Ed Atkins

Ed Atkins


Sabine Elsa Müller über Ed Atkins „Ye Olde Food“ im K21, Düsseldorf, bis 16.6.19

Eine herzzerreißende Wehmut durchzieht diese Ausstellung. Ed Atkins´ Avatare weinen, stöhnen und seufzen. Sie betteln förmlich um Empathie. Die Protagonisten der zentralen Videoarbeiten „Neoteny in Humans“, „Good baby“, „Good boy“, „Good wine“, „Good smoke“ und „Good bread“ (alle 2017) werden schon als Baby von einer namenlosen Melancholie erfasst, von der sie offenbar nicht mehr loskommen. Ihre dicken Tränen und anklagenden Blicke sollten uns eigentlich anrühren. Aber so richtig klappt das nicht. Das verblüffend Lebensechte stößt immer wieder an unschöne Grenzen, statt heißer Tränen kullern unappetitlich gallertartige Substanzen über die Wangen und die differenziert ausgebildete Gesichtsmodulation steht in einem grotesken Gegensatz zum enttäuschenden Realitätsgrad der Haargestaltung. Selbst wenn sie ihrem Schmerz mit empfindsamem Klavierspiel beizukommen versuchen – es bleibt alles künstlich und konstruiert, durchschaubar als technische Manipulation einer computergenerierten Oberfläche.

Installationsansicht „Ed Atkins. Ye Olde Food“ im K21, Foto: Achim Kukulies © Kunstsammlung NRW

Diese Szenarien sind schwer auszuhalten. Ihre Betrachtung ruft eine Mischung aus Abscheu und Betroffenheit hervor, allenfalls lässt sich mit einem gewissen Abstand eine gehörige Portion schwarzer Humor dahinter entdecken. Statt Antworten anzubieten, stellen die Videos Fragen um Fragen. Warum diese niederschmetternde Hoffnungslosigkeit, diese Zumutung? Wenn man als Ursache der Melancholie ein starkes, aber nicht genau lokalisierbares Verlustgefühl voraussetzt, könnten diese menschenähnlichen Alter Egos genau darunter leiden: unter dem Verlust all dessen, was sie nicht sind und nicht haben. Als Imitatoren der realen Körper können sie noch so erfolgreich sein, ohne je selbst einen Körper zu haben. Eben so wenig werden sie je fühlen, auch wenn sie sich noch so sehr bemühen. „They are born dead“ – mit dieser kühlen Feststellung bringt es Ed Atkins auf den Punkt. Er holt die Mainstream-Realität der digitalen Medien mit HD-Qualität und Surround-Sound-System in die bildende Kunst, um sie als Illusion zu enttarnen.

Ed Atkins, Good wine, 2017, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels , © Kunstsammlung NRW

Der 1982 in Oxford geborene Brite gilt derzeit als einer der gefragtesten Videokünstler – die Düsseldorfer Ausstellung war in Teilen bereits 2017 im Berliner Martin-Gropius-Bau und bis Ende März diesen Jahres ebenfalls im Kunsthaus Bregenz zu sehen. Im Zentrum seiner Animationen stehen mit sogenannter Motion-Capture-Technologie bewegte Charaktere. Sein Rohmaterial – das Baby, der Junge im Renaissancekostüm, der mittelalterliche Held, den man aus vielen Videospielen zu kennen glaubt – bezieht er von kommerziellen Anbietern. Indem er diese industriell erschaffenen Protagonisten mit seiner eigenen Mimik, Gestik und Stimme zum Leben erweckt, verbindet er sie mit seinen persönlichen Erfahrungen. Ed Atkins, der seine Arbeit in einem engen Bezug zur Literatur ansiedelt und auch als Autor reüssiert, betont in seinen Texten immer wieder die für ihn zentrale Auseinandersetzung mit dem Körper und den daraus resultierenden Erfahrungen bis zu seinem Verschwinden durch den Tod. Die Avatare erweisen sich als ideale Projektionsflächen dieser Auseinandersetzung.

Ed Atkins, Good boy, 2017, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels © Kunstsammlung NRW

Es finden sich immer wieder versteckte Hinweise auf den wichtigen Anteil von Literatur und Lyrik als Basis dieser Inszenierungen. „Ye Olde Food“ handelt weniger von altem Essen, als von dem ewigen alten Stoff, der Erzählung vom Menschen, „The Old Story“, und deren unterschiedliche Verpackungen. Etwa wenn große Mengen von Kostümen aus dem Theaterfundus den Videobildern als eine andere Form metaphorischer Wirklichkeitsumdeutung gegenübergestellt werden. Don Carlos oder Aida erschaffen ebenso künstliche Welten wie die Avatare und entsprechen lediglich einer anderen Kultur. Die angehäuften Kostüme werden in diesem Zusammenhang ebenfalls zu austauschbaren, nur temporär tauglichen und alsbald wieder abgestreiften Hüllen von Körpern, vermitteln dabei aber selber eine eigene, sinnliche Körperlichkeit.

Ed Atkins, Good bread, 2017, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels © Kunstsammlung NRW

Zur allegorischen Ebene der Videos und der illustrativen Ebene der Kostüme holt Atkins eine dritte Ebene in Form affirmativer Texttafeln in die Ausstellung herein. Zwischen diesen drei Wahrnehmungsmodellen absolviert der Besucher, die Besucherin ein Wechselbad der Gefühle und Bewusstseinszuständen. Die Informationstafeln entsprechen nicht der üblichen glatten Ästhetik solcher institutioneller Ausstellungsmöblierungen. Atkins hat dafür Holzplatten aus dem Fundus ehemaliger Ausstellungsarchitekturen des Museums verwendet, deren rohe Materialität in Verbindung mit den per Laser eingravierten Texten eine eigene, spröde und „authentisch“ wirkende Ästhetik erzeugt.

Installationsansicht „Ed Atkins. Ye Olde Food“ im K21, Foto: Achim Kukulies © Kunstsammlung NRW

Als Urheber der Texte werden die anonymen Autoren der Website „Contemporary Writing Art Daily“ genannt. Es wäre aber eher verwunderlich, wenn sich dahinter nicht eine weitere Rolle des Künstlers Ed Atkins verbergen würde. Wie zu erwarten lösen auch die umfangreichen Texte die Erwartungen an herkömmliche „Saaltexte“ nicht ein. Sie vermitteln nicht zwischen Betrachter*in und der Kunst, sondern liefern den Kommentar und die kunstkritische Wertung gleich mit. Dazu kommen aufschlussreiche Rechercheergebnisse über viele Themen von CGI (Computer Generated Imagery) bis zu den technologischen Innovationen für Crash Test Dummies. Je nüchterner sich die Texte geben, desto mehr schleicht sich auch beim Lesen wieder das typische Atkins´sche Unbehagen ein, wenn beispielsweise über die gesetzlich zulässige Obergrenze für Säugetierfäkalien, Insektenkot und Schimmel in der Nahrung aufgeklärt wird.

Ed Atkins, Untitled, 2018, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels © Kunstsammlung NRW

Damit sind wir doch wieder beim Essen angekommen. In „Untitled“ (2018), dem jüngsten Beitrag, werden verschiedene Sandwiches vor unseren Augen zusammengestellt, wie man es aus der Werbung kennt. Aber statt Hamburger, Gürkchen und Röstzwiebeln werden völlig absurde Zutaten aufeinandergeschichtet. Meist sind es Körper, animierte Körper von Erwachsenen oder Babys, dann aber auch Stühle oder andere Dinge. Es gibt keinen Unterschied zwischen Dingen und Körpern, alles ist gleichermaßen flach, substanzlos. Ed Atkins, der auch ein hervorragender Zeichner ist, macht keinen Unterschied zwischen den Strukturen seiner Videos und denen von Zeichnungen oder Texten, die ebenfalls aus einzelnen Bausteinen – Zeichen oder Wörtern – zusammengesetzt sind. Die Technologie in seiner Arbeit macht genau das sichtbar, was sie nicht ist und nicht kann: eine körperliche Erfahrung ersetzen. Was aber bleibt, wenn der Körper verschwindet?

Artikelbild: Ed Atkins, Good smoke, 2017, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York, Rome and dépendance, Brussels © Kunstsammlung NRW