freshtest 6.0

freshtest 6.0


Sabine Elsa Müller über freshtest 6.0 im Kunstverein Koelnberg, Köln, bis 27.9.20

Bei der mittlerweile 6. Auflage seiner freshtest-Ausstellungsreihe hat sich Friedhelm Falke, Initiator und in Köln ansässiger Maler, Verstärkung in Person des Kunsthistorikers Michael Schneider geholt. Der setzt auf Frischluftzufuhr durch Expansion und holt externe Künstlerinnen und Künstler hinzu, die gleichwohl in enger Verbindung zu Köln stehen. Und auch für die einzelnen Exponate lässt sich ein Drang zur Ausweitung der Grenzen feststellen. Das Thema Malerei, das bei der ersten Ausgabe 2015 noch ganz im Zentrum stand, steht zu einigen der 10 Positionen eher in einer lockeren Beziehung, insgesamt bestimmt es aber immer noch den Fokus der aktuellen Bestandsaufnahme.

Foto: Andreas Keil

Malerei kann mehr als Farbe auf Leinwand. Die Bandbreite der hier versammelten Modifikationen variiert zwischen einem 200 x 280 cm großen, kapitalen, aus Holzplatten zusammenmontierten Wandrelief von Rolf Rose und den lyrischen, so explosiv wie ephemeren Phosphorbildern von Thomas Wachholz. „Polytychon“ nennt Rolf Rose (geb. 1933, lebt in Berlin und Hamburg), der Grandseigneur der analytischen Malerei, sein vor- und zurückspringendes, sehr stark in den Raum hineinwirkendes Ensemble, das sich ebenso als Bildhauerei wie als Malerei lesen lässt. Die mit dem Rakel wulstig modulierte Farbmaterie in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau legt sich als überlagernde Komposition über die strengen Einzelformen und erhebt sie in der Summe in den Status einer sirrenden Farbsymphonie. Der Gegensatz zu einer Position wie die des jungen Kölner Malers Thomas Wachholz (geb. 1984), dessen mit Phosphor überzogene Trägerplatten lediglich zarte Schmauchspuren aus Ruß aufweisen, könnte größer kaum sein. Hier ist die Malaktion nicht von gezielten Entscheidungen gesteuert, sondern Ergebnis zufälliger Prozesse, die sich buchstäblich über das Anreiben von Streichhölzern an der Phosphoroberfläche entzünden. Nichtsdestotrotz entwickeln diese Prozesse eine Kraft und Lebendigkeit, die sich aus der Eigendynamik und Selbstaktivierung der Materie erklärt.

Foto: Andreas Keil

Die Position von Stephan Baumkötter (geb. 1958, lebt in Köln und Bremen) liegt zwischen diesen beiden Polen. Baumkötter, ebenfalls ein Vertreter der analytischen Malerei, arbeitet mit Ölstiften auf Leinwand, die sich in vielen Schichten und Übermalungen zu einem atmosphärischen Farbfeld verdichten. Die in einem schmalen, hochrechteckigen Porträtformat gehaltenen Gemälde bieten weder in Bezug auf Farbigkeit noch auf die latent vorhandene Zeichnung eindeutige Aussagen, spielen vielmehr Form und Farbe gegeneinander aus in dem Sinne, dass bei dem Versuch einer Fixierung jeweils das eine in das andere kippt. Sie intensivieren die Wahrnehmung für subtilste Differenzierungen und Zustände eines „Dazwischenseins“. Demgegenüber erweitert Andreas Keil (geb. 1970, lebt in Köln) die tiefenräumliche Suggestivkraft der Farbe durch die Einbeziehung des gesamten Malereikörpers. Statt rechtwinkliger Keilrahmen verwendet er gefundene, meist amorph geformte Holzfragmente oder kleine Täfelchen. Die kleinformatigen Arbeiten wirken wie kostbare Preziosen, bei denen Farbe und Materialität des gesamten Objekts ineinanderwirken.

Foto: Andreas Keil

Christiane Löhr (geb. 1965, lebt in Köln und Prato, Italien) ist für ihre filigranen, aus Samen und Blütenständen zusammengesetzten Skulpturen bekannt. Im Gegensatz zu diesen meist miniaturhaft kleinen Arbeiten können sich ihre Zeichnungen mitunter ins große Format ausweiten. Eine zwischen vegetativem Formenschatz und Abstraktion in feinster Spannung ausbalancierte Linienführung mit schwarzem Ölstift auf weißem Büttenpapier transportiert die fragile Organisation ihrer Skulpturen ebenso zauberhaft in die Fläche. Kontrastiert werden diese stark raumschaffenden Blätter mit einer 4-teiligen, pigmentgesättigten Leinwand von Rainer Gross (geb. 1951, lebt in New York und Köln), der auf ganz andere Art und Weise die Bildfläche ebenfalls in den Raum öffnet. Er reißt die Oberfläche regelrecht auf, indem er die pigmentbeschichteten Leinwände wie bei einem Sandwich zunächst aufeinanderlegt und dann wieder auseinandernimmt, so dass sich die Farben und Formen über die vier Leinwände wiederholen. Die schrundige und offene Oberfläche wirkt gleichzeitig sensibel und kraftvoll, aber vor allem auch bewegt wie eine musikalische Komposition.

Foto: Andreas Keil

Eine andere Paarbeziehung lässt sich zwischen den Arbeiten der Bildhauerinnen Johanna von Monkiewitsch und Christiane Rasch herstellen. Während Johanna von Monkiewitsch (geb. 1979, lebt in Köln) starke visuelle Phänomene auf der Basis nahezu entmaterialisierter Arbeiten erzielt, bei denen das Licht eine große Rolle spielt, greift Christiane Rasch (geb. 1971, lebt in Köln) auf sehr konkrete und im ersten Moment eher unspektakuläre Materialien zurück. Sie verwendet gerne Fundstücke, unterschiedlichst geformte und farbig gefasste Gegenstände aus Holz, Styropor, Metall, Kunststoff usw., deren formales Potential sie mit wenigen gezielten Eingriffen und Markierungen ans Tageslicht befördert. Bei dieser Art von subtil ausgeloteter Balance mit kleinsten Verschiebungen spielt die Präsentation naturgemäß eine große Rolle. Sockel und Acrylhaube bilden mit dem darunter präsentierten Fundstück eine Einheit. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Montage der großen Papierarbeit von Johanna von Monkiewitsch. Ihr „billboard“ klebt als große, von der Form her an einen Schatten erinnernde, bis zur Decke hochgezogene Plakatfläche direkt auf der Wand. Die für das verwendete Affichenpapier typischen, klebetechnisch bedingten Falten im Papier korrespondieren mit in der blauen Fläche fotografisch wiedergegebenen Falten und Falzen. Die Wahrnehmung ist von der Parallelität faktischer und illusionistisch erzeugter Störfaktoren auf ein und derselben Fläche komplett überfordert.

Das letzte Paar, Petra Weifenbach und Max Diel, eint wenn überhaupt die einzelgängerische Sonderstellung innerhalb der Ausstellung. Max Diel (geb. 1971, lebt in Berlin) arbeitet als Maler an der Schwelle zwischen Figuration und Abstraktion, Realität und Surrealität, Innen und Außen. Versatzstücke verschiedener Wirklichkeitsebenen greifen bei ihm in prägnanten Formen und kräftigen Farben ineinander und schaffen einen eigenen Raum, eine Vorstellungswelt außerhalb des Greifbaren. Einen so humorvollen wie poetischen, feinsinnigen Abschluss dieser gelungenen sechsten freshtest-Ausgabe liefert Petra Weifenbach (geb. 1961, lebt in Lütjenburg). Ihr in der hinteren, vom Hauptraum abgetrennten Koje eingerichtetes Environment kombiniert die aus 28 Fotoabzügen bestehende Arbeit „Mangel“ mit einem ebenfalls aus diesem Jahr stammenden, über einem Tisch ausgebreiteten Tischtuch, auf dem sie alle Arten von Flecken mit feinster Stickerei umrandet, verziert, in etwas Kostbares verwandelt. Entstanden sind die Flecken bei einem tatsächlich stattgefundenen Essen mit Freunden. Dass ein solches Festmahl in Zeiten von Corona nicht selbstverständlich ist und die Spuren jede Veredelung wert, davon zeugt die fotografische Arbeit „Mangel“: Hier handelt es sich um eine Sammlung von handbeschriebenen Schildern und Zetteln, auf denen Händler ihre Kunden darauf hinweisen, dass diese oder jene Ware wegen der Corona-Hamsterkäufe nicht vorhanden sei und eine Nachfrage sich erübrige. Das entsprechende Lebensmittel wird allerdings von Petra Weifenbach durch „Kunst“ ersetzt. Das liest sich dann z.B. so „Liebe Kunstsammler, zurzeit ist leider KEINE Kunst jeglicher Art zu verkaufen!“ Was wären das für Zeiten, in denen Kunst ähnliche Begehrlichkeiten wecken könnte wie Toilettenpapier!

Kunstverein Koelnberge.V.,Aachener Str. 66, 50674 Köln, bis 27.09.2020. Öffnungszeiten Mi – Sa. 14:00 – 18:00 und nach Vereinbarung unter Tel. 0173-5158734 und 0170-5444566.

 

Alle Fotos: Andreas Keil

© VG BILD-KUNST Bonn, 2020 für: Stephan Baumkötter, Christiane Löhr, Christiane Rasch, Thomas Wachholz, Petra Weifenbach