Treffen mit Captain Jack

Treffen mit Captain Jack


Albert Oehlen im Kunstmuseum Bonn, bis 3.6.

Wie ein penetranter Marktschreier verkauft uns die Malerei ihre neu gewonnene Autonomie. Der Marktplatz ist das Museum, in dem sie sich plakativ und selbstgefällig präsentiert. So blickt uns zur Begrüßung eine riesige, in Siebdrucktechnik ausgeführte Krabbe, „Captain Jack“ (1997), mit einer verformten, menschenähnlichen Grimasse an, umgeben von digitalen, verpixelten Linien und geometrischen Formen. Doch im Kontrast zu diesen technisch hergestellten Drucken drängt sich uns die Malerei in Form von expressiven Strichen regelrecht auf. Konzipiert als ein Rundgang durch die unterschiedlichen Themengebiete der abstrakten Arbeiten von 1988 bis heute, zeigt das Bonner Kunstmuseum die erste große Überblicksausstellung des 1954 in Krefeld geborenen Künstlers Albert Oehlen und den Kampf der Malerei zwischen Autonomie und Abbildung der Wirklichkeit.

In der Tradition Richters und Polkes drängt sich von Raum zu Raum die Frage nach dem Bild und dessen Wirklichkeit auf. Was kann die Malerei heute noch leisten? Betrachten wir die Unschärfen und grauen Bilder Richters, oder Polkes nachgeahmte Rasterdrucke und schließlich Oehlens „Farbschmierereien“, dann wird deutlich, dass Malerei nicht mehr in der Tradition steht, das Reale abbilden zu müssen. Doch wozu dann noch Malerei?

Entscheidend bei Oehlen ist das Verhältnis Bild-Betrachter, indem er Emotionen auslöst und Effekte erzeugt. Unterstützt durch die gut durchdachte antithetische Hängung der farbschwachen zu den farbintensiven Arbeiten sind wir hin- und hergerissen zwischen gesteigerter Sensibilität für Farbe und der Überforderung unseres Sehnervs mit grellen, absurden und abstoßenden Kompositionen. Der Hunger nach Farbe wird sofort in Übersättigung umgekehrt. Ein Gefühl der Ratlosigkeit steht im Raum. Dort wo hochcodierte Versatzstücke aus unserem Alltag  in Form von Werbung oder Stoffbahnen scheinbar Assoziationen wecken, finden wir nur inhaltlose unzusammenhängende Form, indem Oehlen in „FM 27“ (2008) das Bild einer Deutschlandflagge neben Palmen platziert, mit Farbe überpinselt und restlos veralbert.

Bereits in seinen frühen Spiegelbildern, die ihre Entsprechung in Richters verglasten Arbeiten finden, schafft er einen Bildraum, der uns einbezieht und simultan ausschließt. Das Bild ist kein Fenster in eine andere Welt, sondern stellt unseren Raum dar. Indem dieser gespiegelt wird und als verzerrtes Abbild im gemalten Bild erscheint, erzeugt Oehlen eine Pseudotiefe, vergleichbar mit dem durch ein Rasenstück angedeuteten Raum in einer Arbeit von 2011, in der der Künstler den Druck eines Sonnenschirms auf die Leinwand klebt, um darum eine ausgeklügelte Komposition aufzubauen aus vertikalen, diagonalen und horizontalen Linien, die expressiv auf die sonst leere Leinwand geworfen werden.

Als Höhepunkt der Ausstellung und Antipode der „schrottigen“ Arbeiten, wird dieses Werk zu Unrecht in die Schublade des Hässlichen gesteckt. Genau diese Gegensätze zwischen dem nahezu traditionellen Verständnis von Komposition und der von vielen Menschen als nervig aufgefassten „Farbschlacht“ auf der Leinwand zeichnet Oehlens Arbeiten aus. Er knüpft dabei an Willem de Koonings abstrakten Expressionismus an, indem er ein spannungsreiches Gleichgewicht schafft zwischen expressionistischer Geste und Bildkonstruktion, Hässlichem und Ästhetischem. Doch was ist schon hässlich und was schön? Oehlen geht es nicht um eine Definition solcher Begriffe. Er thematisiert Malerei, die sich neben Fotografie und Video in der Kunst behaupten muss. Während der Suche nach einer neuen Rolle und Ausdrucksweise von Malerei übt er spürbar Zurückhaltung als Künstler. Er beseelt die Malerei, die sich mit neuem Selbstbewusstsein präsentiert. Sie scheint uns mit herausgestreckter Zunge zu sagen: „Hier bin ich, du kannst mich mal!“. Es steckt viel drin in diesen Actionpaintings 2.0. Das Treffen mit „Captain Jack“ lohnt sich.

Anna Schimke, geb. 1988, studiert Kunstgeschichte an der Uni Bonn.


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