Schleierhafte Geschichte/n

Schleierhafte Geschichte/n


Danh Vo »L‘artiste et le décorateur« / Galerie Daniel Buchholz / Köln / bis 21.8.

An den Archivalien, Drucken und Sachbüchern aus dem 19. Jahrhundert im Buchholz‘schen Antiquariat vorbei, gelangt man derzeit in ein temporäres Badezimmer, das Geschichten erzählt. In den angeschlossenen Galerieräumen ist die Ausstellung L‘artiste et le décorateur von Danh Vo zu sehen und schlägt gleich mehrere Brücken – eine nach Vietnam und eine nach Berlin.

Im Jahr 1975, als das vielleicht dunkelste Kapitel der amerikanischen Imperialgeschichte mit der Besetzung Saigons durch die Kommunisten endet, wurde Danh Vo geboren. Zunächst im Süden des Landes aufgewachsen, beschloss die Familie nach Amerika zu flüchten, wurde aber als Boatspeople von einem dänischen Schiff aufgelesen.

Bereits im Studium bei Tobias Rehberger in Frankfurt wird Danh Vos komplexe und außergewöhnliche Biografie Nukleus seines reichhaltigen Schaffens, und 2006 sogar Ausgangspunkt für eine Arbeit seines Lehrers, der eine Boot-Skulptur nach Anweisungen von Danh Vos Vater konzipierte. Dieser hatte 1979 jenes Fluchtvehikel gebaut, das die Familie in eine ungewisse Zukunft trug. Phung Vo spielt in den Arbeiten seines Sohnes immer wieder eine Rolle und kann als ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für die Art der künstlerischen Verknüpfungen verstanden werden, denn er verbindet die Unmittelbarkeit im autobiografischen Puzzle des Künstlers mit archivischem Material, das Danh Vo zum Beispiel in Bibliotheken recherchiert oder einfach bei ebay kauft.

 

2.2.1861 heißt ganz unprätentiös eine Edition, die den letzten Brief des heiligen Théophane Vénard an dessen Vater wiedergibt, den Danh Vo im Original fand und seinen Vater wiederum hat händisch abschreiben lassen. Die Auflage bleibt ungewiss, denn sie hängt schlicht und einfach von der restlichen Lebenszeit Phung Vos ab. Vénard war ein französischer Missionar, der in Tonkin, der nördlichsten Grenze von Vietnam, wie so viele Missionare gefangen genommen und hingerichtet wurde. Ein anderes Foto neben dem Brief, das freudige Missionare noch vor ihrer Abreise aus Paris ablichtet, titelt byebye. Mit dem dritten Foto – das für den ersten Pass des Künstlers entstand – wird die zweite Koordinate im Netz seines autobiografisch-archäologischen Vorgehens deutlich und pradoxerweise durch einen Schleier augenfällig: Vor den drei Fotografien hängt ein Duschvorhang, der eine ähnliche Tötungsszene eines Missionars zeigt, wie sie hundertfach in Vietnam stattgefunden haben muss. Ein unbekannter vietnamesischer Maler hat die Hinrichtung von Charles Cornary im Jahr 1837 dargestellt und Danh Vo diese auf den Vorhang drucken lassen.

Auch im hinteren Büro von Buchholz verschränken sich autobiografische Szenen mit der Frage nach kollektiver vietnamesischer Identität. Hier hängt ein Foto der ersten Pilgerfahrt von Danh Vos Familie nach Rom. Unweit davon, fast zu übersehen, hat Vo ein kleines metallisches Kruzifix installiert, das ein Astronaut mit ins All genommen, der Künstler ersteigert und mit 06.03.1965 betitelt hat – dem Datum der ersten amerikanischen  Truppenlandung in Vietnam.

Weitere referenzielle Marker, wie eine weihnachtliche Grußkarte von 1969 aus dem Weißen Haus, verdichten das Netz, das der Künstler um seine Herkunft und die zerrüttete, postkolonialistische Geschichte des Landes strickt. Im ersten Raum der Galerie hat er eine Badezimmer-Situation installiert, die wiederum auf den Duschvorhang Bezug nimmt. Eine frei stehende Kachelwand zwischen einem modernen Bidet und einem Ottomanen aus dem frühern 19. Jahrhundert, der über pompejianisches Moiré seine imperialistische Herkunft bezeugt, ist mit Pflanzen bedruckt. Die Motive stammen aus dem Archiv des Musée National d‘Histoire Naturelle in Paris, die der ermordete französische Missionar und Botaniker Jean-André Soulié in Südchina und Tibet katalogisiert hat. Von hier aus spinnt sich ein weiterer Faden in den begrünten Innenhof der Galerie, aber auch einer nach Berlin. Zur 6. Berlin Biennale kann die Arbeit, in ein Badezimmer eingebaut, in der Wohnung des Künstlers besichtigt werden.

 

Danh Vo bewegt sich auf einer spannenden Grenze zwischen referenziellen Lesbarkeiten und poetischen Brechungen, wodurch eine Totalanalyse verhindert und die Tendenz einer didaktischen Destillation vermieden wird. Sein Umgang mit persönlichen und zufällig gefundenen Artefakten zielt nicht auf eine völlige Dechiffrierung der künstlerischen Arbeit, sondern den sensiblen Umgang mit dem, was den Dingen an Denkwürdigkeiten innewohnt. Seine Arbeit kann so als eine Suche nach Verknüpfungen und angemessenem Material für die (Re-)Konstruktion von Geschichte und hierin seiner ganz persönlichen verstanden werden kann.

Autobiografisches Nomadentum ist zwar der Ausgangspunkt von Danh Vos Schaffen, doch sprechen seine Arbeiten vielmehr die Sprache einer weiter gehenden poetischen Archäologie, die es hinter den antiquarischen Zeugnissen kollektiver Identität zu entdecken gibt.