Akademie
Großformatig unaufgespannt – Ellen Wagner über „AKADEMIE“ im KIT – Kunst im Tunnel Düsseldorf, bis 7.2.18
Die Akademie als weißer Wal? In stiller Größe, als Sinnbild und konkreter Ort der poetischen Vereinigung von Natur und Kultur, erhaben, uralt, unerlegbar. Ist es das, was uns die Ausstellung AKADEMIE im KIT sagen will, wenn sie uns gleich am Eingang mit einer großen schlappen Walfischflosse, genäht aus weißem Nessel und bis zum Boden von der Decke hängend, konfrontiert? Rosa Sarholz’ zarte Stoffhülle mit dem Titel Blueprints (2017), Blaupausen, unterwandert diese Lesart, indem sie den Wal seines Volumens beraubt und mit einer metaphorischen Offenheit versieht. Die Akademie wird zu einem zwar bewährten und oft übertragenen, jedoch bestimmte Vorgaben ebenso wie Interpretationsspielräume beinhaltenden Modell.
Die Akademie als Bettbezug? Leicht überzustreifen und auszutauschen, mit wechselnden Mustern, flauschig, kratzig, anschmiegsam? Akademie kann vieles sein, und Sarholz’ Textilarbeit lädt unaufdringlich dazu ein, über die Möglichkeit und Notwendigkeit nachzudenken, den Begriff der Institution mit konkretem Leben immer wieder neu, mal locker und mal fest zu stopfen.
Der Anspruch der von Gertrud Peters und Elmar Hermann in Kooperation mit der Kunsthalle Düsseldorf konzipierten Ausstellung AKADEMIE ist ein mindestens zweifacher:
Erstens setzt sie einen dokumentarischen Schwerpunkt, präsentiert Material aus Archiven der mit der Düsseldorfer Akademie verknüpften Initiativen wie etwa des Künstlervereins Malkasten. Viele Arbeiten beschäftigen sich zudem mit der Vitrine als Aufbewahrungsort und Präsentationsmedium. So wird das Interview, das Fabian Ruzicka und Simone Curaj mit dem für experimentelle Performances und Filme in den 1980er-Jahren bekannten Kollektiv Anarchistische Gummizelle führten, im Format der von oben gefilmten Tischplatte gezeigt. Auf dieser mischen sich Fotos, Einladungskarten und verschiedenste Archivschnipsel mit den Bewegungen der suchenden oder entschiedenen Griffen, mit unwillkürlichen oder erklärenden Gesten, die, isoliert von ihren Körpern im Ganzen als zentrale Bestandteile unserer Kommunikation in den Fokus rücken (table-talk, 2017). Marcel Stahns „Vitrinen“ aus Schutzschilden, wie sie z. B. Polizeibeamte tragen (get me out of bed right now, 2017), wiederum könnte beinahe als Reflexion darüber gelesen werden, ob wir uns nicht manchmal selbst, durch ein übertriebenes Bedürfnis, uns vor unserer Umgebung zu schützen und abzuschirmen, in eine Art von Schaukasten begeben und damit paradoxerweise umso mehr den Blicken anderer aussetzen.
Zweitens wollen die Kuratoren die übergreifende Frage stellen, was Akademie heute sein kann, als ein Ort, der Schutzraum, Freiraum und Abschusszone zugleich ist. Die Akademie ist die Gemeinschaft, in die man unbedingt hineinwill, und das System aus dem man irgendwann einfach nur noch raus will. Doch was im Ausstellungstext auf abstrakter Ebene an Kritik an den Paradoxien des Akademielebens zwischen dem Versprechen freier Entfaltung und der Forderung nach Anpassung anklingt, wird in der Schau selbst nicht durch Bezüge zu konkreten Situationen im Akademiealltag zugespitzt und reflektiert. Fast klingt es daher so, als wolle man hier gar nichts fragen, kritisieren oder gar neu denken, sondern, quasi nebenbei, darauf hinweisen, wie mühevoll es doch ist, Kunst zu studieren, und welche außerordentliche Bewährungsprobe diejenigen bestanden haben, die es schaffen, sich durchzusetzen.
Wie denkt man eine Institution für die Gegenwart und Zukunft weiter, indem man die Präsentationsform des Archivs in den Vordergrund stellt? Kann dieser ja durchaus vielversprechende Ansatz eines Blicks zurück nach vorn funktionieren? Müsste man dabei nicht eigentlich auch den Gedanken von der Akademie als einem Ort des vorrangig intellektuellen Austauschs zwischen „außergewöhnlichen“ Persönlichkeiten, der nicht zuletzt die Beherrschung bestimmter Sprach- und Verhaltenscodes zum Ziel hat, selbst stärker hinterfragen?
Zentraler Gedanke der Akademie ist es, als Institution mehr für den geistigen Austausch über Kunst als für den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten zu fungieren. Auch wenn der Dualismus zwischen Konzept und Handwerk in der Akademieausbildung heute in den Hintergrund gerückt ist, hätte man beispielsweise hier nochmal genauer hinschauen können – nicht zuletzt, da das Redenkönnen über eigene und fremde Arbeiten, über generelle Probleme in der Theorie, der Praxis und im Betrieb der Kunst selbst Teil des Handwerks sind und sich umgekehrt die Arbeit am Material als einem buchstäblichen Werkstoff nicht erübrigt, nur weil man besonders gut über das reden kann, was man da macht oder vorhat. Dieser Zusammenhang ist nicht neu, liefert aber ausreichend Diskussionsbedarf.
Als kuratorische Untersuchung darüber, wie man heute Kunst lehren und lernen kann, bleibt die Ausstellung im KIT jedoch eher unbefriedigend. Sie geht im Grunde am Thema vorbei und flüchtet sich – vielleicht weil dieses Terrain so schwierig ist – zu oft in die Kontemplation von Veranstaltungsarchiven, statt wirklich akademiekritische Positionen und progressive, vielleicht auch provokative Ansätze der Lehre und Vermittlung zu integrieren.
Unter dem offenen Titel der Ausstellung hätte man vieles tun können: z. B. unterschiedliche Auffassungen von Künstlerausbildung gegeneinander stellen; oder die Akademie wirklich mit all ihren problematischen, hierarchischen Strukturen ins Licht rücken; oder die Potentialität des Dialogischen als wichtigen Aspekt der Akademie an sich in den Mittelpunkt stellen und in seiner gesellschaftlichen Bedeutung untersuchen.
Was man aber letztlich im KIT vor sich hat, ist eine bunte Ansammlung von Einzelwerken: großformatige Malereien von Dietmar Lutz, die mit schnellem Pinselstrich die Arbeit in den Klassen oder Hängung für Rundgangsausstellungen festhalten (Hängung und Klassentreffen, 2017); eine Soundarbeit über die Organisation von Offspace-Barabenden (Im Goldenen: Wie man eine Bar betreibt, 2017); Veranstaltungsflyer aus dem Besitz von Katharina Fritsch; ein Fax von Eva und Adele an den bis 1998 an der Düsseldorfer Akademie studierenden Maler Volker Hermes, der scheinbar persönlich dafür zuständig war, die Vortragsgäste mit Karottensaft und „Videokanonen“ zu versorgen.
Für eine Befragung dessen, „was Akademie heute sein kann“, was eine zumindest rudimentäre Form von Institutionskritik impliziert, ist die Ausstellung recht diffus. Auch wenn die einzelnen Arbeiten jeweils sehr unterschiedliche Räume eröffnen, treten sie kaum in einen Dialog mit- und gegeneinander. Die Ausstellung bleibt hinter ihrem Anspruch, die spannungsvolle Atmosphäre zwischen inspirierendem Miteinander und Konkurrenzdruck spürbar zu machen, zurück. Sie zeigt Archivmaterial zu zentralen Orten, Initiativen und Personen der Düsseldorfer Kunstszene auf der einen und poetische Reflexionen über Prozesse künstlerischer Selbstbefragung auf der anderen Seite. Zwei rote Fäden laufen nebeneinander her, die man zumindest locker miteinander hätte verschlingen müssen, um einen Austausch zu ermöglichen.
Taisiya Ivanova schneidet in ihrer Videoarbeit Kill Your Darlings (2017) Gespräche in der Klasse und mit dem Professor sowie mit ihrer Mutter via Skype zu stellenweise meditativ wirkenden Bildfolgen und, teils auch monologischen, Gesprächssituationen aneinander. Was es heißt, vor jemandem oder mit jemandem über sich und die eigene Kunst zu sprechen und andere dazu Stellung nehmen zu hören, während man versucht, die eigenen Anliegen zu umkreisen, zu präzisieren, sich selbst und andere beim Denken und Zweifeln zu beobachten – all das schwingt zwischen den Zeilen mit. Auch der nötige Mut, Dinge wegzulassen, sich zu entscheiden, z. B. für eine Idee, auf die man seine Kräfte für eine gewisse Zeit konzentriert, klingt im Titel der Arbeit an. Der Ausstellung hätte man etwas mehr von dieser Entschlossenheit, die auch Angreifbarkeit bedeutet, gewünscht.
Artikelbild: Installationsansicht KIT, 2017, Foto: Ivo Faber