„Prima Land.“

„Prima Land.“


Christoph Platz über Japan 8-9-3. Achim Duchow – In search of Japan. Fotografien von 1979 – 1993 im Weltkunstzimmer Düsseldorf, bis 16. März 2014

SUCHE #1
„In ihrer Abwesenheit sind die Dinge offensichtlich“ steht auf dem Cover von Momus‘ Buch The Book of Japans und erinnert daran, dass Suchen bekanntermaßen nicht Finden bedeutet und Gefundenes nicht Gesuchtes sein muss. Momus Text bietet einen Fundus verschiedener Versionen und Visionen eines Japans der Zukunft. In diversen fiktionalen Erzählsträngen breitet eine Gruppe von Zeitreisenden aus der Zukunft ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus – gesalzen durch den Fakt, dass alle zu jeweils unterschiedlichen Jahrzehnten und -hunderten in einer möglichen, zukünftigen Version Japans zu Gast waren. Gewissermaßen ein Symposium zur Gestalt des Landes und seiner Gesellschaft nach jeweiligen Impulsbesuchen von Laien und Experten, und damit eine fiktionale Suche nach Japan.

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Einer berichtet aus dem Jahr 2326: „Everything was flat. Society was flat, the landscape was flat, and I was flat. It‘s not as if this world couldn‘t be in 3D. They‘d managed that, they‘d done that (…). Under a bridge I found a cache of old gadgets nobody wanted, (…) because they were too three-dimensional.“
Ein anderer berichtet, ebenfalls aus dem 24. Jahrhundert: „I know it’s tempting to think, from many references and false memories, that I visited Tokyo in the year 1985 or thereabouts. (…) The japanese people, centuries hence, still remember and cherish that moment of their history, and have made may efforts to recreate it with an ingenuity which is typically Japanese. (…) The Tokyo of the far future resembles the Tokyo of 1985 in every detail.“
Japan 1985 – sicherlich sind hier Japan-Historiker gefragt, um uns in 2014 deutlich zu machen, was so typisch war. Momus hat das Manuskript zu seinem Buch über ein (oder mehrere) Japan(s) der Zukunft im Übrigen angeblich nach dem Absturz eines Britischen Avroliners in einem Krater des Vulkans Fuji in Japan gefunden – das müsste etwa im frühen 21. Jahrhundert geschehen sein.

Achim Duchow, Japan-1979-81

SUCHE #2
Zwischen 1979 und 1982 war der Künstler Achim Duchow (1948-1993) auf den Spuren Japans. Er ist nicht – wie die Forschergruppe bei Momus – durch Zeit und Raum im Inneren von Kühen gereist, sondern mit Hilfe eines DAAD Stipendiums.
Duchow war Student und Sparringpartner von Sigmar Polke, der mit ihm in den 1970er Jahren zusammen arbeitete und ausstellte. Auch Katharina Sieverding, Klaus Mettig und Blinky Palermo sind diesem Kreis zuzuordnen – die persönlichen und künstlerischen Beziehungen wahrscheinlich ein komplexes Geflecht. Sicher ist aber, dass Duchow deutlich weniger rezipiert wird als Polke, obwohl die beiden eng miteinander arbeiteten.
So haben sie im Mai 1973 gemeinsam ihre erste institutionelle Ausstellung im Westfälischen Kunstverein in Münster gezeigt. Nicht nur dort sorgte die Schau für Aufsehen. Die Frankfurter Rundschau unterstellte dem Kunstverein und seinem progressiven Direktor Klaus Honnef darin „böse Absicht“ und sprach von einer „artifiziellen Extremposition [und] Kunsttravestie“.
Bis 1977 arbeiten Polke und Duchow immer wieder zusammen. Der Name Duchow klingt in der heutigen Rezeption hier und da mit, doch blieben bis heute große Teile seines Werks wenig erforscht. Seine Malerei findet hierin noch größere Erwähnung, seine Fotoarbeiten jedoch waren bisher fast gänzlich unbeachtet. Ein Großteil der Arbeiten Duchows in den 1970er Jahren bezog sich auf Deutsche Themen wie den RAF Terrorismus, Spionage oder auch die eigene Kunstszene. Der Japankomplex stellt eine deutliche Zäsur dar und beeinflusst seine Praxis ab den 1980er Jahren maßgeblich. Er suchte in Japan den Untergrund. Er suchte die Abtrünnigen und die Subkultur-Szenen, die Kriminellen und das Syndikat.

Achim Duchow

Achim Duchow, Auf der Suche nach Japan

Um 1984 fertigte Achim Duchow zusammen mit dem Soziologen Wolfgang Düchting ein Filmskript, das nie realisiert wurde: „Japan 8-9-3“ – eine kodierte Referenz zur japanischen Mafia, der Yakuza. Ein Zugang zu deren Personal in der Unterwelt war nur einer der vielen Recherchewege, die Duchow im Japan um 1980 verfolgte. Auch andere Untergrundgruppen haben ihn interessiert: etwa japanische Motorradgangs (Bosozuku) – mit Elvistolle und in Lederkutte tanzende Gangmitglieder, die zugehörigen Motorräder mit der (Armee-)Flagge der aufgehenden Sonne (Kyokujitsuki) lackiert. Zwielichte Bars, berauschtes Nachtleben (und damit die Musikszene des Punk, New Wave und Rock ‘n‘ Roll, die sich etwa zeitgleich zur Neuen Deutschen Welle formierte) waren im Blick des Künstlers. Gerade hier, im Musikbereich, konnte sich der Maler, aber auch Musiker Duchow einbringen und schließlich eng mit dem Underground-Label „Vanity Records“ in Osaka kollaborieren. Er nahm selbst unter dem Pseudonym „Arbeit“ Musik auf, gestaltete Platten-und Magazincover und co-organisierte ein Multimediafestival in Osaka. Alles, während viele seiner Künstlerkollegen in Europa bekannt wurden. Die steile Karriere der Neuen Wilden, mit denen er in Hamburg studiert hatte (wie Georg Herold und Martin Kippenberger) und gar einen Verlag gegründet (ZRK) beobachtete er vom „Exil“ aus.

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Duchow hatte die Serie „Auf der Suche nach Japan“ bereits 1978 als Doppel-Dia-Projektion angelegt und sich mit eben dieser schon beim DAAD beworben. Er hat das Material dann in Japan fast überbordend ausgebaut und kontinuierlich erweitert. 1981 zeigte Duchow eine Ausstellung in Tokyo in der Maki Galerie und präsentierte neben Malerei viele der Fotografien, die in Japan entstanden waren. Pinnte er hier jedoch die Abzüge direkt an die Wand, so erweiterte er diesen Komplex später immer wieder und kombinierte ihn mit Aufnahmen, die er in den 1970ern in Deutschland gemacht hatte.
Die Fotos sind Schnappschüsse, flüchtige und verschwommene Aufnahmen, teilweise auf den Körper projizierte und dann wieder abgelichtete Bilder. Der Künstler kategorisierte einst eine Serie von schwammigen, langzeitbelichteten Nachtaufnahmen als tachistische Fotografie. Der Körper und genuine Yakuza – Tätowierungen sind immer wiederkehrende Sujets. 1980 schrieb er seinem Galeristen aus dem Schnellzug:
„Ne Menge Leute besuchen mich aber auch um sich kreativ zu betätigen, wir machen Musik zusammen – nun mit Kopfhörern – Synthesizer, Rhytmusmaschinen, Gitarren, etc. und Gespräche, heiße Diskussionen über japanische und andere Politik. (…) Sonst habe ich hier eine Menge guter Köpfe getroffen und der Austausch von Gedanken und Meinungen ist okay, d.h. ich muß englisch oder japanisch sprechen – Übung macht den Meister – sagt der Karatelehrer und trifft wohlgekonnt und wohlwollend dem Schüler in die Wadenmuskeln so daß er ne Woche rumhumpelt. Schon mal was von nem Jungen gehört, der mit ner Handkante Bierflaschen köpft. Das gibt’s alles hier. Einige Mitglieder der japanese Red Army schreiben versöhnliche Briefe aus Nord Korea an ihre Verwandten, der japanische Kommunist Ito ist nach 30 Jahren selbstgewähltem Exil nach Japan zurückgekehrt, halb blind und total taub, die ,Workers Cooperative Society for Housing‘ baut die ersten Arbeiter-Apartements mit Solar Energie System – auch das ist Japan.“
Die Auseinandersetzung mit Japan beeinflusste Duchows Arbeit entscheidend und so kehrte er – gefolgt von weiteren Reisen – zunächst 1985 zurück, etwa um eine Fotoreihe beim Shoot des Musikvideos zu „1/2 Mensch in Tokyo“ der Einstürzenden Neubauten zu machen.

Achim Duchow, Neubauten 1985

SUCHE #3
Seit Längerem sind die Düsseldorfer Künstlerbrüder Max und Philipp Schulze auf den Spuren ihres verstorbenen Vaters. Memphis Schulze (1944-2008) gehörte in den 1970er Jahren wie auch etwa Achim Duchow, Christoph Kohlhöfer, Katharina Sieverding zum engen Kreis um Sigmar Polke.
Im Zuge von Material-Recherchen für ein im Sommer erscheinendes Buch über Memphis Schulze hatte Max Schulze vor einiger Zeit Zugang zum Nachlass von Duchow erhalten und fand hier das gesamte Fotografie-Werk von Achim Duchow, das er zu studieren begann. So hat er hunderte Dias gesichtet, Reiserouten nachvollzogen und die Biografie sowie Ausstellungshistorie des Künstlers detaillierter ausgearbeitet. Daraus entstand in Zusammenarbeit mit der Hans Peter Zimmer Stiftung und Janine Blöß eine wunderbare Ausstellung – ausgerichtet in alten industriellen Hallen eines Atelierkomplexes, den Duchow zusammen mit Künstlerkollegen Ende der 1980er Jahre bezogen hatte.

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Max Schulze hat die Ausstellung als Künstler kuratiert und den Mut, an vielen Stellen im Sinne Duchows zu handeln – eine Qualität, die Kunsthistorikern und auch vielen Kuratoren abgeht und, wie hier in Düsseldorf, nur dann aufgeht, wenn die Auseinandersetzung mit der Arbeit intensiv genug war. „Japan 8-9-3. Achim Duchow – In search of Japan. Fotografien von 1979 – 1993“ soll ein Auftakt und zugleich Aufruf sein, sich mit dem Schaffen von Achim Duchow näher zu befassen.
Sind die Dinge nicht offenkundig, müssen sie auf der Suche nach etwas anderem gefunden werden.

Klaus Honnef spricht im Rahmen der Ausstellung zum Thema „Blicke auf Japan gestern/heute“ mit Katja Stuke, Oliver Sieber und Thomas Neumann am 14.3. um 19 Uhr.

Quellen:
Brief von Achim Duchow an Max Hetzler, publiziert im Katalog Michael Bauch, Astrid Heibach, Klaus Mettig, Albert Oehlen, Markus Oehlen, Angelika Öhms, Sigmar Polke, Stephan Runge, Katharina Sieverding, Memphis Schulze, Galerie Max Hetzler, Stuttgart, 1980, wiederabgedruckt in Dokumentesammlung zur Ausstellung im Weltkunstzimmer 2014.
Momus, Solution 214-218. The Book of Japans, Sternberg, Berlin 2011
Christoph Platz, Kunstverein im Umbruch. Der Westfälische Kunstverein von der Nachkriegszeit bis zu den Skulptur-Projekten 1977, VVV Revolver, Berlin 2011


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