Besprechung
David Reed


Jonas Schenk über „The Mirror and the Pool“ im Museum Haus Lange, Krefeld, bis 23. August 2015

Fragt man seine Kommilitonen, ob sie denn David Reed kennen würden, fällt betretenes Schweigen auf. Fragt man, ob sie denn die Reed Ausstellung im Kunstmuseum Bonn (2013) gesehen hätten, wird sich entschuldigt, dass man jetzt aber ganz schnell zur Bahn müsse. Natürlich kann man nie alles ‚auf dem Schirm haben’, doch es lohnt, sich mit Reed vertraut zu machen. Die parallel laufenden Ausstellungen in Berlin, mit Mary Heilmann, und im Haus Lange dürften seiner Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung hoffentlich auch unter den Jüngeren sanften Nachdruck verleihen (man möchte lieber nicht wissen, wie viele Studierende überhaupt schon in Krefeld gewesen sind).

Was könnten abstrakter Expressionismus, Pop-Art, Minimal und Video-Kunst möglicherweise miteinander zu tun haben? Besucht man Museumssammlungen oder hört sich eine Überblickvorlesung der Kunstgeschichte an, wird einem immer noch häufig die Vorstellung vermittelt, dass alles brav nacheinander in der Geschichte abgehandelt wurde. Zuerst dieses, dann jenes. Wie bei einem Staffellauf will der eine -Ismus mit dem Vorherigen abschließen, ihn überwinden oder mit ihm abrechnen. Dass die Grenzen zwischen den ‚Stilen’ und Gattungen doch mehr als fließend sind, sich überlagern, miteinander in Verbindung treten, sich mit- und gegenseitig neu positionieren zeigt sich beispielhaft an einem Künstler wie David Reed, der trotz einer mittlerweile markanten Bildsprache, mit seinem Fuß zwischen mehr als einer Tür der Diskurse um und mit der Kunst steht.

Das bekannte Formenrepertoir der voluminösen Schleifen und Pinselstriche, ist auch in Krefeld wieder vorhanden, die jedoch – und das eher ungewöhnlich – meist großflächiger Monochromie gegenübergestellt werden. Nachdem hier mit einem Palettmesser die Grundstruktur aufgetragen wird, arbeitet Reed die Plastizität der Formen erst durch minuziöses Abschleifen der Oberfläche heraus. Die Farbe babyblau ist Tonangebend und angesichts der Jahreszeit kommt man bei der Ausstellung nicht umhin, an Mörikes leichte und luftige Zeilen über den Frühling erinnert zu werden. Denn tatsächlich legen sich David Reeds Arbeiten wie ein Band über die meisten Wände im Erdgeschoss des Haus Lange. Und hier fällt die eigentliche Besonderheit auf: Für Krefeld konzipierte David Reed erstmals eine ortsspezifische Ausstellungen, die sich radikal an den Ausstellungsort anpasst. Die Formate unterscheiden sich nur in der Länge, sitzen nahezu exakt in einzelnen Wandnischen, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass es sich um eine zusammenhängende Leinwand handelt (diese Art der Hängung wurde bereits in Bonn gezeigt, jedoch mit unterschiedlichen Arbeiten). Architektur und Leinwand treten somit nicht nur in den Dialog, sondern verschmelzen förmlich miteinander.

Nicht ganz so erstmalig wie im Pressetext erwähnt, sind die jetzigen Arbeiten unter der Verwendungen von Schablonen entstanden. Der akribisch und bis ins kleinste Detail inszenierte Farbauftrag unter dem Deckmantel eines explosiv-spontanen Gestus wird mittels der Schablonen noch stärker thematisiert. Der geniale, unnachahmliche Pinselstrich wird ab absurdum geführt, indem er, dank der Schablonen, beliebig oft wiederholt werden kann. Wie einmalig kann gestische Malerei sein? Nach seiner anfänglichen abstrakten Phase unter dem freien Himmel von Arizona, beginnt Reed der Last des heroischen Gestus, der notorischen Penisverlängerung vieler (meist männlichen) Maler dieser Zeit, den künstlerischen Kampf augenzwinkernd anzusagen. Bis heute fordert er diesen immer wieder heraus. Was so flott und spontan daher kommt, ist Ergebnis zahlreicher Proben: Für einige Arbeiten braucht er Jahre, um sie zu beenden.

Die indifferente, lineare Lesrichtung der Arbeit, die sich als abgerollte Filmrolle interpretieren lassen kann, zeigt das cineastische Interesse des Künstlers und zeigt, wie er verschiedene Medien in seine Malerei integriert. Nicht umsonst nennt er ein spezielles Format seiner Arbeiten die „TV-sizes“, die das Format des gängigen Flachbildschirms übernehmen, der mittlerweile als dekoratives Element in vielen Schlaf- und Wohnzimmern anzutreffen ist. Dies trifft sich mit einem altbekannten Zitat von Reed, er wolle ein „bed-room painter“ sein.
Was ist die Funktion von Kunst? Reed kennt mindestens eine Antwort darauf: die private ästhetische Bereicherung. Schon deshalb ist es fruchtbar, die Arbeit auch als ein Fries zu betrachten. Die architektonische Funktion des Frieses – die Aufteilung von Raum- und Wandzonen – ist in erster Linie eine dekorative Aufgabe. Mittig auf der Wand hängend, unterteilen die einzelnen Paneele die Räume in ein gleichwertiges Oben und Unten. Kunst besitzen heißt auch, mit der Kunst zu leben: Ort und Werk gehen ein symbiotisches Verhältnis ein, als würde das eine zum anderen gehören. Können Reeds barocke Ornamente ein Verbrechen sein?

In der oberen Etage betritt man das „Atelier“ des Künstlers. Hier sind seine Vorstudien (Studies) an die Wand gepinnt, die er für jedes Bild im Vorfeld anfertigt. So arbeitet er sich von Study zu Study, um irgendwann das Ergebnis auf die Leinwand zu übertragen. Überlegungen zu Farb- und Formkompositionen, Größenangaben, Gespräche mit Künstlerkollegen, aber auch seine Inspirationsquellen (Wasser-Thematik, ein Pool Gemälde von Hockney, der „Yves Klein Raum“ des Haus Lange) sind sorgfältig mit Datum notiert. Warum die Ausstellung so aussieht wie sie aussieht, wird beim Lesen der Studies (man ist ihm sehr dankbar für eine leserliche Schrift) erkennbar. Die Sprache ist sehr unterschiedlich: Von rein technischen Aspekten, welche Farben kombiniert werden können, blitzen immer wieder einzelne Notizen hervor, die das Kunstverständnis von Reed, seinen Blick auf die Kunst veranschaulichen. Die Studies zeigen, was funktioniert und was nicht. Sie verhalten sich wie eine Black Box, die dem Betrachter in die Gedankenwelt des Künstlers Einlass gewähren, während er für gewöhnlich nur das fertige Bild zu Gesicht bekommt. Der abstrakte Künstler wird zum offenen Buch. Reed hinterfragt eindeutig das Bild des Künstlers als Genie, der vom Schaffensdrang geleitet wird und entmystifiziert somit grundlegend den Entstehungsprozess. Mit schielendem Blick auf eine jüngere Malergeneration, haben die Arbeiten des 69 Jährigen nichts von ihrer Zeitgenossenschaft verloren. „Das Werk ist kein Seiendes von der Art eines Dings, sondern ein gegenüber seinem Umwelt in besonderer Weise exponiertes Phänomen“ schreibt Hans Zitko treffend in der Kunstwelt (2013, S. 170).

Zum Abschluss sollte man noch in den Garten des Haus Lange gehen. Besonders interessant ist nämlich eine Notiz, bei der Reed festhält, dass er die anfänglich geplante Relation zum Yves Klein Raum zugunsten der Vorstellung des gesamten Hauses als Pool favorisiert und er somit einen Fokus auf den Blick von Außen setzt. Letztlich stellt sich hiermit die Frage: Was ist die eigentliche Ausstellung und wo findet sie statt? Drinnen oder draußen?

Jonas Schenk lebt in Köln und studiert Kunstgeschichte an der Uni Bonn. Schwerpunkte des Studiums bilden Fragen bezüglich des Wesens des Museums sowie des Verhältnises von Kunst und Kunstmarkt.


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