Besprechung
Feldzug in die dritte Dimension


Schnitte im Raum – Skulpturale Collagen, Museum Morsbroich, Leverkusen, 19. Juni – 21. August 2011

Unbestreitbar, die Collage ist wieder beliebt bei vielen jungen Künstlern und Künstlerinnen. Eine Feststellung, die schnell gemacht und Ausgangspunkt der Ausstellung „Schnitte im Raum – Skulpturale Collagen“ im Schloss Morsbroich ist. Komplizierter ist da die Frage, was es mit dieser Hinwendung zur Collage auf sich hat.
Doch zunächst, was ist eine Collage? Die Collage tauchte in den 10er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf. Etymologisch stammt der Begriff Collage aus dem Griechischen – „kólla“ bedeutet Leim. Mit Leim zusammengeklebte Bilder, die aus Zeitungs- und Zeitschriftenfragmenten und gefundenen oder gebrauchten Gegenständen bestanden, wurden von den französischen Kubisten „Collagen“ genannt. Fast gleichzeitig begannen in Moskau Künstler wie Vladimir Tatlin und Alexander Archipenko Reliefe oder ganze Objekte aus gefundenen Holzstücken, Glas, Draht und Faden zu bauen. Sie waren es auch, die die Collage in den Raum erweiterten und 1915 in der heute legendären „Letzten futuristischen Ausstellung“ in St. Petersburg die „Collage“ zum Objekt der Kunst erhoben. Gerne nutzen sie fortan auch die Dadaisten und Surrealisten.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Collage in Paris und Moskau in einer Zeit entstand, in der an diesen beiden Orten das seit der Renaissance tradierte Bild/Abbild Verhältnis ins Wanken geriet. Ist das von Marcel Duchamp aufgestellte Pissoir ein Abbild des Pissoirs oder das Pissoir selbst? – wurde bald zu einer Frage, deren Paradoxie die Kunst eigentlich bis heute im Atem hält. Und es ist genau dieses paradoxe Verhältnis des aufgeklebten Gegenstandes, gleichzeitig Abbild und Bild, das die Collage so spannend macht.

 

Davon zeugt auch die Ausstellung in Morsbroich. Hier birgt die Collage die Möglichkeit, sich in den Raum auszudehnen. An dieser Ausdehnung arbeitet die amerikanische Künstlerin Jessica Stockholder schon seit Jahren. Ihre aus farbigen Plastikeimern, Stoffresten, Kissen oder bemalten Holzresten zusammengestellten Objekte sind eigentlich eine dreidimensionale, oft sehr humorvolle Malerei, die die Tradition der amerikanischen Farbfeldmalerei fortsetzt. In Morsbroich ist Stockholder mit vier wunderbaren Arbeiten vertreten. Und um Malerei, die statt eines Pinsels Abfall, der während nächtlicher Touren durch Berlin gesammelt wurde, zur Herstellung einsetzt, handelt es sich auch bei den riesigen Vitrinen von Max Frisinger. Arbeiten wie „ Blackout( Anna Calvi)“ von 2011 bieten optische, in die dritte Dimension erweiterte Flächen, die in ihrer farbigen und formalen Intensität einem Bild von Jackson Pollock in nichts nachstehen.

Skulptural hingegen geht das in New York lebende Künstlerpaar Rachel Harrison und Scott Lyall vor. Sie haben in Morsbroich Adirondack-Gartenstühle aus Holz aufgestellt, denen verschiedene Gegenstände beigefügt sind: So etwa liegt ein Pelz auf einem schwarzen Stuhl, der auf einem weißen Podest steht. Durch den Titel „Dirk Bogart“ wird klar, dass hier eine Geschichte erzählt werden soll, was wiederum einen Bruch mit den Regeln der minimalistischen Skulptur darstellt, die die zeitgenössische Kunst über Jahre dominierte: Sollte sich die Form doch jeder assoziativen Anspielung verweigern. Mit dieser Regel bricht auch der ebenfalls aus New York kommende Tom Burr. Er breitet auf einem an Carl Andre erinnernden minimalistischen Podest Fotos, Noten und Schallplattenumschläge aus, die gleich einen Schwarm von Assoziationen hervorrufen.

 

Gewagt geht der Hamburger Thorsten Brinkmann mit dem gefundenen Material um. Trash, Kitsch, Abfall, schäbige Teppiche – alles scheint seine hungrige Phantasie zu befeuern. Wobei er in seine Gebilde, die nicht selten ganze Räume in Anspruch nehmen, sogar sich selbst mit einbezieht. In verschiedenen Fotografien taucht er als eine verkleidete, mit Flohmark-Zeug behängte und so zur Skulptur gewordene Figur auf.

Warum also diese Hinwendung heutiger Künstler und Künstlerinnen zur Collage? Als die Collage Anfang des 20. Jahrhunderts auftauchte, deutete sie auf eine Krise des Bild/Abbild Verhältnisses. Das könnte auch heute ein Grund sein. Denn angesichts der sich wuchernd vermehrenden digitalen Bilder scheint die Frage nach deren Bild/Abbild Funktion neu zur Disposition zu stehen. Und da sind die Cowboystiefel, die Unterhosen oder die Regenschirmstöcke, die sich im Brinckmanns „Paradiesvogel“ aus dem Jahre 2011 zu einer Figur gruppieren, ein schlagendes Argument gegen jeden Zweifel an der Funktionsfähigkeit von Bildern.
Auch ist die Collage ein Bindeglied zwischen Kunstwerk und Alltag. Die Dadaisten bevorzugten die Collage, weil sie den Alltag in die Kunst integrieren wollten. Darüber hinaus hält die Collage durch ihren Einsatz von alltäglichen oft sinn- und funktionslosen Gegenständen parodistisches Potenzial bereit.

 

Könnte es vielleicht sein, dass eine Generation von Künstlern und Künstlerinnen mit ihren Objekten wieder einmal versucht, gegen den Aufstieg der zeitgenössischen Kunst zum musealen, gesellschaftlichen und finanziellen Prestigeobjekt ins Feld zu ziehen? Keine Sorge, der alles verschlingende Markt wird ihr auch dies zu danken wissen.

Noemi Smolik


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