KÖLN SKULPTUR #10

KÖLN SKULPTUR #10


Uta M. Reindl über „KÖLNSKULPTUR #10: Übernatur – Natural Takeover“, 1. August 2020 bis 31. Juli 2022

In diesen ökologisch wirren Zeiten überrascht es kaum, wenn sich Künstler und Ausstellungen mit der Natur, dem Menschen im Umgang mit ihr befassen. Aktuell häufig im Kölner Raum: Die Galerie Parrotta Contemporary Art setzt mit Werken verschiedener Künstlergenerationen die „Poesie des Gärtnerns“, so der Ausstellungstitel, in Szene. Interventionen von „KUNSTHONIG“ , kuratiert von Jochen Heufelder, der sich seit Jahrzehnten Projekten im urbanen Grün widmet, führen durch Gärten in Sürth. Dort im südlichen Stadtrand Kölns wird der damit verbundene Insektenkosmos vielfältig erlebbar. In der Kölner Innenstadt schließlich will „Floraphilia. Pflanzen als Archive“ in der Temporary Gallery die Welt der Pflanzen aus dem „reaktionären Kontext von Einrichtungsmagazinen und ÖkoTrends“ (Pressetext) befreien.

Louis Weinberger, Die Erde halten , 2010 Foto: Paris Tsitsos, Copyright: Studio Weinberger (Motiv der Einladungskarte „Poesie des Gärtnerns“, Parrotta Contemporary Art)

Nun befasst sich der Kölner Skulpturenpark Köln mit dem Thema – und dies durchaus auf virtuose Weise ambivalent.„ÜberNatur – Natural Takeover“ betitelt sich die aktuelle Ausgabe der im Biennaletakt realisiertenFreilichtausstellung in dem von dem verstorbenen Sammlerpaar Eleonore und Michael Stoffel 1997 initiierten Kunst-im-urbanen-Grün zwischen Flora, Zoo und dem Rhein. Eine gelungene, weil vielfältige Auswahl von acht künstlerischenPositionen lässt der in Hongkong lebende Kurator Tobias Berger (*1969) in oder mit Köln Skulptur #10 auftreten, die immer wieder den Dialog mit ständig dort installierten Werken aufnehmen

Der Chinese Trevor Yeung (*1988), ebenfalls in Hongkong lebend, spielt auf das Natural Takeover, die natürliche Übernahme, an, wenn er einen noch zarten Ginkgobaum an einer mit Pflanzenlicht ausgestattenStraßenlaterne ranken lässt. „Two Reliers“ heißt die Arbeit, was soviel bedeutet, dass sich zwei aufeinander verlassen können. Doch sollte der Ginkgobaum wilder wachsen, wäre es eine natürliche Übernahme, fast so wie bei der sechzig Meter langen „Spur“ von Lois Weinberger (1947-2020), die der österreichische Künstler 2015 für die Köln Skulptur #8 quer durch den Parkzog: ein inzwischen überwucherter Erdhügel, der sein ungestümes Eigenleben in der Parkidylle hat – also der Inbegriff des Natural Takeovers sein dürfte.

Ganz in dessen Nachbarschaft macht Ayşe Erkmen (*1949) minimalistisch auf das Artensterben aufmerksam, mit der winzigen Bronzeskulptur „Lonesome George“. Es ist die Nachbildung einer der letzten Vertreter der in 2019 ausgestorbenen Schneckengattung aus Hawai. Nur der aufmerksame Besucher wird diese Arbeit entdecken.

Ayşe Erkmen, Lonesome George, 2020. Courtesy of Ayşe Erkmen © Stiftung Skulpturenpark Köln, 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Als Klagelied über den Verlust an Diversität durch das Anthropozän zu verstehen ist Dane Mitchells Skulptur „Post hoc“ (2019), die der 1976 in Neuseeland geborene und lebende Künstlergleich an zwei Stellen des Parks wahrnehmbar macht. Der Besucher sieht sich vor einer Kieferattrappe, die in China Funkmasten und/oder Antennen kamoufliert. Wer sich mit seinem iPhone über den Werktitel den Zugang in das Wifi-Netzwerk verschafft, mag neben dem Straßenlärm außerhalb des Parks den Vortrag von schier endlose Listen verschwundener Dinge anhören, wie etwa der Verlust der Sprachenvielfalt, von ehemaligen Handelsrouten, von Klängen und – für Kölner Besucher besonders interessant – den Verlust von Archiven.

Mary Bauermeister, Rübezahl, 2020. Courtesy of Mary Bauermeister, exklusiv vertreten von Michael Rosenfeld Gallery © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020, Stiftung Skulpturenpark Köln 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Im Herzen des Parks lädt die in Rösrath lebende Mary Bauermeister (*1934) ein zu „Rübezahl“, nämlich in ihre aus Baumstämmen, Baumpilz, Geweihen etwabestehende Inszenierung, benannt nach dem mythenumwobenen „Felsgeist“, wie die Künstlerin ihn bezeichnet. Die um ihn rankenden Erzählungen haben durchaus mit der gelegentlich mythenumwobenen, immer bedrohlicheren Beziehung zwischen Mensch und Natur zu tun.

Auf eine private Erzählung dagegen geht die Installation „Old Eggs and the Catcher“ von Guan Xiao (*1983) zurück. Zu sehen sind da strahlend weiße Plastiken aus lackiertem Messing, von denen einige an verquollene Eier denken lassen. Die Installation der in Peking lebenden Künstlerin geht zurück auf ihr persönliches Erlebnis, als sie die ihr geschenkten Eier vergessen und diese erst nach einem extremem Alterungsprozess wiedergefunden hatte. Auch um Eier geht es in „Approximation (corn snakes hatching)“ von 2017, einem Digitaldruck auf Aluminium, den Katja Novitskova (*1984) unweit davon installiert hat. Dort versucht die aus Estland stammende und in Berlin wohnende Künstlerin, die sich in ihren Arbeiten gerne mit Wissenschaft befasst, dem Werktitel gemäß eine Annäherung an den Schlupfprozess von Kornnattern.

Katja Novitskova, Approximation (corn snakes hatching), 2017. Courtesy of the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Stiftung Skulpturenpark Köln, 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Der Beitrag von Leelee Chan (*1984) lässt sich als Anspielung auf bionische Strategien im Produktdesign etwa verstehen, wenn Phänomene aus Tier-und Pflanzenwelt für die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen umgenutzt werden. So hat die Skulptur „Blindfold Receptor(Guld Frit.Orange)“ von der in Hongkong lebenden Künstlerin raupenähnliche Elemente, wird aber zugleich als Industrieprodukt identifizierbar.

John Bock, Schlupf, 2020. Courtesy of Sprüth Magers © Stiftung Skulpturenpark Köln, 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Und dort, wo bislang im Skulpturenpark ein Autowrack in der Tiefe des Erdreiches (von Dirk Skreber auf der KölnSkulptur #6) installiert war, befindet sich die Klanginstallation von John Bock (*1965), der als genreübergreifender Künstler stets die theatralische Note sucht. Wer in die Tiefe des Garten hinabsteigt, den begleitet ein Klangteppich bis zur fragilen Konstruktion in der Tiefe: bis zu einer Glasvitrine, die aus der Ferne einem Insekt gleicht. Zu sehen ist aber die letzte Larve einer Libelle, weshalb die Arbeit den Titel „Schlupf“ trägt. Bei all der Fragilität und Schönheit des Insekts lässt sich allerdings auch ein Natural Takeover imaginieren, allein bei der Vorstellung von der enormen Wucht jener Libellenschwärme, wie es sie auch in Europa gibt.

 

Artikelbild: Mary Bauermeister, Rübezahl, 2020. Courtesy of Mary Bauermeister, exklusiv vertreten von Michael Rosenfeld Gallery © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020, Stiftung Skulpturenpark Köln 2020. Foto: Simon Vogel, Köln