Blumen für Marl

Blumen für Marl


Julia Sprügel über die Installation „Les Fleurs du Mal (Blumen für Marl)“ von Mischa Kuball am Skulpturenmuseum Glaskasten Marl

In der Marler Zeitung vom 29. April 2014 hält Mischa Kuball eine rote Nelke in die Kamera. Im dazugehörigen Interview stellt sich der Düsseldorfer Künstler den Fragen der Journalistin zu seiner öffentlichen Intervention „Les Fleurs du Mal“, die er vor etwas über einem Monat dem Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl schenkte und an der Fassade des Rathauses anbringen ließ: „Ist die Idee, sich aktiv an Kunst zu beteiligen und die Stadt unter neuen Aspekten zu betrachten, bei den Marlern angekommen?“

Mischa Kuball © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Mischa Kuball © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Bisher ist diese Frage mit einem vorsichtigen „ja“ zu beantworten. Denn so viele Gäste wie bei der Eröffnung von „Les Fleurs du Mal“, die musikalisch von der Blaskapelle der Auguste Victoria Zeche begleitet wurde, hatte das von Georg Elben geführte Museum in Marl schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, die städtische Volkshochschule greift das Projekt in ihrer Jahresplanung auf  – und die Marler tragen auch nach der Eröffnung ihren Teil bei, indem sie fast täglich frische Blumen zum Museum bringen.

Prominent ist der Schriftzug „Les Fleurs du Mal“ (Blumen des Bösen) in Versalbuchstaben an dem Gebäudekomplex aus den 1960er Jahren zu lesen, in dem das Museum, das Standesamt und die holzvertäfelten Ratssäle samt Zimmerpflanzen in braunen Kübeln untergebracht sind. Am Rande der imposanten, jedoch stellenweise stark maroden Betonkonstruktion, gleich neben der massiven Freitreppe, auf der die Brautpaare nach der Trauung für ein Foto posieren, hat Kuball eine unscheinbare Vase aufgestellt – ebenfalls aus Beton. Sie ist der partizipatorische Teil der Arbeit. Sie lädt ein, Blumen vorbeizubringen und das grau in grau der Betonfassade etwas aufzulockern.

© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Wer in Marl lebt, kommt an „Les Fleurs du Mal“ kaum vorbei – schon gar nicht abends, wenn die großen Buchstaben, in dem für Kuballs Arbeiten typischen Neonlicht auf den Creiler Platz mit seinen gespenstischen, leergepumpten Bassins strahlen. Für den Besucher, der von außerhalb kommt, wirkt die Intervention bei Tageslicht eher wie ein schwacher Versuch durch ein provokantes, aber eigentlich doch recht banales Wortspiel die Tristesse des Rathauskomplexes zwischen Verfall und längst vergessener avantgardistischen Idee anzuprangern.

Doch es lohnt sich „Les Fleurs du Mal“ aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten – denn die Arbeit richtet sich nicht in erster Linie an das übliche Museumspublikum, sondern an die Marler Bürgerinnen und Bürger, also auch an diejenigen, denen der Name Mischa Kuball kein Begriff ist und die das Museum bisher als gläsernen Unterbau des Rathauses nur von außen kennen. Natürlich witzelte man in Marl über das vermeintlich vergessene „r“ in dem Schriftzug, der auf den gleichnamigen Gedichtband von Charles Baudelaires von 1857 verweist.

„Les Fleurs du Mal“ – Was will Kuball also den Marlern mit der Anspielung auf die düster sprachgewaltigen Gedichte über das Befinden französischer Stadtmenschen im vorletzten Jahrhundert sagen? Was hat dieser Schriftzug mit der Arbeiter-Stadt im nördlichen Ruhrgebiet zu tun, die eng mit der Geschichte der „Hüls“-AG (heute Evonik) verbunden ist, die im Nationalsozialismus durch künstliche Kautschuk-Produktion zur Unabhängigkeit Deutschlands von der Rohstoffeinfuhr beitragen sollte, deren Stadtkasse heute permanent leer ist und deren letzte Steinkohlezeche Auguste-Victoria 2015 schließen wird?

Foto: Julia Sprügel

Foto: Julia Sprügel

Natürlich geht es nicht alleine darum, der Stadt ihre düstere Lage vor Augen zu führen. Schon die Vase als Kontrapunkt der Intervention suggeriert einen Ausweg, der über die öffentliche Diskussion führt. Auch dass die Marler-Zeitung als offizieller Medienpartner über das Projekt berichtet, ist gewissermaßen Teil der Arbeit, mit der Kuball die Marler Bürgerinnen und Bürger dazu bringen will, sich Gedanken über ihre Stadt zu machen.

Weder Schriftzug noch Vase sind das eigentliche Zentrum der Intervention. Viel wichtiger ist ihr immaterieller Teil: Der Beitrag, den der 1959 in Düsseldorf geborene Kuball als Person leistet. Vor der Einweihung besuchte er die Arbeiter der Zeche untertage, er sprach mit den Auszubildenden bei Evonik und nahm am Unterricht der Klasse 8a des Geschwister-Scholl Gymnasiums teil. „In den Gesprächen versuche ich zu verstehen, was der kritische Punkt in Marl ist“, sagt er. Dabei gehe es mal darum, dass in der Stadt Orte für Jugendliche fehlen und mal um die Sorge, was nach 2015 passiert, wenn die Zeche schließt.

Damit setzt Kuball anders an, als etwa Dominik Graf, der in seiner kürzlich in der ARD ausgestrahlten Dokumentation „Es werde Stadt“ Aufstieg und Fall der Stadt Marl mit der Geschichte des öffentlich rechtlichen Fernsehens verwebt (in Marl wird seit 50 Jahren der Grimme-Preis für „vorbildliche und modellhafte Fernsehsendungen“ vergeben) – und beiden den Übergang in die Bedeutungslosigkeit prophezeit.

„Les Fleurs du Mal“ gehört zu der Reihe public preposition, die Kuball an verschiedenen Orten weltweit installiert hat. Gemeinsam ist den Arbeiten, die nicht alle einen partizipativen Anteil haben, dass sie sich außerhalb des Museums auf einen bestimmten Ort beziehen und damit in der Tradition derer bewegen, die in den 1960er und 1970er Jahren das Museum verließen, weil sie an dem Warencharakter, der Autonomie des Kunstwerks oder der Genialität des Künstlers zweifelten.

Mischa Kuball, Foto: Julia Sprügel

Mischa Kuball, Foto: Julia Sprügel

Kuball jedoch hat kein Interesse an einer Institutional Critique der 1980er Jahre, er zweifelt Museumspraktiken nicht an, sondern nutzt diese an anderer Stelle gezielt (gerade ist die Arbeit „NEW POTT – Neue Heimat im Revier“ für die Sammlung des Lehmbruck Museums in Duisburg angekauft worden). Er gesellt sich eher in einen Kreis von Künstlern, die aus dem Museum hinaustreten, um ihre Handlungsspielräume zu erweitern und austesten, was Kunst außerhalb der geschützten Räume gesellschaftlich, politisch oder sozial bewirken kann.

In Marl trifft Kuball auf ein sehr gemischtes Publikum und natürlich – wie immer wenn es um eine Veränderung im öffentlichen Raum geht – auch auf Skepsis. Als er seine Idee in Marl vorstellte, regte sich zunächst Widerstand – nicht aus der Verwaltung, eher von Freunden und Förderern der Kunst in Marl: „Les Fleurs du Mal?“ – das könne doch die falschen Signale setzen. Letztendlich bewies die Marler Stadtverwaltung Mut und der Schriftzug wurde angebracht – ohne Kompromisse.

Zugute kommt dem redegewandten Kuball, der eine Professur an der Kunsthochschule für Medien innehat, dass er sich auf eine Sache ganz besonders gut versteht, die untrennbar mit seiner künstlerischen Arbeit verbunden ist: das Netzwerken auf allen Kanälen. So hält Kuball das Projekt emsig am Laufen, er fährt regelmäßig nach Marl betreibt eine Facebook-Seite für „Les Fleurs du Mal“ und die lokale Presse berichtet kontinuierlich.

Noch sind aber nicht alle Fragen geklärt: „Les Fleurs du Mal“ bleibt zunächst bis Jahresende in Marl. Danach entscheidet sich, ob Schriftzug und Vase bleiben. Dann stellt sich auch die schwierige Frage: Kann Kuballs Werk weiter bestehen, wenn er sich selbst zurückzieht und andere das Projekt fortführen? Auf diese Frage gibt er selbst die Antwort: „Es geht zwar nicht um mich, aber es geht auch nicht so ganz ohne mich.“

© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Kuball stellt sich mit „Les Fleurs du Mal“ unmissverständlich in die Tradition von Joseph Beuys, der den sozialen Effekt als Ziel vieler seiner Arbeiten formulierte, aber als sendungsbewusste Künstlerpersönlichkeit eigentlich bis heute unersetzbar bleibt. „Les Fleurs du Mal“ ist ohne das Networking und den persönliche Einsatz Kuballs als autonomes Werk nicht denkbar.

Begreift man „Les Fleurs du Mal“ also weniger im formalen Sinne und mehr als auffordernde Geste an ein erweitertes Publikum, regt sich tatsächlich eine sehr interessante Vorstellung davon, was ein Museum im erweiterten „kuballschen“ Sinne auch sein könnte – es bleibt nur abzuwarten, ob „Les Fleurs du Mal“ tatsächlich das vermeintlich Schlechte in etwas Gutes verkehren können.


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