausstellungsbeginn im August verstorben war.

Cages gattungsübergreifender Ansatz, der Lärm und Alltagsgeräusche in einem Kompositionszusammenhang als Musik auffasste, zieht sich dennoch wie ein roter Faden durch viele der Galerie-Ausstellungen. Mit Gewohnheiten brechen, Worte mit Bildern und Dingen verkleben, das Überdenken von Sprache zwischen Objekt, Bild und Geräusch ist bei der Galerie Schüppenhauer als Ansatz verwurzelt. Das macht ihr Programm bis zuletzt einzigartig. Fragt man die Galeristin heute nach ihrer Vorstellung von Fluxus, sagt sie: „Fluxus ist nur der Rahmen für eine offene Kunstrichtung“

Zuletzt stellt sich nur noch die Frage, wie sich diese manchmal so ephemeren Fluxus-Werke eigentlich über all die Jahre verkauften? Die Galeristin reagiert mit einem Lächeln: „Sicher war Pop-Art immer teuerer als Fluxus. Trotzdem gab und gibt es viele Privatsammler für Editionen und originale Einzelwerke und natürlich Museen.“ Aber oft hätten die Künstler einfach gemacht, ohne zu wissen, ob sie jemals Geld dafür bekämen. Heute, findet die Galeristin, sei die Kunst sehr ernst geworden und es wirke oft wie der Tanz um das goldene Kalb.


tags: , , , , , , , , ,