Besprechung Rose Wylie

Besprechung
Rose Wylie


Sabine Elsa Müller über Rose Wylie, What Means Something, 8.2. – 29.3.2014 Choi & Lager Gallery, Köln

Letztes Jahr im Sommer müssen es ihr die Kirschen angetan haben. Rose Wylie malte sie rund und prall, als Pärchen, einzeln und dann noch einmal in dem Moment, kurz bevor sie im Mund verschwinden: Ein rotes Ding, eingeklemmt zwischen dünnen Lippen und erbarmungslos scharfkantigen Zähnen. Sonst sind auf „Cherry in My Mouth (2013)“ nur noch zwei Punkte als Nasenlöcher und ein paar Wimpern zu sehen, so nah zoomt sich der Blick an das Gesicht heran.

Rose Wylies Bilder wirken im ersten Moment wie Cartoons oder überdimensionale Kinderzeichnungen. Sie sind frech, unkonventionell und sehr direkt. Und sie kommen aus der Zeichnung. Sehr viele Zeichnungen gehen ihnen voraus, bis Wylie eine von ihnen auswählt als Basis für die Malerei, um dem Thema Gewicht und Raum im großen Format zu geben. Das kann dann eine Zeichnung mit Tusche oder Aquarell auf großen Papierbögen sein oder ein Ölbild auf Leinwand. Die Bilder wachsen ihr über den Kopf. Mit Hilfe aneinandergesetzter Papiere oder Leinwände wuchern sie in die Höhe und die Breite. In der Choi & Lager Gallery reichen die meisten Arbeiten vom Boden bis zur Decke. Ganzfigurige Portraits von Nicole Kidman entrollen sich wie eine zusammenhängende Sequenz in der Art von Bewegungsstudien. Ein zweiteiliges Bild, das aus einem unteren und einem oberen Teil besteht, wird einfach einander gegenüber gehängt, weil die Galeriewände nicht hoch genug sind.

Dabei sind die Proportionen der Galerie denen des Ateliers von Rose Wylie nicht unähnlich, wie man in Videodokumentationen (Tate, Frieze) sehen kann. Dort spricht sie ruhig und bestimmt über das, was sie tut. Sie streicht über die Bilder und prüft, ob die Farbe schon trocken ist. Das Atelier der Britin ist randvoll mit Leinwänden und Farbtuben und erstaunlichen Mengen zerknüllter Zeitungen. Die Leinwände sind nicht aufgezogen, sondern an ihren oberen Kanten in vielen Lagen übereinander an die Wand getackert. Jeder Quadratzentimeter dieses Raumes erzählt von jahrzehntelanger kontinuierlicher Arbeit. Denn Rose Wylie hat ein langes Künstlerinnenleben hinter sich. Im Oktober wird sie ihren achtzigsten Geburtstag feiern. Manche meinen, dass ihr plötzlicher Erfolg mit ihrem Alter zu tun habe. Die Sensation läge darin, dass Bilder, die jung aussehen, von einer Frau in ihrem Alter gemalt werden. Was aber irgendwie nicht logisch klingt. Auf die wiederholten Fragen der Interviewer, ob sie es bedauert, nicht schon früher entdeckt worden zu sein, antwortet sie stets, dass das mangelnde Interesse des Marktes ihr ermöglichte, in Ruhe ihren Weg zu gehen.

Es gibt aber auch eine andere Lesart. Wylie hat ihre künstlerische Karriere früh unterbrochen, um ihre drei Kinder aufzuziehen. Danach ging sie noch einmal auf eine Kunstschule, auf das Royal College auf Art in London. Sicherlich ist ihr naiv-aggressiver, rücksichtslos direkter Stil, der mit dem Pathos eines coolen und smarten künstlerischen Über-Ichs bricht, schwer einzuordnen. Nicht dass sie all die Jahre unbekannt gewesen wäre. Vor allem in England hat sie seit den Achtzigern kontinuierlich ausgestellt. Aber offenbar konnte niemand so richtig etwas mit den vordergründig harmlosen Sujets anfangen, den Schauspielerinnen und Models, Pferdchen und eigenwilligen Zitaten aus Hollywood und Kunstgeschichte. Dann wurde Germaine Greer auf sie aufmerksam anlässlich ihrer Beteiligung an der in Washington DC ausgerichteten Schau „Woman to Watch“. Es folgte ein hymnischer Artikel im Guardian. Der vorläufige Höhepunkt ihres von da an unaufhaltsamen Aufstiegs war ein Auftritt in der Londoner Tate Britain im letzten Jahr.

Die Einzelausstellung in der seit etwa einem Jahr in Köln ansässigen Choi & Lager Gallery hat einiges zu bieten. Dank einer eingezogenen Decke wurden die ehemaligen Räume der Galerie Sprüth völlig verändert. Die eher intimen Kabinette ermöglichen einen sehr persönlichen Zugang; es geht um Ecken und verwinkelte Raumfluchten, die immer wieder mit einer unmittelbaren Konfrontation vor den großen Formaten aufwarten. Viele Bildtitel der begeisterten Kinogängerin Wylie beziehen sich mehr oder weniger direkt auf Filme. Einer dieser Lieblingsfilme war „Jack goes Boating“ von und mit Philip Seymour Hoffman, dessen früher Tod in diesen Tagen betrauert wird. Von Anfang an hatte sie eine Hommage an den großen Schauspieler im Sinn. Sie entschied sich für eine Szene, in der Hoffmans massiger Rücken vor einer leuchtend blauen Wasserfläche zu sehen ist. Überstrahlt von der räumlichen Tiefe eines hellen Blaus kippt die physische Präsenz seines rosigen Körpers in etwas überaus Leichtes, sogar Tänzerisches. Ein Moment des Eintauchens – eine bildliche Metapher der Transzendenz, forciert durch lustige blaue und weiße Schnörkel.

Neben den meist monumental gesetzten Figuren spielt die Schrift eine wichtige Rolle. In „Jack goes Boating“ sorgt der Wechsel von weißen Buchstaben, die sich mit dem hellblauen Grund verbinden, im linken Bildteil und schwarzen Buchstaben auf der rechten Seite für eine räumliche und zeitliche Drehbewegung wie bei einem laufenden Filmabspann. Rose Wylie selbst verweist in Bezug auf die Beschriftungen auf die Credits im Abspann eines Films, aber auch auf die symbiotische Wechselbeziehung von Bild und Text auf Werbetafeln. Im Duktus eines rücksichtslos auf die Leinwand gepinselten Kommentars erfüllen sie aber auch eine wichtige malerische Rolle. Sie strukturieren und beleben die Fläche und verbinden die oft roh belassene Leinwand mit den Figuren. Ähnlich wie die aus der Zeichensprache der Comics entlehnten Schnörkel und Striche sind Buchstaben und Zahlen eine Art Zwitterwesen zwischen einem einfachen Pinselstrich und einer konkreten Figuration. Ein solch verbindendes Element kann aber auch eine Reihe stilisierter Palmen sein, wie in „North Korean children singing“ oder herumschwirrende Vögel wie in der zweiteiligen Arbeit „Elizabeth, Henry and Birds“.

Etwas anderes ist es, wenn sich das Bild auf ein breites Schriftband wie auf einen Sockel setzt – der Text erscheint dann außerhalb der Bildkomposition, aber mit nicht weniger ausgeprägter Verve. Oft sind solche Schriftbänder zusätzlich angefügt im Sinne einer Erweiterung und Erdung des Bildes, und auch hier geben sie der Szene Halt. Besonders augenfällig unterstreichen die Schriftbänder den Zusammenhalt auf den beiden Tafeln „Pink Tablecloth, Close-Up and Pink Tablecloth, Long-Shot“. Wylie bezieht sich hier auf die ziemlich groteske Szenerie einer Teestunde am rosa gedeckten Tisch mitten in der Wüste aus dem Film „Syriana“ und übersetzt den Zoom in zwei Einzelbilder entgegengesetzter Polarität – einmal wird die Totale, einmal die Nahsicht gezeigt. Die filmische Zentralperspektive beansprucht ein breites Querformat, dessen beide Teile skurriler Weise die Person in der Mitte exakt halbieren. Man kann sich ganz gut vorstellen, wie die engen Verhältnisse eines begrenzten Ateliers zu solchen Konstruktionen führen, wenn ein so unbeugsamer Wille am Werk ist.

Rose Wylie erkennt die Grenzen von Leinwand und Papier nicht an. Sie holt sich den Raum, den sie braucht. Sie bezieht den Stoff ihrer Bilder aus der unmittelbaren Wahrnehmung, aus der Zeitung, dem Blick aus dem Fenster, aus Filmen und natürlich auch aus Werken der Kunstgeschichte und will mit dem, was sie daraus macht, wieder in diesen allgemein zugänglichen Raum zurück.

Deshalb scheut sie sich auch nicht, die Malfläche immer wieder neu zu definieren. Ihre Technik, mit angesetzten Stücken von Leinwand oder aufgeklebten Papierschnipseln immer wieder Veränderungen ins Bild einzubauen, ist eine ihrer eigenwilligsten, so bezaubernden wie innovativen Erfindungen. Vor allem bei den Papierarbeiten spielt sie eine wichtige Rolle, wenn Augen, Münder und Gliedmaßen derart verkeilt und verrückt werden, bis sperrige und vielschichtige Collagen dabei herauskommen. Wylie nennt es „my Dürer woodcut look“. Aber natürlich lassen solche sukzessiven Entwicklungsstrategien auch an den Film denken. Die Bilder werden so lange verändert, bis das zum Vorschein kommt, was Wylie im Kopf hat. Sie wachsen. Die vielen Schnitte geben ihnen neben der leicht brutalen Unbekümmertheit auch etwas sehr Ephemeres, Verletzliches. Manchmal geht es aber auch ohne, wie bei dem wunderbaren Aquarell mit den roten Kirschen. Es darf nicht zur Manie werden, und man muss wissen, wann es genug ist. Oder wie Rose Wylie dazu lapidar bemerkt: „Etwas sagt dir, dass du aufhören sollst, weil es richtig aussieht.“


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