Besprechung Welt am Draht – Die Videonale 14

Besprechung
Welt am Draht – Die Videonale 14


Harald Uhr über die Videonale 14 , Bonn, bis 7. April

Strippenzieher allererster Güte müssen hier am Start gewesen sein. Dieser Eindruck jedenfalls stellt sich beim Gang durch die Ausstellung der diesjährigen 14. Ausgabe der Videonale im Kunstmuseum Bonn unversehens ein. Kabel- und Stahlverdrahtungen wohin das Auge reicht. Das ganze Gedärm der Monitore, Lautsprecher, Leinwandscreens und Abspielgeräte hängt offen über unseren Köpfen, als Sinnbild der Abhängigkeiten von allem und jedem, vor allem aber augenscheinlich der avancierten Medienkunst, von der Decke herab. Wie auch in den zurückliegenden Ausgaben, diesmal jedoch unter neuer Leitung, ist eine Ausstellung zustande gekommen, die die Ausstellbarkeit des Formats selbst zur Disposition stellt und verhandelt. 41 Beiträge sind zu sehen, ausgewählt aus beeindruckenden 2100 Einsendungen aus 70 Ländern, wie in den entsprechenden Verlautbarungen gerne betont wird.

Die Filme der straffen Auswahl zeigen dennoch ein breites Spektrum der Möglichkeiten mit dem bewegten Bild. Keinem vermeintlichen Trend wird das Wort geredet. Zu sehen sind: Tierfilme, Architektur- Landschafts- und Stadtfilme, Computerfilme, Performance Lectures, Found Footage, Animationsfilme, der Selbstbefragungsfilm, Filme über und mit Musik, Filme mit und über Filme, Filme als Parabel, viele Filme von und mit vielen KölnerInnen, herrlich anarchische Filme mit Reminiszenzen an den experimentellen Undergroundfilm der 50er / 60er / 70er / 80er / 90er Jahre, Filme als Spaßbremse, die einfach nur dauern, Filmverweigerungsfilme, Filme, die ein Denken oder eine Haltung bebildern, Problemfilme, die aktuelle politische Problemlagen und ihre Verstrickungen mit unserem medial geprägten problematisch-prekären Alltag problematisieren. Dokumentarisches und Fiktionales steht gegen- rsp. nebeneinander oder ist häufiger auch ineinander verwoben. Das Alles ist sehr facettenreich und vielstimmig. Der große Wurf, der das Medium überraschend neu oder überraschend anders vorführt oder benutzt, bleibt jedoch aus. Ein ‚wie gehabt’ auf höchstem Niveau darf konstatiert werden. Für die Besucher mit nicht gar so klammen Geldbeutel sei der Erwerb des soliden Kataloges mit DVD dringlich ans Herz gelegt, kann man dann nämlich ein Großteil der oft auch gerne sehr langen, bis über 60 min dauernden Filme am heimischen, flächendeckenden Flachbildschirm in trauter Runde anschauen und nachlesen, was man da gerade gesehen hat.

Am Eröffnungsabend wurde wie gewohnt auch der Gewinner des Videonale Preises verkündet und mit Live-Schalte gegrüßt. Dass die Entscheidung auf Christian Jankowski fiel, wirft einige Fragen auf. Wieder einmal hat Jankowski, der umjubelte Hofnarr der Kunstschickeria, für seinen Zweikanalfilm in erster Linie Leute angeheuert, die sich mit irgendwas auskennen. Das absurd überdrehte Ergebnis strahlt eine erwartbare Perfektion aus. ‚Casting Jesus’ von 2011 macht auf seiner Welttournee jetzt also auch Station im Rheinland. In einer römischen Kirche von Profis mit Profis gedreht, wählt eine mit drei Männern besetzte Jury im Rahmen einer Casting Show den idealen Jesus für unsere Zeit aus. Mit diesem Beitrag, zur rechten Zeit platziert, hält Jankowski in gewohnter Manier einer dekadenten Wohlstandsgesellschaft den, nun, ja,…Spiegel (sorry!) vor. Da aber liegt auch schon das Problem, denn seine Konzeptionen setzen einen Austausch auf Augenhöhe mit eben dieser Gesellschaft, die sich jetzt als ‚reflexiv’ dekadente Gesellschaft aufgewertet sehen darf, voraus und beruhen auf einem gehörigen Maß an Komplizenschaft. Raus kommt dabei eine nahezu perfekte Win-Win Situation für alle Beteiligten. Eben diese ist es wohl, die hier mit dem moderat dotierten Preis der Videonale honoriert wird. Einstmals als Förderpreis deklariert, als Anschubfinanzierung für das Nachfolgeprojekt eines oder einer begabten Nachwuchskünstlerin gedacht, geht er diesmal also an eine Großverdiener und Akademieprofessor mit Wohnsitz in Berlin, New York und weiß der Teufel, wo er noch eine weitere Finca stehen hat. Gehen wir mal wohlmeinend davon aus, dass dem Preisträger die Absurdität der vielleicht ja selbstironisch gemeinten Entscheidung mehr als bewusst ist und er nach dem gegönnten Schampusfrühstück den Rest des Preisgeldes an die Partykasse seiner Akademiestudenten weiterleitet.

Hervorzuheben bleibt noch das formidable Rahmenprogramm des Festivals. Neben den obligatorischen Experten-Vorträgen und Round-Table Gesprächen stechen hier vor allem die beiden Retrospektiven hervor, die zwei Altmeistern des Genres gewidmet sind. Am Eröffnungswochenende glänzte das Festival mit einem Screening auf großer Leinwand der Arbeiten von Kenneth Anger. Vorgestellt wurde der anwesende, heute 85 jährige Anger als der letzte Überlebende der ersten Generation des amerikanischen Avantgardefilms. Das sagenumwobene und selbst Sagen spinnende Enfant Terrible, das eine explosiv provozierende Bildsprache ohne wenn und aber entwickelte und sich seit jeher quer zu jeglichem Common Sense verorten darf, erwies sich als liebenswert netter alter Mann. Nur so kann es gehen, ist man versucht, den mit dem grassierenden Pflegenotstand befassten Politikern zuzurufen.
Ähnlich spannend, doch gänzlich anders geartet dürfte die Wiederbegegnung mit den philosophisch angereicherten Arbeiten von Gary Hill zum Abschluss der Videonale geraten. Auch darauf freuen wir uns schon sehr.

Harald Uhr


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