Schwarz­arbeit – Die Magie des Dunklen


Shut your eyes and see – Die Verbotsfarbe Schwarz ist Mittelpunkt einer Ausstellung im Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch-Gladbach, bis 18.12.16

Die Metaphorik der Farbe Schwarz ist komplex. Wahrscheinlich noch komplexer als die aller anderen Farben, vielleicht abgesehen von Weiß. Interessanterweise sind beide kein Ausgangsmaterial, sondern entweder „Alles“ oder „Nichts“. Möglicherweise sollte man ihnen deshalb tatsächlich den Status als Farbe komplett absprechen, kennen sie doch nur das Extreme.

Die menschliche Wahrnehmung macht die Angelegenheit noch komplizierter: Allgemein sind Farben nicht mehr als eine subjektive Geschichtsempfindung. Schwarz ist dabei das Fehlen jeden visuellen Reizes, keine Lichtwellen gelangen mehr zur Netzhaut. Der perfekte Schwarze Körper hat damit die Möglichkeit, unsichtbar zu sein – von daher ist es nur berechtigt, zu fragen, wieviel Schwarzes auf Schwarz sich in unserer Umgebung wohl versteckt? Dazu kommt die Farbsymbolik, ein über Jahrhunderte entwickeltes System, das gefühlt für jede der ca. 20 Millionen Farbschattierungen, die vom menschlichen Auge wahrnehmbar sind, gleich mehrere Konnotationen bereithält.

Von daher ist eine Ausstellung, wie sie in Bergisch-Gladbach zu sehen ist, umso interessanter. Nicht um den üblichen Konnotationen, beziehungsweise Vorurteilen hinterherzujagen; von jenen gibt es ausreichend und jedem sind sie unbewusst präsent. Vielmehr schafft die wunderbar übersichtlich kuratierte Ausstellung eine zeitweilige Abkehr von dem Bedeutungsdiktat Farbe. Ohne sich dem „Eye-Catcher“ beugen zu müssen, steht jedes einzelne Werk umso mehr im Fokus.

Der Titel der Gruppenausstellung „Schwarzarbeit – Die Magie des Dunklen“ enthält viel von dem Wortwitz, der mit Farben und ihren Bedeutungen abgerufen werden kann. Lässt die Besucherin oder der Besucher dies zunächst beiseite, kommt es zu einem interessanten Effekt: mehr Konzentration für das Werk in seinem Kontext. Die Arbeiten der acht Künstlerinnen und Künstler haben, abgesehen davon, dass das menschliche Rezeption ihnen Schwarz zuschreibt, nicht viel miteinander gemein. Bei mehreren Werken ist ebenfalls Weiß mit enthalten, sie leben vom Kontrast des „Alles“ oder „Nichts“ in der Netzhaut ihres Gegenübers. Die künstlerischen Medien sind divers vertreten: Installationen, Fotografien und Videoarbeiten bis hin zu Zeichnungen, Dia-Projektionen und Schriftarbeiten. Das Kriterium Schwarz eint sie ästhetisch nur oberflächlich, widersteht man dem Nobilitierenden dieser Farbe, so zeigen sich Werke mit wenig Zusammenhang, was umso interessanter für diese thematische Ausstellung ist.

Die Künstlerin Nisrek Varhonja schafft mit konzeptueller, fast schmerzhaft repetitiver Geste einen Teppich von Schrift. Auf insgesamt achtzehn Din A1 Blättern, reiht sie dicht an dicht die Worte „aus_aus_aus_aus“ aneinander. Dieses bedeutungsschwangere „aus an aus“ füllt in engen Reihen die gesamten Blätter ihrer Arbeit „Ein Aus im Anschluss“ aus dem Jahr 2015. Von weitem sehen die Wortsalben aus wie grafische Pattern, denn hier kommt der konzeptuelle Kniff: Varhonja taucht ihre Schreibfeder in ein handelsübliches Tintenglas und kalligraphiert das Wörtchen „aus“ hintereinander weg, bis erneut ein Eintauchen notwendig ist. So ist jede Reihe „aus“ in sich bereits eine Metapher des Vergänglichen. Dazu kommt der allumfassende Vergänglichkeitsaspekt der gesamten Arbeit – zu sehen an dem letzten Blatt. Hier ist die Schrift ausgeblichen, nur noch mit Mühe erkennbar, bis sie in der letzten Reihe vollkommen im Weiß des Untergrunds aufgeht. Varhonja wollte so lange weiterschreiben, bis die Tinte aufgebraucht ist. Die Künstlerin lässt sich das Ende des Prozesses von ihrem Material diktieren: „aus_aus_aus“ und das so lange, bis es buchstäblich nicht mehr weitergeht. Die fortlaufende Repetition steht wohl zwischen einem meditativen Prozess sowie absoluter Verzweiflung über den eigenen Plan, der nicht selten zum sogenannten „Luther-Effekt“ geführt haben könnte: Die Frustration des ewigen Schreibens lässt den Teufel an der Wand erscheinen und das Fass fliegt durch den Raum.

In der Ausstellung sind hauptsächlich Positionen außerhalb der Malerei versammelt und dies ist eine bewusste Entscheidung, wie Dr. Petra Oelschlägel, Direktorin des Kunstmuseums Villa Zanders im Katalog erläutert. Der Fokus auf unterschiedliche Medien setzt den vielen „schwarzen Ikonen“ der Kunst im 20. Jahrhundert etwas entgegen, an die man unweigerlich denken muss, beispielsweise die „Black Paintings“ von Robert Rauschenberg oder die „Black Stripe Paintings“ von Frank Stella. Das jeweils legendäre Spätwerk von Ad Reinhardt sowie Mark Rothko, oder der überwiegende Teil von Pierre Soulages’ Œuvre sind wohl ebenfalls dazu zu rechnen. Und nicht zu vergessen, das schwarze Quadrat auf weißem Grund von Kasimir Malewitch, dessen suprematistische Inkunabel so sehr zum Paradigma wurde, dass er sogar in späteren Jahren mit einer Miniatur dessen seine Bilder signierte.

In der Ausstellung „Schwarzarbeit“ gibt es auch einige Positionen, die sich den Facetten des Dunklen als Gestaltungsmittel mit kunsthistorischer Perspektive nähern. So erinnern die Fotoarbeiten von Lucas Fastabend an die Fotogramme von Laszlo Moholy-Nagy beziehungsweise die „Rayographien“ von Man Ray aus den frühen 1920er Jahren. Die ehemals kameralose Fotografie wird hier zur digitalen Technik und arbeitet mit dem Kontrast von Schwarz und Weiß. Die Arbeiten von Frank Gerritz stellen Bezüge zu medienreflexiven Abstraktionen der Nachkriegszeit her, jedoch benutzt er die Maße seines eigenen Köpers als Größeneinheit für seine rechtwinkligen Leinwände und einen meditativen Arbeitsprozess, indem er Streifen für Streifen aufträgt. Barbara Dörfflers analoge Fotoarbeiten sind abstrakt-geometrische Stillleben. In der Dunkelkammer werden sie auf Barytpapier entwickelt und anschließend durch malerische Prozesse so bearbeitet, dass sie alle tief Schwarz erscheinen – nur einzelne Schemen sind zu erkennen. In den Werken ist das Paradox der Farbe Schwarz ins Extreme gesteigert: Sie brechen mit der vermeidlichen Indexikalität der Fotografie, die ein Abbild von dem herstellt, was sich einmal vor ihrer Linse befunden hat.

Die Vieldeutigkeit des Begriffs „Schwarz“ kann auch in gänzlich andere Diskussionsbereiche führen. Als Verbotsfarbe gibt es einem Wort, mit dem es verbunden wird, eine negative, sogar strafbare, Bedeutung. Beredtes Beispiel ist dafür der Ausstellungstitel „Schwarzarbeit“. Dies funktioniert ebenso mit Wörtern wie „Fahren“, „Markt“, „Geld“ und so weiter.

Wieder etwas vollkommen anderes ist, wenn Achille Mbembe in seiner Abhandlung „Kritik der schwarzen Vernunft“ von 2014 „das angebliche Wesen des Schwarzen“ dekonstruiert. Der Politikwissenschaftler und Theoretiker des Postkolonialismus behandelt in seinen Schriften die Bedingungen und historischen Entwicklungen eines diskriminierenden Rassendiskurses. Er zeigt dessen Genese auf und weist auf das Wiederaufkommen in unserem heutigen biopolitischen Zeitalter hin. Viele zeitgenössische Künstler problematisieren diese Bedingungen, vor allem, wenn sie mit subalternen Fragestellungen beschäftigt sind. Von daher könnte man der Ausstellung vorwerfen, sie nehme das Thema „Schwarz“, lässt dabei aber jegliche postkoloniale Fragestellung oder politische Debatte unbeachtet – wo würde jedoch das Ausstellungswesen hingelangen, wenn sich bei jedem mehrdeutigen Begriff der Diskursreflex durchsetzt. Eine solche Kritik würde in diesem Fall an Thema und Anspruch vorbeiführen.

Eine der besonderen Arbeiten in der Ausstellung ist „Materia“ von Alice Musiol. Das Werk ist vor Ort entstanden und „site specific“. Bereits mehrfach hat Musiol aus schwarzem Samt abstrakte Volumen konstruiert, die in den Umraum eingreifen und ihn dadurch gestalten. Die schwarze, gleichmäßig gewellte Oberfläche erinnert an alte schwere Vorhänge; der Blick des Betrachters wird gleichsam verschluckt, die drapierten Wellen ermöglichen ein sanftes Spiel von Licht, sodass bei genauerer Untersuchung Konturen sichtbar werden. Es ist ein schwarzer Quader, er füllt einen der zentralen Durchgänge im ersten Obergeschoss aus, in dem bis auf eine Ausnahme alle Werke der Ausstellung versammelt sind. Die Räume sind dadurch neu aufgeteilt – ein Parcours ist vorgegeben. Der Quader lenkt den Blick des Betrachters in den Umraum, das samtene „Nichts“ schafft den Raum um sich herum und macht erst deutlich, wie absurd kitschig die beiden Gipsabgüsse antiker Skulpturen rechts und links von ihm in den Wandnischen erscheinen. An ihnen würde man sonst weitaus unbehelligter vorbeispazieren. Ist der Rundgang fast erledigt, so ist die Rückseite des Werks zu sehen, hier erkennt der Besucher, dass der Quader sich bereits dreiviertel durch die Tür geschoben hat, die er versperrt. Es fällt schwer, nicht einmal die Haptik dieses geheimnisvollen Objekts zu testen, oder nachzuschauen, was sich in ihm verbirgt. Das perfekte Schwarz, dieses „Nichts“, kann „Alles“ beinhalten. Genau dies macht es so anziehend – dabei stellt es sich nur elegant in den Weg.

An den unterschiedlichen Beispielen kann deutlich werden, dass Schwarz nicht nur ein Gestaltungsmittel ist, welches von Künstlerinnen oder Künstlern eingesetzt wird, sondern im günstigsten Fall eine Rezeptionshilfe. Frei nach James Joyces Aussage in Ulysses „shut your eyes and see“ erhöht das vorübergehende „Nicht-Sehen-Können“ die Konzentration. Man könnte versuchen, dafür eine kognitionswissenschaftliche Erklärung zu bemühen: Da Schwarz nicht in den Hirnregionen verarbeitet wird, die bei Rot, Blau oder Gelb aktiv sind, das heißt, keine Farbe zum Erscheinungsbild hinzugemischt werden muss, bleibt mehr Aktivität für Form, Inhalt, Konzept, Performanz und Kontext des Werks übrig. Nur müssen solche vereinfachenden Theorien gar nicht hinzugezogen werden, um sich den Werken angemessen nähern zu können: einfach in die Villa Zanders reisen und im „Nichts“ versinken.


tags: , , ,