30 Jahre Delmes & Zander

30 Jahre Delmes & Zander


Inside outside – 30 Jahre Arbeit an den Grenzen des Kunstbegriffs – Nelly Gawellek über die Jubiläumsausstellung bei Delmes & Zander, Köln, bis 1.2.19

1988 eröffnete Susanne Zander, inspiriert von den unkonventionellen und grenzensprengenden Arbeiten der „Gugginger Künstler“ ihre eigene Galerie in Köln. Ihr Interesse an einer Kunst, die außerhalb des etablierten Betriebes entsteht, fand vor allem bei anderen KünstlerInnen und KollegInnen Unterstützung, der „rheinische Sammler“ jedoch hatte kein Interesse am sperrigen, da nicht so leicht kategorisierbaren und vorurteilsbehafteten Programm, das in einer Nische unter dem Begriff „Art Brut“ abgehandelt wurde. Dass die Galerie dreißig Jahre später immer noch und international mit großem Erfolg operiert, hätte man damals wahrscheinlich kaum erwartet – auch nicht, dass Kunst von „Outsidern“ so unbefangen vermittelt wird, wie es das Team um Susanne Zander und Nicole Delmes, seit 2005 Mitinhaberin der Galerie, schafft. In der Zwischenzeit scheint es kaum noch Berührungsängste zu geben, das Interesse am Galerieprogramm, das Susanne Zander in Anlehnung an eine Rezension von Roberta Smith über Dietrich Orth als „Conceptual Outsider Art“ beschreibt, ist jedenfalls groß. Doch warum funktioniert das gerade heute so gut?

Installationsansicht Delmes & Zander, Köln, Foto: Johannes Post

Der Erfolg der Außenseiter mag dadurch begründet sein, dass das Genre in der Zwischenzeit im zeitgenössischen Diskurs und auf dem Kunstmarkt angekommen ist, wozu neben Akteuren wie Delmes & Zander, die wesentliche Arbeit am Begriff geleistet und die Arbeiten der KünstlerInnen von ihrer jeweiligen Biografie und den damit verbundenen Vorurteile befreit haben, auch wichtige Institutionen wie das Museum of Everything in London, die Collection abcd in Paris oder die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg beigetragen haben.
Ein weiterer Grund mag die implizite Glaubwürdigkeit sein, nach der gerade der zeitgenössische Kunstbetrieb begehrt und die Outsider Art besser bedienen kann, als eine professionelle Kunstproduktion. Während diese viel schneller im Verdacht steht, marktorientiert zu arbeiten, scheint die Kunst der Außenseiter von jeglichem Kalkül befreit aus einem unmittelbaren Schaffenswillen heraus zu entstehen, der sich nicht vergleicht oder selbst kunsthistorisch reflektiert und dem es vor allem nicht um monetären Erfolg oder Ansehen geht.

Margarethe Hel, untitled, undated, chalk on paper, 39.5 x 29.5 cm, Courtesy Delmes & Zander, Cologne

Albrecht Becker, untitled, 1974, Photocollage, 28.4 x 20.4 cm Courtesy Collection Hervé Joseph Lebrun /Delmes & Zander, Cologne

Doch auch die Lust an der Neu-Entdeckung spielt sicherlich eine Rolle, womit wir bei der aktuellen Jubiläumsausstellung bei Delmes & Zander angelangt wären, die der britische Künstler und Turner Preis-Gewinner James Richards aus den Beständen der Galerie zusammengestellt hat. Der Fokus liegt auf Papierarbeiten, u.a. von Jesuys Cristiano, Margarete Held, Miroslav Tichy und Karl Hans Janke. Richards hat die Künstlerin Tolia Astakhishvili eingeladen, eine Architektur zu gestalten, die (mehr als) einen Rahmen für die Werke der GaleriekünstlerInnen bildet. „who goes there“ besteht aus nackten Rigips-Wänden, die den Ausstellungsraum als Rohbau simulieren und damit auf ein Am-Anfang-Stehen verweisen, das sich wunderbar auf die Arbeit der Galerie übertragen lässt. Keine Position vermittelt sich von allein, vielmehr wird in einem kontinuierlichen work-in-progress ständig neu geordnet, kontextualisiert und aufgearbeitet. In diese Prozesse geben auch die begehbaren Archivräume Einblick, in denen im Wechsel Nachlässe, Archivmaterialien und Konvolute einzelner KünstlerInnen gezeigt werden, an denen gearbeitet wird. So zum Beispiel der Nachlass von Adelhyd van Bender, der als selbsternannter Träger des Atomgeheimnisses seine Forschungsergebnisse in Form eines faszinierenden, in sich geschlossenen, konzeptuell-kryptischen Zeichensystems hinterlassen hat. Die lebendige Auseinandersetzung mit den Werken spiegelt sich in den handschriftlichen Notizen, die Astakhishvili an den Wänden hinterlässt und die auch Nachrichten der GaleriekünstlerInnen sein könnten: „tiredness, no desire to write. Desire for photography“ zum Beispiel, oder „don’t ask again the same question“, „fragt doch nicht immer das Gleiche“. Die Installation stellt eine Verbindung zwischen den Arbeiten her, die sich eher im Begreifen-Wollen als in formalen oder inhaltlichen Parallelen ausdrückt. Zeichnungen in Nischen bilden Anziehungspunkte, Durchbrüche in der Wand geben versteckte Details frei, Schrift wird von Zeichnung verdeckt – die Installation verführt zum ganz genauen Hinschauen.

Installationsansicht Delmes & Zander, Köln, Foto: Johannes Post

Installationsansicht Delmes & Zander, Köln, Foto: Johannes Post

In einem der Archivräume der Galerie hat der Künstler Lucas Foletto Celinski eine Ausstellung mit Fotografien und Collagen von Albrecht Becker zusammengestellt, der vor allem für seine Arbeit als Dekorateur und Filmarchitekt bekannt war, aber auch für seine offen gelebte Homosexualität, wegen der er zur Zeit des Nationalsozialismus inhaftiert war. Die Selbstporträts, in denen Becker den offensiven Umgang mit seinem masochistischen Fetisch und der damit verbundenen Körpermodifikationen und Tätowierungen zur Schau stellt, die er im Lauf seines Lebens an sich selbst vorgenommen hat, sind provokante Zeugnisse einer auch heute noch tabuisierten Sexualität. Sie lassen sich aber auch in Bezug setzen zu den konzeptuellen Arbeiten der Body- und Performance Art der 1970er Jahre, sodass auch hier wieder die Frage nach der Grenze zwischen „Outsider“ und „Insider“ aufgeworfen wird und eins klar ist: auch nach dreißig Jahren gibt es noch einiges zu diskutieren, zu untersuchen und zu entdecken.

Artikelbild: Installationsansicht Delmes & Zander, Köln, Foto: Johannes Post


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