Ja und ja!

Ja und ja!


Das „Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt)“ ist noch bis zum 14. August 2017 in der Jubiläumsausstellung des Kolumba zu sehen. Eine Besprechung von Michael Stockhausen

Es bleibt problematisch: Darf, kann oder muss man Outsider Art in musealen Kunstausstellungen zeigen? Was wären die Bedingungen für eine Begegnung auf Augenhöhe? Sind unser diskursbestimmter Kunstbegriff oder der Beruf Künstler Eins zu Eins übertragbar? Oder sind einzig die Ewiggestrigen das Problem, die noch immer danach fragen, was man dürfen, können, müssen soll?

Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt), Ausstellungsansicht Kolumba 2017 © Kolumba und KAT18, Foto: Lothar Schnepf

Vorab: Das Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt) ist hochprofessionell eingerichtet und gekonnt installiert. Das Team um die tschechische Künstlerin Eva Kot’átková (* 1982, lebt und arbeitet in Prag) hat so überzeugende Arbeit geleistet, dass es sich mit ihrer derzeit zu sehenden Ausstellung lohnt, erneut über die Ein- wie Ausschlussmechanismen im Feld der Kunst nachzudenken. 2016 arbeitete Kot’átková für zwei Wochen als Artist in Residence mit „künstlerisch begabten, mental behinderten Menschen“ (Saaltext) des Kölner Kunst- und Atelierhauses KAT 18 zusammen, in welchem Jutta Pöstges die künstlerische Leitung innehat. Aus der Beobachtung eines besonderen Interesses für bestimmte Körperteile innerhalb der visuellen Auseinandersetzung entwickelten sie das Büro. Nun zog es, kuratorisch von der Kunstkritikerin Noemi Smolik unterstützt, in den Südturm des Kölner Kolumba ein. In dessen Jubiläumsausstellung erweist es sich als absoluter „Insider“.

Anna Rossa, Mund, 2016, Ölpastell auf Filz / Foto: Britt Schilling / © KUBiST e.V.

Zu seinem zehnjährigen Bestehen denkt das Kunstmuseum des Erzbistums Köln in einer abwechslungsreichen Sammlungspräsentation „Über das Individuum“ nach und hat unter anderem Eva Kot’átková und das KAT 18 eingeladen, die eigenen Exponate um aktuelle Beiträge zu ergänzen. In der Tradition des Hauses wird dabei auch im zehnten Jahr ein spartenübergreifender Parcours über drei Ausstellungsetagen angeboten, der von koptischen Textilien aus dem 5. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Den gegenwärtigsten Part bildet das Büro. Denn mitunter trifft man hier die Beteiligten des KAT 18 selbst an, die zu flexiblen Bürozeiten in der Installation arbeiten. Doch der Reihe nach.

Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt), mit Arbeiten von Nicole Baginski und Andreas Maus © Kolumba und KAT18, Foto: Lothar Schnepf

Betritt man den 20. Raum des Kolumba-Rundgangs, das längliche Kabinett vor dem Südturm, trifft man auf die eigenwillige Untersuchung einzelner Körperorgane. Eine Zeichnung mit hineincollagierten, anatomischen Abbildungen des Auges eröffnet die Reihe von Papierarbeiten, welche sich ganz im Sinne des Titels nacheinander Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske widmen. Die vornehmlich im Din A4-Format gehaltenen Blätter wenden sich mal mehr den formalen Qualitäten einzelner Körperteile zu, mal transformieren sie diese poetisch, lassen ihnen Flügel und scharfe Zähne wachsen oder überführen sie in animistische Metamorphosen. So gibt es beispielsweise einen Block mit 20 Handstudien, welche Augen in den Handflächen aufweisen oder denen aus einem Gelenk eine Doppelhand wächst. Wie beim Schattenspiel sind die Handrücken aneinanderfügt und ahmen den Flug eines Vogels nach. Neben den auf schwarzen Konturlinien basierenden Reflexionen über den Tastsinn knallen die rot- bis rosafarbenen Münder mit ihren bedrohlichen Kauwerkzeugen heraus. Dynamisch wie farbenreich sind auch die dem Themenkomplex Maske geltenden Collagen: „Es grüßt die Maske 2017“, kann man hier lesen. Die aus Magazinen ausgeschnittenen Buchstaben rahmen eine Art Sturmhaube mit runder Augen- und Nasenöffnung. Über dem O-förmigen Mundausschnitt ist ein rosafarbenes Kreuz mit Kreis geklebt, eine Mischung aus Jerusalemer Kreuz, Rad- und Fadenkreuz. Ein kritisch zu lesender Verweis auf den katholisch geprägten Ausstellungsort? Eine politische Anspielung scheint sich in „USA, das verlorende Gesicht“ zu zeigen. Eine hautfarbene Maske im Profil blickt am oberen rechten Bildrand über diesen hinaus, während hinter ihr eine blattfüllende Chimäre aufragt, mit zackigen Hörnern, Wolfsgebiss, zornigem Blick und einem hufartigen Teufelsfuß.

Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt), mit Arbeiten von Susanne Kümpel und Andreas Maus © Kolumba und KAT18, Foto: Lothar Schnepf

Dann, beim Betreten des tageslichtreichen Südturms, steht man vor dem raumfüllenden „Herz des Büros“: Einer bühnenartigen schwarzen Bodenplatte, auf der u. a. alte Schreibtische, hölzerne Bürostühle, Container, Schränke, Stempel, Schreibmaschinen und prähistorische Telefone arrangiert sind. Großformatige Cut-outs, welche die titelgebenden Elemente erneut aufgreifen, hängen von der meterhohen Decke. Fragil und leicht schweben Mund, Nase, Hand & Co. in dem kapellenartigen Raum über den jeweiligen Arbeitsplätzen und markieren dabei die einzelnen Zuständigkeitsbereiche, die in diesem Büro zusammenkommen. Mit Hilfe der ausliegenden Saaltexte lässt sich decodieren, welche bzw. welcher der sieben künstlerisch Begabten des KAT 18 für Zunge, Herz, Hand, Maske, Nase, Auge oder Mund zuständig ist, wie alt sie sind und wo sie leben. Während auf und über der Bodenplatte eine starke Verdichtung zu beobachten ist, sind die umlaufenden Turmwände weitestgehend freigelassen worden, was dem Setting gut tut und die einzig dort angebrachten Fotografien stärker zur Geltung bringt. Auf ihnen sind die Beteiligten in selbstentworfenen Kostümen und Masken zu sehen, stolz oder verschmitzt flirten sie mit der Kamera.
Die Arbeitsplätze wirken, als seien sie eben verlassen worden. Zwar scheint eine bestehende Ordnung eingehalten, doch ist diese mitnichten museal, sondern dem Prozess der fortlaufenden Arbeit geschuldet. Ein Papierbogen ist in die Schreibmaschine eingespannt, die Karteikarten sind umgeschlagen, Tonnasen, mit Augen bemalte Filzstreifen, Malereien, gebastelte Figuren, anziehbare Kostüme oder Masken, die sich zum Teil auf den Fotografien wiederfinden, offenbaren sich beim Rundgang um die Bodenplatte. Die anwesende Abwesenheit, die in der Konstellation der Dinge spürbar wird, kann sich in körperliche Präsenz wenden, welche das Werk erst vervollständigt. Dann trifft man hier auf die künstlerisch Arbeitenden selbst, die im gleißenden Licht des Turms konzentriert und versunken an ihrem Schreibtisch werken oder den kurzen Austausch suchen. Die Bürozeiten sind flexibel und nicht vorhersehbar, sie richten sich nach dem Alltag der Bürobelegschaft und der Tagesform jedes einzelnen.
Die hinter diesem Arrangement stehende Künstlerin Eva Kot’átková ist spätestens seit ihrer Beteiligung an der 55. Biennale von Venedig, 2013 keine Unbekannte mehr und vor allem im Rheinland ein gerngesehener Gast. 2014 erhielt sie den Bonner Dorothea von Stetten-Kunstpreis, 2016 stellte sie im Krefelder Haus Esters aus, aktuell ist sie auch im K21, Düsseldorf, mit einem beeindruckenden Künstlerraum vertreten. In dem Büro mit dem KAT 18 kulminieren unterschiedliche Aspekte, mit denen sich die tschechische Künstlerin seit vielen Jahren beschäftigt. Zwar steuerte sie keine eigenen Werke bei und überließ diesen Part den Büroangestellten, doch vor allem in der gekonnten Inszenierung, in der Zwiesprache der Objekte zeigt sich ihre Handschrift. Aspekte des Surrealen wie Theatralen – Schlagwörter, mit denen auch der Kolumba-Beitrag umschrieben wird – gehören zum Interpretationsrepertoire ihrer Skulpturen, Collagen und Environments. Darüber hinaus realisierte sie im vergangenen Jahr in Arnheim bereits ein Büro, das zu festen Zeiten besetzt war. Ergo: Die Künstlerin weiß, was sie tut.

Andreas Maus, Maskenchef, 2017, Tusche auf Papier / © KUBiST e.V.

Wie bereits erwähnt, passt ihr in Kooperation mit dem KAT 18 entstandener Beitrag zur Jubiläumsausstellung des Kolumba zweifelsohne in den Rundgang. Nicht nur, dass die Frage nach dem Individuum sich an der individuellen körperlichen Präsenz der Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske-Beauftragten konkret stellt, es ergeben sich auch überzeugende Bezüge zu Werken benachbarter Künstlerräume; so etwa zu dem „BURGWITZMENSCH“ von Kurt Benning oder zu Chris Newmans Videoinstallation, die ihn in seiner Berliner Wohn- und Arbeitssituation zeigt. Und auch der Brückenschlag ins christliche Mittelalter gelingt fulminant. Nach Verlassen des Südturms, zwischen unzähligen Sockeln, auf denen die steinernen Archivoltenfiguren aus dem Petersportal des Kölner Domes vom Ende des 14. Jahrhunderts lebhaft inszeniert sind, stellt sich die Frage, wo das Büro eigentlich endet. Hier schreiben die Kirchenvertreter selbstversunken, Hände sind zur Predigt erhoben und Engel musizieren emsig – eine arbeitssame Performance des „Büro für den Herrn“? Ein Raum weiter fällt der Blick auf eine kleine, goldgerahmte Malerei aus Siena, Mitte des 15. Jahrhunderts: Der hl. Hieronymus lauscht an seinem Pult aufmerksam der erscheinenden Blesilla und notiert ihre Worte. Auch der Kirchenvater letztlich ein Angestellter des Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt)?
Diese Grenzverwirrung, das Aufbrechen der Unterteilungen zwischen Kunst und „Außenseiter-Kunst“ gelingt dem Team um Kot’átková einerseits durchaus und das Kolumba mit seiner zeiten- wie spartenübergreifenden Ausstellungspraxis ist ein prädestinierter Ort, dies zu wagen. Doch andererseits, es bleibt problematisch. Und dies liegt zunächst weniger an dem Kunst-, sondern zuvorderst an dem Bürobegriff. Die „künstlerisch begabten, mental behinderten Menschen“ werden mit einem Ordnungsgefüge konfrontiert, das sie nicht überblicken können. Überdeutlich wird dies, wenn die Beteiligten über „das“ Büro nachdenken und ein eigenes Reglement für ihren Arbeitsort formulieren. Die handschriftlich verfassten Aussagen sind ebenfalls ausgestellt und Teil der Bühneninstallation: „Wer im Firmenbüro mit Fäusten prügelt […] und Rauschgift nach jeder Art nimmt, wird ohne Verwarnung fristlos gekündigt“. „Rufmörder und Belästiger“ sind ebenfalls nicht geduldet und sollen per „Bespitzelung“ oder „Denunzierung“ „an die oberste Geschäftsleitung“ gemeldet werden. Andere Texte beschäftigen sich mit Pausen, Arbeits-, Kaffee- und Teezeiten. Auf einer großen Tafel steht mit Kreide unter der Überschrift „Regeln“ geschrieben, dass man sauber, gepflegt, nicht betrunken am Arbeitsplatz erscheinen soll, dass man weder prügeln, stinken noch etwas beschädigen dürfe, denn „sonst könnt ihr nach Hause gehen und braucht nicht mehr kommen.“ Dies liest sich absurd, lustig und im Abgleich mit den aktuellen Anforderungen im Ordnungssystem Büro oder Berufswelt letztlich naiv. Blickt man mit dem Fokus Bürobegriff erneut auf das arrangierte Mobiliar, das zwischen nostalgischer Schul- oder Kontorheimeligkeit schwankt, gerät die Augenhöhe weiter in Schieflage: Wie sollte der Besucher keine nostalgische Differenz zum eigenen Arbeitsalltag aufbauen, wenn sein Blick auf eine Schreibmaschine oder ein Bakalit-Telefon mit Drehscheibe fällt. Weshalb verführt mich Kot’átková zum verniedlichenden Puppenstubenblick? Warum werden künstlerisch begabte Menschen unter einem Bürobegriff formiert, zu dem sie keine Mündigkeit aufbauen können?

Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt), mit Arbeiten von Anna Rossa © Kolumba und KAT18, Foto: Lothar Schnepf

„Es ist ein Büro, das keine anderen Ansprüche als künstlerische Verwirklichungen und Performances hat, die ohne Vorwarnungen geschehen“, schreibt die Künstlerin im Saaltext. Dies klingt gut, doch wäre Atelier vielleicht das geeignetere Wort. Wozu braucht es den Bürobegriff und dessen theatrale Inszenierung? Ist dies ein Feld, in dem die Beteiligten des KAT 18 mit ihrer Begabung überzeugen oder bloß einen „surrealen Raum“ erzeugen können? Vor der Folie „Büro“ gerät die Installation in eine Schieflage, die es mir erschwert, das Setting nicht ins Niedlich-Spielerische abrutschen zu lassen – wobei die Papierarbeiten im vorgelagerten Kabinett und die dort zu findenden Wortreihen wie „ZERINSCHMERZEN“, „HERZEL, NARBE, KÖRPERSEELE“ auf Augenhöhe zu mir sprechen.

Obgleich sich Kot’átková respektvoll ins KAT 18-Team einreiht und in ihrem Saaltext den Künstlerbegriff auf alle gleichermaßen anwendet, die feinen Unterschiede zum Beruf Künstler und zur Arbeitswelt Kunst lassen sich nicht gänzlich aufheben. Integration bedeutet nicht zwangsläufig auch Diskursmündigkeit. Der Versuch, hierarchisches Denken zwischen Kunst und Außenseiter-Kunst aufzubrechen, exponiert zugleich bestehende Differenzen. Auf bemerkenswerte Weise macht das Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt) somit eines deutlich: Ja, es bleibt problematisch, und ja, man darf, kann, soll und muss!

Artikelbild: KUNSTHAUS KAT18 / Atelier, 2016 / Foto: Britt Schilling / © KUBiST e.V.


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