Ästhetik des Widerstands

Ästhetik des Widerstands


Eine Fotostory aus dem Kalker „AZ“ von Julia Sprügel (Fotos) und Melanie Weidemüller (Text)

„Banksy“ ist auf dem Kunstmarkt angekommen, Graffity-Projekte werden aus öffentlicher Hand gefördert, Street Art-Künstler in Galerien ausgestellt – Arbeiten von Hausbesetzern aus Kalk indes werden auf der nächsten Art Cologne garantiert nicht angeboten. Ganz einfach deswegen, weil das im „Autonomen Zentrum“ keinen interessiert. Selbst auf Nachfrage wollte niemand in diesem Beitrag namentlich als „Künstler“ gefeatured werden. Die Kunst – ob Musik, Lesungen, Theater oder Skulpturen, Wandbilder, Postercollagen, klassische Graffity – ist Ausdrucksmittel, Kommunikation, sie gehört zum kollektiven Experiment und Alltag im „AZ“, so autonom, selbstverständlich und selbstorganisiert wie das ganze Projekt. Hier sucht man, wie viele Akteure der Kunstgeschichte, die Verschränkung von Kunst und Leben, sympathisiert nicht mit dem Kunstmarkt, sondern eher mit Joseph Beuys. Also lassen wir die Fotostrecke für sich sprechen – und widmen uns hier der Frage, warum das „AZ“ uns alle angeht.

Es sind nur noch ein paar mutwillige Reaktionäre und selbstverschuldet Unaufgeklärte, die von vermummten Steinewerfern und Kalker Chaostagen phantasieren. Die Mehrheit kann es besser wissen: Seit seiner Gründung vor zwei Jahren berichten lokale und überregionale Medien über das „Autonome Zentrum“ in Köln-Kalk, abgesehen von einigem reaktionärem Hausbesetzer-Unsinn sogar einigermaßen sachlich. Besetzung eines leer stehenden Fabrikgebäudes an der Wiersbergstraße 44, Verhandlungen zwischen Autonomen, Eigentümer und Stadt Köln; Polizeieinsätze, ein Nutzungsmietvertrag, mehrere Aufmärsche von Neonazis mit weit besser besuchten Gegendemos. Zuletzt ein umstrittener Ratsbeschluss: endgültige Räumung im Sommer. Die „AZler“ wollen bleiben – oder in eine geeignete Alternative umziehen.

Das „AZ“ ist ein Politikum, nicht nur für die Betroffenen, die solidarische linke Szene, die fremdelnden Kommunalpolitiker. Es ist auch ein Prüfstein für die „etablierte“ Kulturszene, die sich bislang nicht so richtig für das Projekt auf der anderen Rheinseite interessiert und der unbequemen Frage ausweicht: Sind wir bereit, uns nicht nur für Schauspielhaus, Museen und Kulturinstitutionen einzusetzen, die wir gut kennen und selber nutzen, sondern auch für einen Ort der Kultur, der im „bürgerlichen“ Lager bislang keine Lobby hat? Die Mehrheit, so der Eindruck, hegt vage Sympathien für das dissidente Projekt, zu mehr reicht es bislang nicht. Der Grund dürfte, das wäre die freundliche Erklärung, in Halbwissen und fehlender Erfahrung liegen.

„Über 1000 Veranstaltungen, Filmreihen, Konzerte und Partys, drei Seminarräume, ein Kino, eine Bar, ein Café, zwei Ateliers, eine Elektronikwerkstatt, eine Fahrradwerkstatt, ein Sportraum, ein Umsonstladen, zwei Proberäume, ein Infoladen, eine Dunkelkammer, zwei Konzertsäle, Platz für 1000 Leute, offen für alle und kostet die Stadt nix – das ist das Autonome Zentrum, seitdem wir es vor zwei Jahren für uns, für Kalk, für Köln erobert haben.“ So beschrieben die AZler selber ihr Projekt, als sie im April zu einer Aktionswoche mit Kulturprogramm, Unterschriftensammlung und Solidaritätsauftritten einluden. Und stellten die Community vor: „Wir sind Künstler_innen, Schüler_innen, Handwerker_innen, Akademiker_innen, Berufstätige, Studierende, Arbeitslose; 14 Jahre jung und auch 64 Jahre alt; Männer und Frauen und keins von beidem. Wir kommen von nah und fern. Und wir fühlen uns wohl in Kalk. (…) Das AZ ist unser Labor. Das AZ ist Ort und Ergebnis unserer Kreativität und Kollektivität. Das AZ ist unsere soziale Skulptur.“


Bei meinem ersten Besuch, damals in der Anfangsphase, diskutierte der aus Hamburg angereiste Ted Gaier von den Goldene Zitronen vor seinem Konzert auf dem Podium mit Vertretern des AZ über Punk, Politik, selbstbestimmte Lebensentwürfe und mögliche Perspektiven eines „Autonomen Zentrum Köln“. Zwei Jahre später ist das verfallene Fabrikgebäude provisorisch „instandbesetzt“. Es ist Treffpunkt, Produktionsort und Bühne für Off Kultur im Do-it yourself-Verfahren, vor allem für junge Leute, durchaus auch jene aus den so gescholtenen „bildungsfernen“ Schichten, für die man andernorts mühsam öffentlich finanzierte Kulturangebote entwickelt (die oft nicht funktionieren, weil eben nicht selbst entwickelt). Dazu bereichert es längst einen Stadtteil, der es nötig hat.

Die vielen Quadratmeter Wandfläche des Gebäudes dokumentieren zwei Jahre Leben im AZ – von den aufwändigen Wandmalereien, die jedes Street Art-Festival bereichern würden, über Tags, Kritzelzeichnungen, Poster, politische Parolen bis zu flüchtigen Kleinaphorismen à la Fischli Weiss. Eine Räumung ohne geeignetes Umzugsangebot – keine Alibi-Offerte, sondern eine von den AZlern akzeptierte Lösung – wäre nicht nur das Aus für ein soziales Experiment, sondern auch für ein Kulturprojekt. Und eine Blamage für die Stadtgesellschaft, also uns. Da organisieren junge Leute auf eigene Faust und ohne jegliche Subventionen selber Kultur und gestalten aktiv ihre Lebensumstände – müsste sich die Politik darüber nicht richtig freuen? In dem Falle Bildungs-, Sozial- und Kulturpolitiker gemeinsam? Die andere Frage ist: Müsste die Kulturszene nicht diesen Ort als Teil der „Freien Kulturszene Köln“ genauso verteidigen, wie sie es für die einen Steinwurf entfernte Halle Kalk des Kölner Schauspiels tun würde? Noch liegt die offizielle Kündigung nicht vor (Stand 25. Mai). Aber auch diese Geschichte wird man irgendwann von ihrem Ende aus erzählen.

Weitere Infos, eine Chronik der Ereignisse und Aktuelles zum Stand der Dinge auf der Homepage: http://az-koeln.org
Der AZ Förderverein ist in Gründung, Mitglied werden oder Kontakt per mail an az-koeln@riseup.net

Weitere Bilder aus dem Kalker »AZ«


tags: , , , ,