Wenn die Wände zu leben beginnen

Wenn die Wände zu leben beginnen


Stefanie Raupach über den Wandmaler Klaus Paier

Die Schatten- und Sonnenseiten der Gesellschaft zeigen sich meist in den Städten. Köln beispielsweise tritt als Nicht-Ort des kopflosen Konsums in Erscheinung, aber auch (noch) mit Orten, die geprägt sind von der Energie derer, die anders leben wollen, die kulturelle und gesellschaftliche Beteiligung und nachbarschaftliches Engagement schätzen. Die Kölner Südstadt ist so ein Stadtteil. Mittendrin in der für viele auch unerschwinglichen Idylle zwischen Park und hippem Burgerladen gibt es ein Graffiti an einer Wand in der Elsaßstraße, das an den 3. März 1933 erinnert, als SA Truppen in die heute so pittoreske Kölner Südstadt einmarschierten und vom Widerstand der Bürger überrascht wurden. Sicher aufgehoben scheint das Wandbild in dieser Straße, die früher eine linke Hochburg war. Es ist nicht mit rechten Parolen, vielmehr irgendwann einmal in einem Akt der Vervollständigung bemalt.

Klaus Paier, Bunker Elsassstraße 42 – 46, Köln, Foto: Geolina163

Das Wandbild mit seinen unruhigen Formen, die nicht schön, sondern laut sein wollen, und seinen klaren Farben, die sich gegeneinander absetzen, zeigt, was erinnert werden muss: die Zivilcourage der Straßenbewohner, die sich gegen die einmarschierenden Nazis anlässlich der Machtübernahme Hitlers zur Wehr setzten, in dem sie von ihren Fenstern aus mit Wurfgeschossen auf sie zielten. So sieht man eine Frauenfigur, die Kaktus, Nachttopf und Nudelholz auf ein Gerippe schmeißt, das, eingefasst in eine Fahne mit Hakenkreuz, den Hitlergruß vollzieht. Paier brachte mit seiner Kunst seine Wut über die herrschenden Zustände der 1970er und 80er Jahren zum Ausdruck, mit denen er sich nicht abfinden wollte: Faschismus, die Lebenswirklichkeit der Schwächeren und Unangepassten in der BRD und die ökologischen Probleme in den wachsenden deutschen Städten. Mit globalem Blick prangerte der studierte Physiker aber auch schon früh die Gefahren der Atomkraft an und lenkte die Aufmerksamkeit auf das Apartheitsregime in Südafrika. Obwohl seine Motive heute wieder aktuell scheinen, sind es nicht seine Bilder aus denen wir heute etwas lernen können, sondern die Tatsache, dass er mit ihnen Räume eröffnete.

Klaus Paier, Foto Bernd Wendt / falschnehmung.de https://www.falschnehmung.de/fotografisches/wandmalerie-graffiti/klaus-paier/

Dem sog. „Aachener Wandmaler“ Klaus Paier (1945-2009) ging es mit seinem Bild aus dem Jahr 1983 nicht nur darum, dem Widerstandsgeist ein starres Denkmal zu setzen. Vielmehr suchte er bewusst die Konfrontation mit dem öffentlichen Außenraum, zunächst in Aachen und später in seiner Wahlheimat Köln. Bewusst platzierte er seine kantigen Figuren, meist in Kombination mit prägnanten Wörtern oder kurzen Sätzen dorthin, wo sie Wirkung erzielten, indem sie zum Nachdenken anregten oder sich solidarisch erklärten. Meist des nachts entstanden Paiers bissige, mahnende oder appellierende Bilder, die er selbst einmal als „optische Schreie“ beschrieb auf Bunkerwänden, Fabrikmauern, besetzten Häusern oder historischen Baudenkmälern.

Klaus Paier, Schinkelstraße, Aachen, Foto: Michael Tiede

Ende der 70er Jahre hatte Aachen schon viel künstlerisches avantgardistisches Engagement gesehen und künstlerische Konzepte waren in die Stadt getragen worden. Die Möglichkeiten einer Kunst, die sich mit dem Leben verband, hautnah erfahrbar durch den Katalysator Neue Galerie und ihre internationalen Gäste, waren in vielfacher Hinsicht erprobt worden. Auch an der RWTH, wo 1964 ein Fluxus-Konzert unter anderem mit Joseph Beuys und Wolf Vostell die Studentenschaft geschockt hatte. Angetrieben von den Impulsen des Kunstzentrums Rheinland war die Region auch zu einem Motor für die Entwicklung von Kunst im öffentlichen Raum geworden. In der Person Klaus Paier vereinigte sich dieser visionäre Input regionaler Kunst im öffentlichen Raum mit dem politischen Impuls der 80er Jahre.
Im Zeichnen zwar geschult und durchaus mit prägnantem Stil, ging es ihm jedoch nicht um Kunstfertigkeit, sondern darum, seine Botschaften unter das Volk zu bringen und Menschen zu animieren, gegen Unrecht tätig zu werden. Seine griffigen und leicht zu verstehenden visuellen Botschaften vermittelten selbst eiligen Passanten und Autofahrern komplexe Zusammenhänge auf einen Blick.

Klaus Paier, Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (1979), Entwurfszeichnung, Archiv Thomas Paier

Paier entließ seine auf der Basis von Kreidezeichnungen und anschließend mit Pinsel und Dispersionsfarbe kolorierten Bilder zumeist anonym in die Stadt, doch dies nicht ohne sie fortan im Auge zu behalten. Bewusst setzte er seine Werke dem handfesten sowohl unterstützenden als auch zerstörerischen Zugriff anderer aus.
Meist traten seine linken Bildwelten jedoch angesichts des Vorwurfs der Sachbeschädigung in den Hintergrund. Konsequent ätzten die Städte Paiers „Schmierereien“ weg und erstatteten Anzeige. Obschon Paier mit eisernem Widerstandswillen viele seiner Motive immer wieder auf die Mauer zurückbrachte, sind heute nur noch sehr wenige seiner ca. 100 Motive, erhalten. Auch das Wandbild in der Kölner Südstadt wurde von der Stadt übermalt. Nach großem Protest von Künstlern und Anwohnern wurde es schließlich jedoch bei einem Straßenfest wieder hergestellt. Durch diese Auslöschungen und wiederholten Übermalungen begannen seine Wände zu leben und viele Motive eröffneten Räume für Fragen, Empörung oder Verbundenheit.
Fasziniert von diesen Interaktionen zwischen seinen Bildern und der Umgebung dokumentierte er Entwicklungen wie Korrosionen, Übermalungen oder Veränderungen im umgebenen Stadtbild minutiös. Welche Rolle die Interaktionen zwischen seinen Eingriffen und der Umgebung für ihn spielte, zeigt sich daran, dass zu jedem Bild regelrechte Sequenzen entstanden, die die Vorzeichnung, die Ausführung und die Veränderung bzw. Zerstörung des jeweiligen Gemäldes aufzeigten.

Klaus Paier, Es herrscht immer Krieg in den Fabriken (1978), Eilfschornsteinstr. Aachen, Foto: Paier/Stöhr

Worum es Paier ging, liegt bis heute in seinen Bildern aber auch dazwischen und jenseits davon. Denn der öffentliche Raum, das zeigen uns seine Werke, kann viel mehr sein, als glatt gefegt und am Konsum orientiert. Das Erschaffen von Diskussions- und Reflexionsräumen ist die revolutionäre Kraft und das Erbe von Paiers Arbeit.

Das Ludwig Forum Aachen zeigt noch bis 1.10. die Ausstellung „Optische Schreie. Der Aachener Wandmaler Klaus Paier“.

Artikelbild: Klaus Paier „Der große Krieg“ (1980), Ecke Pontstr./Augustinerbach Aachen, Foto: Paier/Stöhr


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