Field of Codes

Field of Codes


(Kein) Festland in Sicht? – Ellen Wagner über „Field of Codes“ im PiK Köln, bis 19. Mai

Ein Code stellt Beziehungen zwischen den Zeichen eines Systems und diesen jeweils klar zugeordneten Zeichen eines anderen Systems her. Er bildet eine Sprache, die der verständlichen Übermittlung von Aussagen, oft auch gesellschaftlichen oder institutionellen Konventionen dient. Auch die Kunst kann als eine Sprache bezeichnet werden. Verstünde man sie aber als Code im strengen Sinn, der eindeutige Aussagen auf eine nur für diejenigen, die die Codewörter kennen, zu entschlüsselnde Weise übermittelt, käme dies einer elitären und reduktionistischen Kunstauffassung gleich. Kunst drückt sich häufig unklar aus, manchmal gänzlich unverständlich; oft erklärt sie uns etwas, indem sie es noch mehrdeutiger macht, als es uns davor schon vorkam; oder sie erklärt uns nichts.

Field of Codes, Ausstellungsansicht

„Field of Codes“ versucht, diese beiden Sprachen in einen neuen, gemeinsamen Resonanzraum zu bringen, erweckt dabei aber zunächst den Eindruck babylonischer Sprachverwirrung. Auf einer ersten thematischen Ebene scheint alles wenig miteinander zu tun zu haben: Sven Johne beschäftigt sich mit Sehnsüchten nach dem Ausstieg aus dem kapitalistischen System. Katrin Mayer nimmt sich Kontexte und Phänomene vor, in denen die Flexibilität industriell hergestellter und organischer Materialien, z. B. Gummi oder unsere eigenen Körper, eine Rolle spielt. Hiwa K begibt sich ins Spannungsfeld zwischen aktivistischen Protesten, deren Ritualisierung und der Möglichkeit einer Durchbrechung eigeschliffener Formen der Meinungsbekundung: Auf antifaschistischen Maidemonstrationen versucht er, Teilnehmende zu überreden, sich eine Glatze rasieren zu lassen, um so die rechtsradikale Vereinnahmung dieser „Frisur“ zu unterwandern.

Während diese Positionen sich Formen des Absteckens ideologischer Räume widmen, baut Marcel Hiller mit seinen hindernisartig im Raum stehenden Objekten aus Vierkantrohren im unmittelbar physischen Sinne scheinbar potentielle Bauteile eines noch unbekannten (Leit-)Systems, dessen Funktionen rätselhaft bleiben; sie schaffen ihren Raum, indem sie uns diesen versperren.

Einen weiteren Aspekt der Schau bilden die Codes in der Darstellung von Kunstwerken selbst, die ebenso technischen Standards wie institutionellen Intentionen unterliegen: Julian Irlinger blendet in Lentikulardrucken differierende Screenshots von Werkansichten aus der Frick Collection – einmal von der Institution selbst, einmal von Google zur Verfügung gestellt – ineinander und wirft damit Fragen auf, welche Beweggründe jeweils zur Auswahl der Bildperspektive geführt haben mögen. Max Schaffer wiederum kombiniert gefundene fotografische Abbildungen von Kunstwerken mit textilen Trägermaterialien; diese deuten bestimmte Funktionen der Fotografien an, öffnen aber zugleich neue Assoziationsspielräume. So präsentiert uns Schaffer etwa eine Abdeckplane, die während der Einhausung öffentlicher Skulpturen im Winter diese Skulpturen in mit ihrem eigenen Abbild umhüllte Kuben verwandelt, im PiK aber wie eine faltige und gefaltete Haut den Boden belegt.

Katrin Mayer: rubber sheeting (2018, Detail). Courtesy: the artist.

Man durchwandert „Field of Codes“ wie eine Landschaft aus Inseln, auf denen jeweils immer nur sehr wenige Personen Platz finden. Von jedem Standpunkt aus bietet sich ein sichtlich eingeschränkter, schon mit der unmittelbaren Nebenfrau oder dem Nebenmann nicht mehr teilbarer Blick auf die Gesamtanordnung. Kein offener Sound durchdringt die Halle, stattdessen bauen sich die Videoarbeiten über Kopfhörer ihre abgeschlossenen kleinen Raumkapseln. Steht man zu zweit vor Irlingers Lentikulardrucken, wird man Schwierigkeiten haben, sich zu einigen, was auf dem Bild zu sehen ist, da das Motiv mit jedem kleinen Schritt nach rechts oder links „springt“. Mit der Perspektive auf den Druck wechselt auch die Perspektive auf das abgebildete Exponat – plötzlicher als beim bloßen Positionswechsel vor einem statischen Objekt. Gerade in solchen Momenten einer minimalen Irritation in der Beziehung zwischen dem was wir sehen, und dem, was wir spüren, liegt eine Stärke der Ausstellung.

Man schwimmt ein wenig in der von Markus Saile kuratierten Ausstellung, versucht zu greifen, was sie sagen will, und weiß doch, dass das die Frage ist, die man an Kunstwerke und Ausstellungen eher nicht stellen sollte. Nimmt man aber das Anliegen ernst, eine Öffnung der Bedeutung von Zeichen, Gesten, scheinbar funktionalen Bauelementen unserer Welt im buchstäblichen und übertragenen Sinn zu bewirken, indem diese einem ungewohnten Kontext zugeführt werden, könnte die Ausstellung einen „richtigen“ Ton treffen: Fragmentiert und zergliedert bildet sie ein landschaftsartiges Feld, das als Verbund durchlässiger und beweglicher Elemente den Raum besetzt. Die Auflösung eingespielter oder festgefahrener Verbindungen inhaltlicher und formaler Elemente zu kunst- und weltanschaulichen Voreinstellungen unserer Wahrnehmung vermittelt sich also auch räumlich in der Abwesenheit klarer Fixpunkte.

Julian Irlinger: Props (2016), Lentikulardruck, Metall. Courtesy: the artist, Galerie Thomas Schulte, Berlin.

Digitales und Analoges, entgegengesetzte politische Lager, der Ausstieg aus dem und das gleichzeitige Verbleiben im Gesellschaftssystem – alles scheint verschränkt, kippt ineinander, zeigt sich als weniger klar zu bestimmten Bedeutungskontexten gehörig, als gedacht. Es wäre jedoch ein Fehler, diese grobe Klammer als küchenphilosophisches Fazit aus der Ausstellung mitzunehmen. Vielmehr gilt es die lose Zusammenstellung zum Anlass zu nehmen, den individuellen thematischen Besonderheiten der Arbeiten ihren Raum zu geben. Dabei zeigt sich, dass die Übertragung von Zeichen eines Systems in ein anderes zwar befreiende Effekte haben kann – es schafft aber auch neue Systeme und Routinen, die nicht bereits aus dem Grund, dass sie ursprünglich aus einem Impuls zur Hinterfragung des anderen Systems heraus entstanden sind, selbst schon als subversiv und alternativ zu werten sind.

Hiwa K: May 1 (2009), Einkanal SD Video, 13:58 min. Courtesy: the artist, KOW, Berlin/ prometeogallery di Ida Pisani, Milano/Lucca.

Besonders deutlich wird dies in Johnes Video „A Sense of Warmth“ (2015): Mindy, die Erzählerin, arbeitet als Volunteer in einem Naturschutzgebiet auf einer Insel fern der Zivilisation. Frustriert von ihrem früheren Job zur Evaluation und Optimierung der Angestellten eines Versandhandels, evaluiert sie nun die Daten rund um die Beringung der auf der Insel untersuchten Zugvögel. Dazu gehört auch die „Korrektur“ der unerwünschten Entwicklung eines Sesshaftwerdens der Vögel auf der Insel, indem diese einfach im Netz hängengelassen werden. Es zeigt sich, wie die Übertragung des Prinzips der Prozessoptimierung auf den Umgang mit der Natur uns unempfindlicher dafür machen kann, dass weder Menschen noch Vögel funktionierende Datenträger sind.

Die Arbeiten in „Field of Codes“ nehmen im Medium der Kunst Verschiebungen von Codes vor, aber sie thematisieren auch Verschiebungen, wie sie in verschiedenen Bereichen unseres Zusammenlebens und -arbeitens bereits vorkommen – wie sich Systeme anpassbar an wechselnde Situationen zeigen und wie dies Chancen und Probleme mit sich führt, die unsere aktive Teilnahme an solchen Prozessen der Umschreibung nötig macht.

Marcel Hiller: Deep Sea Dweller (2018), Metall, Lack, Neon, Maglite. Courtesy: the artist.

Dass die Ausstellung dabei stellenweise an die Grenzen des thematisch Diversen stößt und zwischen einer Befragung ihres gesellschaftlichen Potentials und ihrer Fähigkeit zur Selbstreflexion ihrer Präsentationskontexte oszilliert, tut ihrem Potential, Denkanstöße zu liefern, dabei kaum Abbruch. Es zeigt nicht zuletzt, wie gerade in der Sprache der Kunst – und des Ausstellens – dem einzelnen Zeichen, der einzelnen Äußerung und Arbeit seine bzw. ihre eigene Dynamik zukommt, die Störfaktor oder diskursiver Impuls und auch beides sein kann.

Ergänzend zur Ausstellung erscheint die Publikation „Field of Codes“ mit Texten von Ilka Becker, Hans-Christian Dany, Fiona McGovern, Sarah Kolb, Kerstin Stakemeier und Marcus Steinweg.

Alle Fotos: Alwin Lay.

Artikelbild: Field of Codes, Ausstellungansicht.
Vorne von links nach rechts: Max Schaffer: Follower, Matratzenproben mit Polaroid-Fotos; Max Schaffer: attributes of modification (Hill Arches) (2012 / 2013 / 2018), vierteilige Abdeckplane aus PVC_Gewebe, Garn, Dimension variabel. Courtesy: the artist, Galerie Gabriele Senn, Wien.
hinten von links nach rechts: Katrin Mayer: rubber sheeting (2018). Courtesy: the artist. Sven Johne: A Sense of Warmth (2015), HD Video, 15:35 min. Courtesy: the artist, Klemm’s, Berlin/ Nagel-Draxler, Köln, Berlin. Marcel Hiller: Deep Sea Dweller (2018), Metall, Lack, Neon, Maglite. Courtesy: the artist.

 


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