Wolfgang Voegele

Wolfgang Voegele


Sabine Elsa Müller über Wolfgang Voegele „Edgy Sleeper“ im ak Raum, Köln Ehrenfeld, bis 22.2.

Immer einen Besuch wert ist der ak Raum in Köln Ehrenfeld. Seit nunmehr drei Jahren stellen die Betreiber Agnes Kornas und Oliver Szaggars Künstler*innen einen experimentellen Freiraum zur Verfügung, der sie zu eigenwilligen und überraschenden Ausdrucksformen inspiriert. Die zwischen Malerei, Installation und Skulptur frei flottierenden Ausstellungen ermöglichen einen neuen und fast intimen Blick in die aktuelle Produktion im Rheinland, wobei die ausgewählten Künstler*innen meist schon einige Erfahrung mitbringen. Ihr sorgfältiger Umgang mit dem Raum und seiner optimalen Inszenierung lässt die Werke strahlen.

So sorgt auch die Ausstellung „Edgy Sleeper“ des in Köln lebenden Künstlers Wolfgang Voegele (geb. 1983) schon im ersten Moment für einen gewissen Erregungszustand. Tafelbilder in Öl auf Leinwand oder Stoff werden mit etwas zusammengebracht, das vom Künstler selbst als „Hard Edge Beds“ bezeichnet wird und für sich genommen eher im Designbereich zu verorten wäre. Hochsensible Malerei an den Wänden, Betten mitten im Raum. Diesen Antagonismus gilt es erst einmal aufzulösen. Sehr unterschiedliche Konzepte von Malerei prallen hier aufeinander, die sich aber wundersamer Weise gleichberechtigt nebeneinander behaupten. Statt nach Aufhebung und Verschmelzung der Vielfalt unter einer Doktrin strebt Voegele auf Zuspitzung und Forcierung unterschiedlicher Möglichkeiten. Er spaltet die eigene Arbeit auf in zwei Stränge, die sich in einer Art Doppelausstellung begegnen, sich gegenseitig triggern und den Blick weiten. Aus dem unendlichen Möglichkeitsraum lässt sich mehr als nur eine gültige Form gießen.

Die Malerei an den Wänden setzt sich aus Zeichen und Spuren zusammen und verrät den erfahrenen Zeichner. Aber auch die Zeichnung bindet sich nicht notwendigerweise an das Subjekt und seine unverwechselbare Handschrift, sondern versteht sich als früh eingeübte Praxis einer flexibel angepassten Wirklichkeitsaneignung: „Klee, Poliakoff, de Kooning, Klapheck – alles war möglich“, erinnert sich Voegele an seine ersten Schritte zur Professionalisierung. Das Erfahrungsspektrum bestimmt den Handlungsspielraums; beides ist nach allen Seiten offen. Blumen, Songs, die eigene Biographie – alles hinterlässt im Fluss der Linie seine Spuren. Voegele hat nicht Malerei, sondern Literaturwissenschaften studiert und kennt die Sprachtheorie des Strukturalismus, wonach alle Bedeutungssysteme unabgeschlossene Systeme von Zeichen sind, die sich auf Zeichen beziehen, die sich wiederum auf Zeichen beziehen usf. Eine Geste verlangt nach der nächsten und diese wieder nach der nächsten… Handlung als Reaktion auf etwas, das schon da war, ist sich der Allgegenwart der Bezugssysteme sehr bewusst. Niemand ist eine Insel. Alles strebt nach Verbindung, Spiegelung, Vervielfältigung, Neukombination, so dass sich einander überlagernde Schichten bilden, an denen sich der Prozesscharakter dieser ewigen Bewegung ablesen lässt.

In früheren Arbeiten fand dieser Prozess der Wandlung, des wechselseitigen Wachsens und wieder Auslöschens auf Papier oder am Rechner statt, um dann auf Leinwand übertragen und so wiederum in etwas Neues umgewandelt zu werden. Aber auch im Aggregatzustand der Malerei behielten Wolfgang Voegeles Arbeiten ihren graphischen Charakter bei. Bei den aktuellen, alle 2019 entstandenen Bildern in der Ausstellung verzichtete er auf diese Vorarbeit. Die Komposition entwickelt sich frei und intuitiv direkt auf der Leinwand respektive auf Stoff, so dass die Genese des Bildes unmittelbar nachvollziehbar wird. Das Ergebnis bildet den Prozesscharakter der Malerei auf sinnliche und körperhafte Weise ab. Sein Inhalt sind körperliche, aufeinander bezogene und vielfältig ineinander verflochtene Handlungen.

Jetzt kommt die Farbe ins Spiel. Es ist die Farbe, mit der die graphischen Notationen und Figurationen überlagert oder hervorgehoben werden, die ihnen Halt gibt, sie sorgsam in der Fläche einbettet oder übermalt und fast bis zur Unsichtbarkeit herunterdimmt. Aber ihre Spuren werden nie ganz ausgelöscht. Unter den schrundigen Oberflächen zeichnen sich manchmal mehrere Schichten von Zeichen und Formen ab, die hier wie in einem geschützten Archiv lagern. Dabei eröffnen nicht nur Titel wie „Untitled. (You hit me with a flower)“ mit seinem Lou-Reed-Zitat assoziative Bezüge – erzählerische Elemente und Figurationen im Bild tragen ein Übriges dazu bei. Man erkennt mal eine Hand, dann ein Bein und weitere Formen, die vage an vertraute Gegenstände erinnern. Sie stammen aus der unmittelbaren Erinnerung oder Erfahrungswelt des Künstlers und verweisen auf das körperliche sich Abarbeiten an der Malerei. Farbe, der bespannte Keilrahmen, der Vorgang des Malens – das sind alles handfeste materielle Gegebenheiten, die in einen funktionierenden Prozess gebracht werden müssen. Manche Motive wirken wie Hilfsmittel und Werkzeuge einer buchstäblichen Eroberung der Bildfläche, wie die Leiter bei den „Leiterbildern“, die den Bildraum förmlich durchmisst, durchdringt und bezwingt.

Malerische Aktion, die sich als Verkettung aufeinander folgender Impulse versteht, kann aber auch bedeuten, dass sich zwei Werke wie Positiv und Negativ aufeinander beziehen, oder dass innerhalb eines Werkes die Malerei zwischen Vorder- und Rückseite wechselt. In dem atmosphärisch verdunkelten „Untitled (Leiterbild)“ sorgt die Transparenz der Malerei dafür, dass sich durch die Rückseite hindurch ein gelbes Dreieck abzeichnet und im mysteriösen, zwischen Erscheinen und Verschwinden changierenden Charakter der Arbeiten einen eigenen Akzent setzt. Die Überlagerung von Bedeutungssystemen erfolgt mit immer wieder anderen Mitteln.

Bewusstseinsüberlagerungen lassen sich auch durch ein Umklappen der Figur-Grund-Verhältnisse wie bei einem Vexierbild visualisieren. In „Haidebuck, Schibi, Schibo, Schibleschlag“ wird ein einfarbiger grüner Stoff mit Gebrauchsspuren zur Landschaft, in deren flüchtig angedeuteten Horizontlinien sich ein langgestreckter Arm hineinlesen lässt. Der Titel spielt auf den Brauch des Scheibenschlagens aus der südbadischen Heimat des Künstlers an. Es geht um Bewegung und Dynamik, verbunden mit dem konkreten Kindheitsort am Haidebuck und in ein äußerst souveränes und berührendes Bild einer Seelenlandschaft überführt.

Und wozu braucht es da die Betten mit ihren weich gepolsterten Auflagen, die ja keine Betten sind, sondern Malereiobjekte mit weißen Sockeln und in klare Farbfelder aufgeteilten, an Hard Edge Malerei erinnernden Stoffbezügen? Ihr Erscheinungsbild mag im Zusammenhang mit Malerei ebenso überraschen wie die Bezeichnung „Hard Edge Bed“ selbst, die das Harte mit dem Weichen kombiniert und scharfe Kanten mit Entspannung und körperlichem Schutz assoziiert. Sie wirken wie die humorvolle Überstrapazierung eines sehr konzeptuellen Malereibegriffs und stehen damit im stärksten Gegensatz zu den intuitiv „aus dem Bauch heraus“ gemalten Bildern an den Wänden. Aber der Maler ist auch in diesen Betten irgendwie präsent, durch ihre Verweisfunktion auf den Körper. Der „Edgy Sleeper“ verbindet die Abstraktion des Konzepts mit der Sinnlichkeit des Körpers, psychischen und seelischen Vorgängen, den Ebenen des Unbewussten im Traum und anderen Zuständen dazwischen, die so eine große Rolle in seiner „gemalten Malerei“ spielen. Diese körperliche Intimität ist der verbindende Link der Ausstellung. Hier haben die nach allen Seiten divergierenden Bewegungen ihren Ausgang, und hier kommen sie selbst bei größter Widersprüchlichkeit am Ende wieder zusammen.