John Smith „Associations“
Noemi Smolik über John Smith bei Figge von Rosen Galerie, Köln, 21.6.-10.8.2013
Was sehe ich? Und wie sehr ist das, was ich sehe, von meinen Erwartungen, Ängsten, Assoziationen, Erfahrungen und Träumen geprägt? Eine alte Frage, der schon viele versucht haben nachzukommen. Mit Aufkommen der Photographie, dann mit Film, meinte man, sie klären zu können. Vor allem der Dokumentarfilm schien ein unverfälschtes Dokument zu sein.
In der Auseinandersetzung um den dokumentarischen Film und die Frage, in wie weit eine filmische Aufnahme ein Dokument sein kann, liegt der Ursprung der filmischen Arbeiten des 1952 geborenen, in London lebenden Künstlers John Smith. Beeinflusst durch die konzeptuelle Kunst der 60 Jahre und die filmischen strukturalistischen Experimente begann er Anfang der 70 Jahre, Filme zu drehen. Seitdem sind an die 50 Filme, Projektionen und Installationen entstanden, die immer wieder einer Frage nachgehen: wann wird ein Dokument zur Fiktion und eine Fiktion zum Dokument? Wunderbar gelang ihm das Changieren um diese in dem 1976 entstandenen und inzwischen fast schon zum Kult gewordenen Film „The Girl Chewing Gum“. Er zeigt Fußgänger, die in ihren Bewegungen und Handlungen scheinbar einer Stimme aus dem Off folgen. Doch spätestens, wenn eine Turmuhr der Anweisung, sich der Kamera zu nähern, folgt, wird man stutzig; wer folgt hier wem, was ist gestellt, was ist noch dokumentarisch, was fiktiv?
Die Galerie Figge von Rosen zeigt derzeit drei Filme dieses erst jetzt international bekannter werdenden Künstlers. In „The Black Tower“ aus den Jahren 1985 bis 1987 sieht man eine ganze Weile nur eine schwarze Fläche bis dann eine männliche Stimme von einem schwarzen Wasserturm erzählt, der den Erzähler bei seinen Streifzügen durch London zu verfolgen scheint. Dann tauchen Aufnahmen von einem Turm auf, sachlich, als wären sie von dem Photographenpaar Bernd und Hilla Becher aufgenommen. Inzwischen erzählt die Stimme weiter; scheinbar wird der Turm nur von dem Erzähler wahrgenommen. Das treibt diesen zum Wahnsinn. Schließlich werden die Bilder, die jetzt in immer kürzeren Abständen auftauchen und immer wieder von der schwarzen Fläche unterbrochen werden, verworrener. Wir erfahren, dass der Erzähler krank wird und stirbt und als wir schon glauben, dies sei das Ende der Story, erzählt eine weibliche Stimme weiter, wie sie dessen Grab besucht und schließlich selber von dem schwarzen Turm verfolgt wird.
Auch in dem Film „Associations“ aus dem Jahr 1975 hört man eine männliche Stimme, die einen viel zu komplizierten Text aus dem Buch „Word Associations and Linguistic Theory“ von Herbert H. Clark vorliest. Es geht um die Assoziation und das Verhältnis des Wortes zum Bild. Regeln werden aufgestellt, Theorien entwickelt und das Ganze wird mit Bildern untermalt; ein Esel, eine Nähmaschine, rote Fingernägel, lachende Frau, eine Tasse Kaffee… urkomische Wort-Bild-Kombinationen entstehen, deren Abfolge immer schneller wird, so dass es schließlich keinen Raum mehr für eigene Verknüpfungen gibt. Zugleich werden wir aber vom Sprecher über Assoziationen belehrt, die durch die Dichte der Informationen verhindert wird: eine absurde Situation, die typisch für die Filme von Smith ist.
So auch in „Lost Sound“ von 1998-2001. Immer wieder werden Aufnahmen von Resten von Tonbändern gezeigt, die Smith uns, im Londoner Stadtteil Hackney aufgenommen, zeigt: auf dem Boden einer Straße liegend, von Zweigen eines Baumes hängend, einen Rinnstein umwickelnd. Zu den Originalgeräuschen der fahrenden Autos oder spielenden Kinder hören wir Musik. Stammt sie von den gefundenen Tonbänden? Und wie kann es sein, dass diese aus kaputten Bändern entstandenen Gebilde, die Zweige oder Geländer umwickeln, zufällig entstanden sind? Oder sind sie arrangiert? Es ist schwer zu sagen.
Smith Filme stoßen seit den letzten Jahren auf größeres Interesse, waren 2007 während der 52. Biennale in Venedig zu sehen und wurden 2010 während der 6. Berlin Biennale gezeigt. Lange waren sie ihrer Zeit voraus, wollten nicht so recht in gängige Denkansätze passen: Als man noch auf das Dokumentarische des Filmes eingeschworen war, haben sie schon den Film als Dokument ad absurdum geführt. Als man das Erzählerische aus dem strukturalistischen Film verbannte, haben sie erzählt. Erst jetzt, wo die Fiktion wieder den künstlerischen Film beherrscht, ist die Zeit für die Filme von John Smith gekommen. Endlich.