Bernd Krauß - Das grafische Werk

Bernd Krauß – Das grafische Werk


Bernd Krauß „Das ist heute möglich“ im Kölnischen Kunstverein, bis 9. September.

Als ich vor Kurzem, wie so oft, bei der wundervollen Buchhandlung König um den Tisch mit den Neuerscheinungen schlich, fiel mir ein Katalog besonders unangenehm auf.
„Neo Rauch – Das grafische Werk“ stand da Ehrfurcht einflößend auf dem Umschlag, und so wenig ich einen Hehl daraus machen will, dass ich dem Star-Status von Neo Rauch immer schon mit sprachlosem Unverständnis gegenüberstand, so sehr bestätigt mich dieser Katalogtitel darin, gewisse Überhöhungen und Wertschöpfungsmechanismen des Kunstbetriebs mit noch mehr Argwohn zu betrachten. „Das grafische Werk“, so ein Titel evoziert klassische Größe und behauptet kunstgeschichtliche Relevanz. Im Kölnischen Kunstverein sieht man zum Glück gerade eine Ausstellung, die opulent und trotzig auf genau diese Überhöhungen scheißt.

Bernd Krauß begrüßt die Besucher gleich im lichten Foyer des Gebäudes mit einem Querschnitt seines fotokopierten Magazins „Der Riecher“, und Querschnitt bedeutet hier bis zur Decke volltapezierte Wände. Seit 1998 entsteht „Der Riecher“ quasi tagtäglich aus dringlichen Notizen, Skizzen, Abgeschriebenem und Wutanfällen über die nervigen Seiten der Welt. Von doofen Ausstellungen über dumme Schauspieler bis zu akkuraten Abschriften dämlicher Fernsehwerbungen hangelt sich „Der Riecher“ zu den schönen Dingen des Lebens, einem Kaffeeautomaten, der am Frankfurter Hauptbahnhof für 50 Cent noch guten Kaffee brüht, der unglaublichen Vielfalt der Dinge (speziell Toilettenpapier, das Bernd Krauß sammelt), einem leckeren Tee oder einer flotten Email. Es ist dieser von oben bis unten vollgeschriebene Eingangsbereich, der klar macht, dass es hier ums Leben geht. Die Zeit rast, und wie man währenddessen aus all dem Zeug, aus der Erinnerung, der eigenen Prägung und den täglich schneller vergehenden Ereignissen ein Leben zusammenbastelt, das kann man in dieser Ausstellung erahnen und das macht sie so toll.
Bernd Krauß ist das Gegenteil von Selbstüberhöhung, er nimmt, was er kriegt und macht, was grade geht. Viele seiner Objekte bestehen aus Dingen, die das Leben ihm vor die Füße gelegt hat. Verpackungskartons, Pizzaschachteln, alte IKEA Bettüberwürfe, Zeitungen und durchgelaufene Socken beispielsweise. Und das genügt vollkommen. Die Einfachheit der Materialien ist dabei keine gezielten Geste von Bescheidenheit, sie ergibt sich aus dem Leben, das gelebt wird. Bei „Alice im Wunderland“ gibt es zu Beginn die berühmte Szene, in der Alice ewig lang durch ein tiefes Loch fällt, immer dem Boden des Kaninchenbaus entgegen, in den sie geklettert ist. Sie fällt an Bücherregalen vorbei, greift ein Marmeladenglas aus einem Regal, stellt es wieder ab und fällt weiter. Wenn Bernd Krauß Alice wäre und der Schacht das Leben, dann wären all die Dinge mit denen er arbeitet, genau die Marmeladengläser und Bücher, die sich beim Fall greifen lassen.

Manches davon stellt er beim Fall auch wieder in ein leeres Regal und holt es später nochmal heraus, zum Beispiel die über 50 sorgfältig aufgerollten Schnur-Knäule, die er seit 1995 immer wieder in langwieriger Arbeit mit eng aneinandergereihten Knoten versehen und wieder aufgerollt hat. Für die Show in Köln wurden diese Bälle aus den verschiedensten WG-Kellern und Freundeszimmern zusammengesammelt, in denen sie jahrelang lagen, wie Erinnerungen an Prozesse der Bewältigung von Leerräumen auf der Reise durch die eigene Lebenszeit. Und Erinnerungen tauchen immer wieder auf in der Ausstellung, in der dieser Berg an irrsinniger Arbeit nur ein winziger Teil eines Gesamtbildes ist, nur eine Vitrine unter vielen. Wenn man, wie ich, in den frühen 1970ern geboren wurde, will man zum Beispiel sofort die großen Frottee-Skulpturen umarmen, die speziell für die Ausstellung genäht wurden. „Antrag auf Zivildienst“ heisst eine, die in ihrer abstrakten, leicht geschwungenen Form an anthroposophische Specksteinobjekte erinnert, die man im Schulalltag der damaligen Zeit mit zwischen die Lippen geklemmter Zunge hochkonzentriert zurechtgefeilt hat. „Teddy mit Lachs“ habe ich heimlich beim Rundgang durch die Ausstellung gestreichelt, denn allein die schiere Menge an Frotteestoff schafft eine fast melancholische Erinnerung an wärmende Frotteeschlafanzüge und kuschelige Biber-Bettwäschegarnituren.

Erinnerungen an Kindheit in einem kleinbürgerlichen Umfeld, an Basteln mit einfachen Materialien, Feriencamps, Hobbykeller, Heuschober, Modelleisenbahnen und den „Do it yourself“-Geist der 70er tragen wahrscheinlich nicht nur Bernd Krauß und ich mit durchs Leben. Der riesenhaft in Styropor vergrößerte „Kinderfuß mit Scheiße drauf“ ist zum Beispiel so etwas. Beim Spielen auf der Wiese in Scheiße getreten, eklig und seltsam angenehm zugleich, ein kurzes Aufblitzen von Erinnerung in Styropor verewigt. Es ist weniger verklärende Nostalgie, die sich da in Specksteinobjekten (von denen es einige gibt), Frottee, Korkenobjekten und der herrlich duftenden Zuschauertribühne aus Heuballen manifestiert, es sind einfach Prägungen, die weiter benutzt werden, die nicht verschwiegen werden, sie sind Teil des Ganzen, da kommt man her. Bernd Krauß benutzt all diese „alten“ Basteleien, löst sie aber von ihrer Ursprünglichen, oft didaktischen Ergebnisorientiertheit. So dienen seine großen Linolschnitte nicht als Druckvorlagen, sie sind selbst das Bild, ein Schnitzwerk in Linol. Das Styropor-Objekt „Kapuzenpullover“ bleibt rätselhaft abstrakt und die „Pinnwand“ wird zu einer deckenhohen rotierenden Säule aus Weinkorken. Zwischen all dem immer wieder Styropor, Sockel, Stellwände, Objekte. Manchmal schneiden sich dicke Ketten, an denen die Bilder von einigen dieser Wände gehängt sind ins Material, manchmal sind die Blöcke mit der Kettensäge bearbeitet und in einem Video, das zeigt, wie Bernd Krauß täglich das von ihm bei einem tristen USA-Stipendium entdeckte Grab von Hannah Arendt von Schnee befreit, ahnt man, dass all das Styropor auch wie Schneeberge zwischen und auf all den Dingen des Lebens liegen, die hier beständig freigewischt werden.

Es gibt unfassbar viel zu sehen in dieser Ausstellung, in einer Art offenem Zimmer aus IKEA-Wohnelementen verdichtet sich die Masse an Dingen jedoch noch einmal zu einer „UNIT“ betitelten Kammer, die sich durch die Scheiben des Kunstvereins in den an die Straße angrenzenden Garten fortsetzt. Und hier liegt, zwischen in Plexiglas versiegelten Pappverpackungs-Skulpturen und einem Video, das überprüft, ob Köln wirklich die Stadt mit der höchsten Porsche-Dichte ist, eine Mappe die noch einmal wie die „Riecher“-Wandzeitung im Eingang zusammenfasst, was all diesen Haufen Dinge zusammenhält. In seiner hier noch einmal einsehbaren Diplomarbeit (allein das ist in sich wieder ein Zeichen für eine Offenheit der eigenen Geschichte gegenüber) hat Bernd Krauß unzählige Dokumente seines Lebens abgezeichnet, alte Poster, den Personalausweis, Briefe, Bewerbungen, Zeitungsausschnitte, Empfehlungen, Quittungen, alles, alles, alles. Beim Blättern durch diese Masse an offiziellen und oft banalen Lebensbeweisen wird klar, wie schnell das Leben vergeht und wie wichtig die Frage ist, die Bernd Krauß immer wieder stellt: Was kann ich tun, als der, der ich bin und mit dem, was mir gegeben wird?


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