Anja Niedringhaus

Anja Niedringhaus


Sabine Maria Schmidt über „Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin“ im Käthe Kollwitz Museum Köln, 29.3.– 30.6.19

Als die Kriegs- und Sportfotografin Anja Niedringhaus am 4. April 2014 während einer Wahlveranstaltung in Afghanistan von einem Attentäter erschossen wurde, war die Anteilnahme weltweit groß. Über zwei Jahrzehnte hatte die 1965 in Höxter geborene Fotojournalistin in Kriegs- und Krisengebieten wie Bosnien, Irak, Afghanistan, Pakistan, Gaza und Libyen gearbeitet. Anlässlich ihres 5. Todestages erinnern zwei Ausstellungsprojekte in Köln und Düsseldorf an Anja Niedringhaus. Der Kunstpalast in Düsseldorf nimmt den Ankauf von gut 70 Fotografien zum Anlass für die Gruppenausstellung „Fotografinnen an der Front. Von Lee Miller bis Anja Niedringhaus“. Diese widmet sich, mit einem historischen Überblick dem Beitrag von Frauen zur Kriegsfotografie. Allerdings will und kann eine „weibliche Perspektive“ letztlich doch nicht erkannt werden. Das Käthe Kollwitz Museum in Köln hingegen richtet die erste posthume Einzelausstellung von Anja Niedringhaus mit ca. 90 Dokumentarfotografien aus. Diese von der Filmemacherin und Fotografin Sonya Winterberg kuratierte Auswahl zeigt unter anderem 18 Originalabzüge aus dem Archiv von Anja Niedringhaus, handsignierte Prints, Dokumente und Archivalien, Fotoserien und Experimente wie auf Stoff reproduzierte Fotos, die in Afghanistan entstanden waren. Sonya Winterberg, die Anja Niedringhaus persönlich kannte, arbeitet im Auftrag des ZDF mit Ziegler Film an einem biografischen Dokumentarfilm und bereitet auch ein umfangreiches Werkverzeichnis vor.

Sterbender bosnischer Soldat, Sarajevo, Bosnien, 21. November 1994, © Anja Niedringhaus/EPA
Eine Passantin leistet gemeinsam mit einem französischen UN-Soldaten Erste Hilfe, nachdem ein bosnischer Soldat auf offener Straße in Sarajevo angeschossen wurde. Er starb Minuten später.

Bereits zu Lebzeiten war die Pullitzer-Preisträgerin des Jahres 2005 zu einer internationalen Größe ihres Fachs geworden und bekannt für ihren „Picture Impact“, einer hohen Dichte an Veröffentlichungen, meist auf Titelseiten. So preist der Fotograf und Kollege von der New York Times Michael Kamber nicht nur Qualität, Professionalität und Mut der Kollegin, sondern berichtet auch über den mit ihr verbundenen Konkurrenzdruck: „Wenn Anja schon an einem Ort wie Bagdad war, dann war das für uns andere oft ein Problem. Sie machte tolle Bilder, und wenn ihre Fotos besser waren als meine, dann nahm die New York Times eben ihre – das war mein Problem.“ (Kat. S. 63). Im Auftrag von Nachrichtenagenturen wie der amerikanischen Associated Press (AP) entstanden legendäre Aufnahmen, die die weltweit wichtigsten Magazine und Zeitungen auf ihren Titelseiten druckten und die so im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Über 900 Zeitungsseiten mit Titelbildern konnten im Nachlass der Künstlerin gesichtet werden. Einige sind in der Ausstellung zu sehen.
Die etwas martialische Bezeichnung als „Bilderkriegerin“ im Titel von Ausstellung und Katalog bezieht sich auf diesen Ehrgeiz und Durchsetzungswillen von Niedringhaus, der sich ebenso in ihrer Sportfotografie manifestierte. Über zwei Jahrzehnte dokumentierte sie die Turniere in Wimbledon und Olympiaden. In diesem Genre, das wie kein anderes erfordert, „den entscheidenden Moment“ zu erfassen, wurde ihr ein ebenso ungewöhnliches Ausnahmetalent attestiert. Fast jeder kennt ihre ikonischen Aufnahmen von Steffi Graf, Boris Becker, den Williams-Schwestern oder dem Sprinter Usain Bolt, ohne die Urheberin der Aufnahmen benennen zu können. „Im Sport gibt es ein Start und ein Ziel. Im Krieg endet die Geschichte nie,“ äußerte Anja Niedringhaus einmal. Die Sportfotografie bedeutete ihr nicht selten einen wichtigen emotionalen Ausgleich.

Zivilisten auf der Flucht, Basra, Irak, 30. März 2003, © Anja Niedringhaus/AP
Eine irakische Mutter trägt ihr kleines Kind am Stadtrand von Basra, als sie mit anderen aus der südirakischen Stadt flieht.

Bilder vom Krieg und Bilder vom Tod haben in der Kunst schon eine lange Tradition. Auch die Ausstellung von Dokumentar-, Reportage- oder Kriegsfotografie in Museen ist nicht neu. Im Käthe Kollwitz Museum, das bereits seit einiger Zeit mit monographischen Ausstellungen von Fotografinnen wie Lotte Jacobi, Ellen Auerbach, Annelise Kretschmer oder Eva Besnyö überzeugt, fügt sich die Ausstellung allerdings kontextuell besonders ein. Hatte doch Käthe Kollwitz (1867–1945) mit ungeschönten und oft düsteren Darstellungen den Auswirkungen von Krieg und sozialem Elend in ihren Zeichnungen und Graphiken einen dringlichen Ausdruck verschafft. Im Zentrum stand dabei wie auch in vielen Fotografien von Niedringhaus das Schicksal von Zivilisten, Frauen und Kindern.

US-Patrouille in Falludscha, Irak, 5. Februar 2005 © Anja Niedringhaus/AP
Ein irakisches Mädchen hält sich die Ohren zu, als ein Marine der 1. Division im Zentrum der schwer bewachten Stadt Falludscha patrouilliert.

Das Kollwitz Museum versucht, Kriegsfotografien eben nicht wie ‚Kunstwerke‘ auszustellen, auch wenn man sie damit – wie in Düsseldorf – besonders würdigen möchte. Weder würde man damit ihren Entstehungsbedingungen gerecht werden, noch den Intentionen ihrer Urheber. So hat sich auch Anja Niedringhaus nicht als explizite Kriegsfotografin und erst recht nicht als Künstlerin verstanden. Es wäre perfide, würden primär gestalterische oder ästhetische Fragestellungen für Bildjournalisten im Vordergrund stehen. Meist haben Bildjournalisten nur sehr begrenzten Einfluss darauf, wo und in welchem Kontext ihre Bilder veröffentlicht werden, wie ihr Bild im Kontext einer Gesamtmontage einer Seite aussieht, welche Schlagzeilen es zieren, ob es gar mit Werbung verbunden wird und ob das präferierte Bild oder der ausgewählte Ausschnitt auch genauso publiziert werden wie gewünscht. Mit der digitalen Technik ist die Farbfotografie selbstverständlich geworden. Am Ende entscheiden die Redakteure der Magazine oder Tageszeitungen, ob Bilder in Farbe oder s/w gedruckt werden. Mit den zahlreichen und unmittelbar gewordenen Möglichkeiten digitaler Publikation ist der Zeitraum zwischen Produktion und Distribution rapide beschleunigt. Ob Bilder einmal historisch relevant bleiben, das entscheidet die Zeit.

Detail aus der Ausstellung (Foto: Sabine Maria Schmidt)

Detail aus der Ausstellung (Foto: Sabine Maria Schmidt)

Was also genau ist es, was die Qualität, gar den Stil der Bildjournalistin Anja Niedringhaus ausmacht? Die Ausstellung im Käthe Kollwitz Museum befragt das sehr facettenreich. Zu beantworten ist dieses dennoch nicht so einfach. Zunächst folgt die Ausstellung biographisch markanten Stationen. Von 1990 – 1996 arbeitete Niedringhaus als Festangestellte für die EPA (European Press Agency). In Sarajewo überlebt sie ihren ersten Krieg. Bei einer Demonstration gegen Slobodan Milošević fährt ein Polizeiauto über ihr Bein, wenige Monate später ist sie wieder in Albanien im Einsatz. Es sind dramatische Bilder, die damals auch im Wettstreit mit Fernsehberichten entstanden. Bilder von serbischen Scharfschützen, von einem auf der Straße verblutenden Soldaten, spielenden Kindern, die kurze Zeit später von Mörsergranaten getötet werden, Flüchtlingsströme aus dem Kosovo.

Afghanische Frauen, fotografiert durch den Augenschlitz einer Burka, Kabul, Afghanistan,
11. April 2013, © Anja Niedringhaus/AP

Nach dem 11. September 2001 gelangt Niedringhaus, nun für Associated Press (AP), erstmals nach Afghanistan. Diesem Land wird sie nachfolgend eine große Liebe entgegenbringen. Sie reist ebenso früh in den Irak. Die Berichterstattung über die Invasion der Amerikaner stellte für viele Bildreporter eine massive Zäsur dar. Als sogenannte „Embeds“ reisten Reporter nun nicht mehr „unabhängig“, sondern zusammen mit kämpfenden Militäreinheiten. In dieser Zeit entstehen beeindruckende Aufnahmen vom harten Alltagsleben der Soldaten, ebenso angespannten und freundlichen Kontakten zur Zivilbevölkerung. Niedringhaus ist auch bei dem Sturm auf die Rebellenhochburg Falludscha dabei; ein damals sehr gefährlicher Einsatz, den über die Hälfte der Einheit nicht überleben sollte. Ihr preisgekröntes Foto des jungen Soldaten mit dem „Maskottchen (GI Joe)“ im Rucksack spricht ebensolche Bände wie das Bild der patrouillierenden Kanadier in Kandahar 2010, die ein Huhn aufscheuchen und kurze Zeit später von einer Granate getroffen werden. Es sind vor allem die ungewöhnlichen Situationen und Szenen, die abseitigen Beobachtungen, die es ihr festzuhalten gelingt. Meist ist oder zoomt sie ganz nah ran. Oft gibt es einen spezifischen Witz und unbeirrbaren Lebensoptimismus in den Bildern. In Bagdad leitet Niedringhaus für einige Zeit das Büro der Associated Press und kommt in Kontakt mit fast allen wichtigen Fotografen, von denen viele sterben werden, darunter Tim Hetherington, Chris Hondros, Martin Adler oder David Gilkey. Der Krieg wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit äußerst brutalen Bildern weitergeführt. Neu waren die Bilder von der Entführung und Enthauptung von Zivilisten und später Gefangenen. Neu die zunehmenden tödlichen Attacken auf Journalisten.

Kathy Gannon während der Pressekonferenz im Käthe Kollwitz Museum vor einem Foto von Anja Niedringhaus (Foto: Sabine Maria Schmidt)

Immer wieder reist Niedringhaus nach Afghanistan. Dort interessiert sie sich zunehmend für ausführlichere Dokumentationen und Bilderserien über die Bevölkerung und den Alltag im Krieg: trauende Witwen, aber auch afghanische Kinder in Vergnügungsparks oder behutsame Portraitserien, Frauen hinter Burka-Schleiern, Frauen in ihren Häusern. Niedringhaus erzählt Geschichten von Menschen jenseits akuter Kriegsereignisse. Mit der in Islamabad ansässigen AP-Chefreporterin Kathy Gannon findet sie erstmals eine Partnerin für gemeinsame Text-Bild-Geschichten. Es ist auch Kathy Gannon, mit der Niedringhaus im April 2014 zu ihrer letzten Reise in die Bergregion Ghost aufbricht. Der Attentäter – ein Polizeioffizier – schießt ungehindert auf beide Journalistinnen. Kathy Gannon überlebt schwerverletzt. Bei der Eröffnung in Köln war sie dabei und berichtete über ihren und den unerschütterlichen Lebensmut der verlorenen Gefährtin.

Artikelbild: US-Marine mit Maskottchen „GI Joe“, Falludscha, Irak, November 2004, © Anja Niedringhaus/AP
Ein junger US-Marine stößt mit seiner Einheit in den westlichen Teil der Stadt vor.


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