Sarah Kürten

Sarah Kürten


Christina Irrgang über „Sarah Kürten – under the illusion of structureless splendor“ in der Galerie Max Mayer, Düsseldorf, bis 9.1.21

Die pandemischen Zeiten haben vielen Menschen ein intensiveres Innehalten abverlangt. Im besseren Fall hat dies nicht zu radikalen destruktiven Brüchen geführt, sondern zu einer Innenschau mit der katalytischen Bereitschaft, eine größere Verletzbarkeit zuzulassen. Sich verletzbar zu zeigen heißt, anderen einen Zugang zu den Gedanken und Handlungen zu gewähren, die zuvor größtenteils von den Masken des eigenen Selbst verdeckt gewesen sind. Verletzbarkeit zuzulassen heißt in diesem Sinne, etwas (von sich) zu öffnen, zu überdenken, loszulassen und abzulegen, um zu einer Abweichung vom Kurs zu gelangen.

Sarah Kürten hat mit ihrer Ausstellung „under the illusion of structureless splendor“ eine solche Drift vollzogen, denn ihren in der Galerie Max Mayer in Düsseldorf gezeigten Arbeiten liegt das Überdenken von reproduzierten Strukturen und ihrem Aufbruch auf ganz wesentliche Weise zugrunde. Bilder, Texte, ihre Installationen und Soundscapes legen und schmiegen sich – Inhalt und Gefüge infrage stellend – in die Ecken und Randsituationen der massiven Backsteinarchitektur des Schmela Hauses, bilden durch nah zueinander oder weit voneinander entfernte Hängung eine Bezugnahme durch den Raum, um ihn einer erweiterten Sichtbarkeit und Lesbarkeit zu öffnen, die Sarah Kürten subtil wie eindeutig anbietet.

 

Wie schauen sich Menschen und Generationen gegenseitig an und wie gehen sie miteinander um? Wem oder welchem Denken widersetzen wir uns, und zwar nicht provokativ, sondern pro-aktiv? In der Betrachtung zwischenmenschlicher Beziehungen erhalten die Kontinuität familiärer Verhältnisse und der Bruch mit der Tradition eine besondere Bedeutung. Wessen Sicherheit und Unsicherheit leben wir, insbesondere als Frau? Sind es die Fallen des (eigenen) Begehrens, oder ist es gerade die Befreiung durch die Umsetzung des eigenen Begehrens?

Einen Bezugspunkt in der analytischen Betrachtung solcher Fragen, die Kürtens Ausstellung implizit sind, bildet die Zeitschrift „Twen“, die in der Bundesrepublik zwischen 1959 und 1971 erschienen ist und welche die Entwicklung von Erwachsenwerdenden der Vorgeneration mitgeprägt hat. Sarah Kürten, geboren 1983 in Köln, greift hier konkret auf den Bildjargon des Magazins zurück, indem sie ausgewählte Ansichten in ihren eigenen Bildern reproduziert und diesen – in einer dekonstruierenden Referenz – selbst verfasste Texte in Flächenanordnung, visueller Überlagerung oder als eigenständige beziehungsweise räumlich installierte Textkörper beistellt. Bildliche Visualisierungen und Sprachbilder ziehen sich als assoziative Aussagen durch den Ausstellungsraum – zwischen imaginiertem Erinnern und Wollen, im realen Verhältnis zur Umgebung, zum Körper, zum Selbst. So zeigt die installative Arbeit „LOOK AGAIN (you save much effort by leaving your meaning vague, not only for the reader, but for yourself)“ (2020) auch Kürtens eigene Hand, von der ausgehend sich ein Kabel durch das fotografische Bild-Text-Motiv windet, das flügelartig ausgreifend auf einer prothesenhaft wirkenden, Mid-Century-Möbel-artigen Konstruktion arretiert ist. Diese Skulptur bildet im Ausstellungsraum ein Scharnier, stellt sie aus ihrer assemblierten Struktur heraus in Bezug zum Umraum das Fragment als solches heraus: Sichtachsen, hier vom Objekt aus gesehen auf die an den umliegenden Wänden hängenden Bilder, die weibliche und männliche Zuschreibungen bildlich und textlich miteinander verweben, und die zugleich eine Revision zu sexualisierten kollektiven Bildern und Festbildungen formulieren. Die starken Hell-Dunkel-Kontraste ihrer Arbeiten, die zum Beispiel Pastelltöne mit schwarzen Flächen kombinieren, erinnern an das aufwertende Nach-Kolorit von Schwarz-Weiß-Prints in der frühen (Werbe-)Fotografie und der Illustrierten-Presse, während die metallisch glänzenden Rahmen eine aufblitzende Unnahbarkeit zu den groß- und kleinflächigen Panels, ihren fotografischen Arrangements und Textzeilen erzeugen.

Die kritische Betrachtung der konditionalen Melange, die Text und Bild seit Jahrzehnten in den öffentlichen und privaten Narrativen miteinander bilden, ist ein Aspekt, den Sarah Kürtens künstlerisches Werk anhaltend definiert. So filtriert die Künstlerin Kommunikationsstrukturen, indem sie größtenteils mit solchen fotografischen Ansichten arbeitet, die auf bereits publiziertem Material basieren. Wesentlich ist Kürtens Kontextualisierung, die sie durch das Schreiben ihrer Texte vollzieht. Text erhält hierbei Bedeutung in seinen unterschiedlichen Facetten: als rhythmische wie auch scharfkantige Lyrik und Prosa oder als Statement; durch die grafische Anordnung von Buchstaben, Worten und Sätzen; durch Text als Bildgefüge; durch das gesprochene Wort in akustischen Arbeiten; und jüngst durch das Magazin „In numbers“, dessen erste Ausgabe im Rahmen dieser Ausstellung erschienen ist und das als periodical weitergeführt werden wird. In diesem ersten Heft mit dem Titel „No hard feelings“ formuliert der Text einen Raum, innerhalb dessen sich bereits gelebte, wiederholende und differierende Vorstellungen von Lebensführung, Zielen und weiblicher Unabhängigkeit über die Protagonistinnen „Twen-Mother“ und „Twen- Mothers Daughter“ durch konkrete Abstraktion hindurch erzählen. Es ist ein inneres Vibrieren, das die Künstlerin hier aus eigener, sehr persönlicher Perspektive sprechen lässt – ähnlich wie dies mit ihrer Stimme und dem Sound ihrer akustischen Arbeit „TOSS ME MY LIGHTER, COULD YOU BABE?“ (2020) spürbar wird. Das innere Erleben, ja, der pulsierende Innenraum des Selbst, findet – als assoziativer Subtext – ein Echo zu den mitunter oberflächlichen Konventionen und gelebten/erlebten Verstößen, die Kürten in den Geschichten, Gefühlsbeschreibungen, der Selbst- und Fremdbestimmung zwischen den Geschlechtern und dem Ich und dem Anderen in ihren Bildern und Objekten verhandelt. Dabei bricht sie mit eingewachsenem Verhalten und macht Bürden, die buchstäblich über den Besucher*innen (und weiblichen Akteurinnen) stehen, kenntlich.

Hard-Edge erhält mit den Arbeiten von Sarah Kürten im übertragenen Sinn eine neue Bedeutung, nicht nur aus kunsthistorischer, medialer oder genderbezogener Perspektive. Sie kontextualisiert mit ihren neuen Arbeiten in besonderem Maße die Wiederholung von zwischenmenschlichen, transgenerationalen Mustern – wie auch ihren Aufbruch durch das Benennen von zweifelhafter Strukturbildung in einer starken und sensiblen Explizität. Es ist Sarah Kürtens vielschichtig symbolisches Hervorheben der Kante zwischen Überholtem und Notwendigem: nämlich der klare Entschluss, wie sie im Epilog von „In numbers 1“ bemerkt, einen Punkt hinter dem Gewesenen zu machen, um etwas zu verändern. Dieser Unterscheidung den ihr so notwendigen Raum zu geben, ist die Stärke, mit der Sarah Kürtens Ausstellung „under the illusion of structureless splendor“ in ebenso vielen Momenten überzeugt.

 


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