Ruth Buchanan "Ein Garten mit Brücken (Wirbelsäule, Magen, Kehle, Ohr)"

Ruth Buchanan „Ein Garten mit Brücken (Wirbelsäule, Magen, Kehle, Ohr)“


Andreas Richartz über ein Skulpturen-Ensemble für Mönchengladbach im Programm Neue Auftraggeber. Eine Kooperation der Kunststiftung im Museum Abteiberg mit dem Stiftischen Humanistischen Gymnasium und dem Arbeitslosenzentrum Mönchengladbach e.V.

Partizipation ist einer der Schlüsselbegriffe unserer Sozialsysteme. Ihre Umsetzung gestaltet sich nicht immer einfach. Ihre kulturpolitische Strahlkraft (ganz zu schweigen von ihrer wohlfahrtspolitischen) ist nicht erst seit Corona in Gefahr. Angesichts sich stetig leerender Kassen liefern alternative kulturelle think tanks Argumentationen für Teilhabe, die das Deflationäre ihres Angebots klug umschiffen müssen. Die Neuen Auftraggeber sind ein solcher think tank.

„Neue Auftraggeber, das sind Akteur*innen, Bürger*innen, Protagonist*innen wie du und ich, die ein Anliegen an und für ihre Kommune haben, in der sie leben“, so Kathrin Jentjens, Mediatorin für die Modellregion Rheinland. Jentjens Job besteht darin, Menschen, die eine Idee vereint und sich damit an sie wenden, zu den Menschen zu bringen, die kompetent und einflussreich sind, um diese Idee umzusetzen.

Die Neuen Auftraggeber von Mönchengladbach mit dem Schirmherr Oberbuergermeister Felix Heinrichs, 2021. Foto: Florian Wagner

Die grobe Definition deutet an, um welch hohen Aufwand es sich im Fall des Mönchengladbacher Projekts „Ein Garten mit Brücken (Wirbelsäule, Magen, Kehle, Ohr)“ von Ruth Buchanan und allen beteiligten Partizipant*innen handelt. Gleichsam rührt dieser Aufwand an ein Problem, das derartige Projekte eben mit sich führen: Projektierte Partizipation bedarf vieler kleinschrittiger Genehmigungsprozeduren und ausgefeilter Kommunikations-Politiken über z.T. entfernt liegende Verwaltungstrakte hinweg, die der Hierarchisierung der Entscheidungen ein Miteinander vorgaukeln wollen und müssen, das zuweilen fraglich sein mag. Das ist anstrengend, lohnt aber oftmals durch ein eindrucksvolles Ergebnis. Und eine Herkulesaufgabe ist es auch, die in Mönchengladbach bis hierhin dank dutzender Protagonist*innen gelungen scheint. Partizipation auf diesem Level bedarf darum einer sensiblen Mediationsarbeit rund um die kreative Gleichschaltung diverser divergierender Verwaltungseinheiten. Gebaut werden schließlich nicht heimlich Obelisken in der Wüste, noch rücken nachts Kunst-Guerilleros mit Spraydosen und Schablonen aus.

Neue Auftraggeber also ist ein zunächst nicht-institutionelles kulturelles Teilhabe-Konzept, das 1982 zuerst in Frankreich in Erscheinung trat und inzwischen – nach Hunderten von Projektumsetzungen weltweit – auch in Deutschland feste Dependancen, sogenannte Modellregionen hält: Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern (für den Nord-Osten) plus Rhein-Ruhr/Rheinland (für den Westen). Die Kulturstiftung des Bundes hat bis 2022 eine sechsjährige Pilotphase dieses Mediationsverfahrens gefördert, die bald ausläuft. Dabei entstanden in den zwei deutschen Modellregionen neue Kunstprojekte im Auftrag von Bürger*innen. Mediator*innen mit langjähriger Projekterfahrung wurden zu Ansprechpartner*innen vor Ort und arbeiteten mit Partnerinstitutionen zusammen. Im Fall von Mönchengladbach mit dem Museum Abteiberg als regionalem Ankerpunkt.

Übersicht: Ein Garten mit Brücken (Wirbelsaeule, Magen, Kehle, Ohr) Entwurf von Ruth Buchanan mit Fynn Morten Heyer

Das Berliner Büro der Neuen Auftraggeber koordiniert die Pilotphase seit Mai 2017. Ein kleines Team arbeitet seitdem daran, gemeinsam mit Akteuren und Akteurinnen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den Modellregionen neue kulturelle Potenziale zu erkennen. Die Neuen Auftraggeber sind aber keine Kulturinstitution, sondern vielmehr eine Aufgaben bündelnde Kulturtechnik. Ein Blick auf die Homepage von Neue Auftraggeber Deutschland offenbart den Anspruch, alle Entscheidungen von unabhängigen Ideengebern treffen zu lassen. Doch geht das überhaupt und was ist und wie funktioniert das Protokoll der Neuen Auftraggeber konkret?

Vorschläge für Projekte sollen vom Gedanken an ein Gemeinwohl getragen sein, sie können Bevölkerungsgruppen zusammen führen, die sonst nicht oder nur selten zusammen finden und sie können einen bleibenden Mehrwert für den Stadtraum in mehr als symbolischer Form mit sich führen. Das können Bildungsprojekte und Bauprojekte sein, die einen nachhaltigen Eindruck im öffentlichen Raum manifestieren, aber auch mehr oder weniger verrückte Ideen, die auf den ersten Blick wie die private Leidenschaft eines Einzelnen aussehen.

Die Neuen Auftraggeber von Mönchengladbach: Erste Gartenaktion 2019. Foto: Jan Hoehe

Nicht ganz unabhängig vom Einfluss kommunaler Kulturausschüsse und Dezernate begeben sich mehr oder weniger gut gemeinte, nicht immer vermittelbare und schon gar nicht immer flächendeckend verstandene Projekte wie das der Stadt Mönchengladbach. Was Partizipation hier wie anderswo bei ähnlich gelagerten Leuchtturm-Projekten meint, ist die Einladung an diverse inferiore und vulnerable Bevölkerungsgruppen, mitzumachen, mitzugestalten, nicht zuletzt, weil sich durch die Formulierung von Teilhabeansprüchen die notwendigen Förderrichtlinien für die notwendig zu generierenden Projektgelder leichter erfüllen lassen.

Mithilfe von Kathrin Jentjens wurde 2018 in Mönchengladbach ein erster runder Tisch mit 20 Personen einberufen, die Verquickung kam auf den Weg. Zum ersten ideellen Auftraggeber wurde der Leiter des städtischen Arbeitslosenzentrums Karl Sasserath: Weil die Schulleitung des Stiftischen Humanistischen Gymnasiums (HUMA) aus Ermangelung einer eigenen Schulkantine vergeblich um einen Mittagstisch für die 6. und 7. Klassen im nahegelegenen Arbeitslosenzentrum ersuchte, hatte jener die Idee eines Schulgartens. In dem in einer Steillage recht unzugänglich und weitgehend brach liegenden Areal hinter dem Arbeitslosenzentrum sollte ein solcher Begegnungsgarten entstehen. Team und Besucher*innen des Arbeitslosenzentrums, Schüler*innen und Lehrer*innen des Gymnasiums schlossen sich den Überlegungen an. Die soziale Bindung an die Geschichte der Stadt mit ihren Arbeitervierteln rund um Textil- und Färber-Industrie und die Arbeiterbildungs-Programme eines frühen städtischen Sozial-Katholizismus bildeten schnell den verbindenden Bezugspunkt von Gymnasium und Arbeitslosenzentrum zur Formulierung eines gemeinsam entwickelten Auftrags: „Wir beauftragen ein Projekt im Garten des Arbeitslosenzentrums, das den Anspruch auf gesellschaftliche Öffnung auf dem Abteiberg und die Besinnung auf die sozialen Wurzeln der Stadt sichtbar macht.“

Gartenworkshop mit Caroline Pekle und Ruth Buchanan 2021. Foto Florian Wagner

Flyer zur Workshopreihe 2021

Für das ambitionierte Projekt gewinnen konnte Jentjens die Neuseeländerin Ruth Buchanan, eine Künstlerin, die für die weite Auslotung solcher Begriffe wie Selbstwahrnehmung, Körpergeschichte(n) und Selbstermächtigung in ihrer multidimensionalen Kunst steht und deren Arbeiten im Kern an die (ungeschriebenen) Archivierungs- und Historisierungs-Rituale von Körpern im gesellschaftlichen Raum und seiner Mentalitätsgeschichte andocken. Was vortrefflich mit der Idee korrespondiert, Stadtraum und Gartenlandschaft mit der unschönen Geschichte des ehemals als Heim für die Hitlerjugend genutzten Arbeitslosenzentrums zu versöhnen. Und auch mit der speziellen Geschichte des Abteibergs und der alten Industrie- und Färberstadt Mönchengladbach. Buchanans Beteiligung an dem Projekt lässt sich als Schlüssel für den Mehrwert der partizipativen Herangehensweise betrachten: Von 2019 an eng angebunden an die in Workshops und runden Tischen eruierten Vorstellungen der Besucher*innen des Arbeitslosenzentrums sowie der Schüler*innen des HUMA, entwarf sie auf der Grundlage zeichnerisch und deskriptiv formulierter Wünsche eigene Modelle: Der Garten als Körper, die Zugänge zu ihm als die Organe dieses Körpers: Drei begehbare, brückenartige Stahlskulpturen von erheblicher Länge und Größe (Wirbelsäule/19 Meter; Kehle/12 Meter; Ohr/9 Meter), ergänzt um einen Pavillon (Magen) der Begegnung. Drei verschiedene Zugänge aus drei unterschiedlichen Raumsituationen der Stadt hin zu einem Garten der Brücken, der Interaktion. Ruth Buchanan, die gern intensiv die Orte ihrer Interventionen recherchiert, zeigt insbesondere in ihrer Farbwahl für die vier Objekte einen stillen Sinn für die Entfaltung sensibler Assoziationen mit dem Histomat des Areals und der Stadt Mönchengladbach: Das rosarot der die meisten Höhenunterschiede meistern müssenden „Speiseröhre“ steht für das Innere, das Organische des Körpers. Das Gelb des „Ohrs“ mit seiner muschelartigen Ausweitung zur Gartenmitte denkt die schwefelhaltige textilindustrielle preußische Stadtvergangenheit mit. Die „Wirbelsäule“, der Zugang zur eigentlichen Straßenseite, erhält ein dunkles, warmes Lila als antifaschistisches Signet weiblicher Wiederaneignung von öffentlichem Raum in der Erinnerung an die Nutzung der angrenzenden Architektur als NS-Heim. Der einzige (offene) Raum, der „Magen“ eines Pavillons, das vierte Objekt, leuchtet in einem satten Grün, das Buchanan mit Fürsorge, mit Institutionen der Versorgung und des Kümmerns belegt; ein geschützter Ort des Verweilens im baulichen Gesamtensemble.

Susanne Titz, Leiterin des Museum Abteiberg spricht auf der Pressekonferenz im August diesen Jahres mehrfach vom „Risiko“, als sie die verschlungenen Pfade der ersuchten Beleumundung für ein Projekt aufzählt, das es lange gar nicht geben würde, da es sich erst sukzessive entwickeln musste. Gefördert werden sollte schließlich ein langjährig gar nicht existentes Projekt, das an unterschiedlichste Dezernate die Anfrage seiner zukünftigen Existenzberechtigung stellte.

Ein Garten mit Brücken (Wirbelsaeule, Magen, Kehle, Ohr) Entwurf von Ruth Buchanan mit Fynn Morten Heyer

Ungeachtet all dieser kulturpolitischen Hürden und aller mal mehr, mal weniger transparenten Entscheidungsfindungsprozesse: Was die Stadtgesellschaft in Mönchengladbach an Mehrwert erhält, erscheint aus jetziger Sicht als herausragendes Beispiel einer gelingenden Planung und Umsetzung eines künstlerisch und ästhetisch hochstehenden, öffentlich zugänglichen Baukunstwerks. Und das ist in Tagen wie diesen verdammt viel.

Deutlich wird in Mönchengladbach aber auch: Die Grenzen der Partizipation – und damit die Grenzen einer radikalen Demokratisierung aller Entscheidungen, von der Künstler*Innen-Wahl bis zur Öffnungszeit des zukünftigen Areals –  liegen da, wo verwaltungstechnische Politiken zum Tragen kommen müssen, um Partizipation erst zu ermöglichen. Wem dieser Satz nicht widerspruchsfrei vorkommt, liegt völlig richtig. Mit dem Paradox leben müssen die, die Partizipation auf den Weg bringen wollen genauso wie die, die sie – ohne zu ahnen, wie sie gelingen könnte – ersehnen. Ohne diesen Widerspruch geht es zumindest in den von und für uns verantworteten sozialen Systemen nicht. Die Neuen Auftraggeber sind und werden ein Teil eines Widerspruchs bleiben, den sie ein Stück weit auflösen wollen. Wenn dabei am Ende Projekte wie das in Mönchengladbach herauskommen, umso besser.

Nach Ablauf des geförderten Pilotprojekts in 2022 werden die Neuen Auftraggeber neue Fördermittel anvisieren müssen. Bis dahin wird die Vollendung von Ruth Buchanans Garten mit Brücken wieder ein Stück weit vorangetrieben worden sein. Seine feierliche Eröffnung erwartet die Stadtgesellschaft Mönchengladbach und alle Freunde partizipativer Kunstprojekte im Frühjahr 2023.


tags: , , ,