Die urbane Pose

Die urbane Pose



Wissen sie noch, wie sie vor 20 Jahren die Stadt, ihre Häuser, Straßen und Plätze wahrgenommen haben? – Sicher werden sie sich auch ein bisschen schämen, so naiv war einst der Blick. Doch die Arbeiten von Künstlern, die den städtischen Raum untersuchten, Rauminterventionen vornahmen und die alltägliche Erfahrung kritisch befragten, haben das in den vergangenen Jahren nachhaltig geändert.

Entsprechende Konzeptkunst hat den Blick auf die städtische Wirklichkeit geschärft, weil sie zum Beispiel, also, weil sie, ja weil sie eben … den städtischen Raum untersuchte, Rauminterventionen vornahm und die alltägliche Erfahrung kritisch befragte.

Die thematisch entsprechende Ankündigung der aktuellen Ausstellung im Bonner Kunstverein entdeckte ich nach einem samstäglichen Spaziergang durch einen der weniger frequentierten Stadtteile Kölns. In dieser Ankündigung heißt es wortwörtlich über die Künstlerin:

»Es ist [Marte] Eknæs zentrales Interesse, mit ihren Arbeiten zu untersuchen, wie der städtische Raum, in dem wir leben, konstruiert ist, und wie wir diesen wahrnehmen und erfahren. Wie zum Beispiel suggerieren öffentliche und unternehmerische Gebäude (etwa der Bonner Post Tower oder das Stadthaus) potentielle Einschreibungen von Repräsentanz, Ideologie und Hierarchie oder Nicht-Hierarchie innerhalb unseres sozialen Systems? Welche Versprechungen von Funktionalität und Integrität implizieren Materialien, Oberflächen und spezifische Konstruktionen, und wann sabotieren sie unsere Wahrnehmung, verführen uns, an Bilder und Konzepte zu glauben, die sie vermeintlich transportieren?

Sich vorgefertigter und industriell hergestellter Materialien bedienend, verdichtet Eknæs Referenzen aus dem urbanen Umfeld zu einer konzentrierten Sprache von Form und kritischer Hinterfragung. Was bleibt sind autonome Skulpturen und Zeichnungen, die sich gänzlich von den Quellen ihrer Untersuchung zu lösen vermögen.«

Was ich dann im Net sehe, sind Arbeiten im Stil der Zeit. Risszeichnungen werden zitiert oder übernommen, feine, grafische Linien auf verschiedene Materialien übertragen. Anderswo baut die Künstlerin aus dünnem Metallrohr offene, geometrische Skulpturen, dann wieder gruppiert sie Scheiben aus verschiedenartigem Glas parallel voreinander, eine der Scheiben hat ein eingraviertes Art-Deco Ornament. All diese Werke wirken sehr schick und up to date. Man mag es der Dummheit des Rezensenten zuschreiben, aber ich erfahre in diesen Arbeiten nichts über Konstruktionen städtischer Räume, über Einschreibungen von Repräsentanz über Fragen an Ideologie, Hierarchie und den Stadtraum. Sicher, ich könnte all dies in diese Werke einschreiben aber wem würde es etwas nützen?

Ich mag damit der Künstlerin nicht unrecht tun, die Arbeiten haben ihren Charme, doch nach mittlerweile unzähligen konzeptuellen Werken über die Stadt, den Raum und die Einschreibungen sowie die Repräsentationen all dieser Dinge, mag ich kaum eine Veränderung feststellen. Was haben mir diese Werke über ihr Thema beigebracht? …

Mike Davis Buch City of Quartz hat mir dem hingegen sehr viel über Urbanität erzählt und auch in der Galeriekunst gibt es solche Momente, etwa in den stadtsoziologischen Arbeiten von Stephen Willats, den kommunalen Projekten Duke Rileys oder in den Aktionen Merlin Bauers. Doch diese Werke fragen, was Kunst ihrem gewählten Thema hinzufügen kann. Während anderswo allzuoft der Eindruck dominiert, daß es eines Themas bedarf um Objekte als Kunst zu klassifizieren. Sie könnten ja auch Raumtrenner sein oder raumschmückendes Design. Es würde diese Objekte nicht abwerten, außer in finanzieller und vielleicht auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Kunst hat weiterhin einen besonderen Status, diesen gilt es hervorzuheben. So benötigt das Gesellschaftsspiel Kunst eben ein Thema, welches mittels ein paar sloganhaft benutzter Kernbegriffe eine Bedeutsamkeit konstruiert. Dabei wird in den Texten stets nur behauptet und die Überprüfung dem Betrachter der Werke überlassen und wenn dieser die Bedeutung nicht bemerkt oder versteht, so liegt es eben an seiner Dummheit. Ein einfaches Spiel mit kleinem Einsatz. Wenn zudem die interpretative Ebene möglichst offen gestaltet ist, entsteht auch nicht der Eindruck von angespannter Bevormundung durch ein Kunstwerk. Willats tatsächlich oft sehr komplexe Arbeiten entkommen diesem Eindruck dank ihrer feinen Ausgestaltung. Ihre Farben, Linien, Fotos, lassen auch eine rein ästhetische Leseweise zu, aber eigentlich fordern sie auch einige Minuten konzentrierter Auseinandersetzung, wobei sie eine ausformulierte These anbieten oder einen bestimmten Prozess darstellen.

Unter der Überschrift The Bullshit Artists schrieb Leon Neyfakh am 6.4. im New York Observer:

»Perhaps the issue is that the threshold for what qualifies as an idea in the art world is just too low. How else to explain Antony Gormley telling The New York Times recently that his public art project, currently on view around the Flatiron district, ›has to do with questioning both the status of art and the nature of our built environment ‹?«

– tatsächlich finden sich die selbe Sprache, die selben waghalsigen Floskeln und die selben, der Kunst zugeschriebenen Leistungen in Ausstellungen oder besser Ausstellungstexten weltweit.

An anderer Stelle in seinem Artikel zitiert Neyfakh Robert Storr, den Dekan der Yale School of Art:

»There was a time when some serious thought that later got reduced to catchphrases nonetheless was serious, and nonetheless did convey something about the art. The turning of ideas into pitches, so to speak, was at the cost of ideas. We lost some good ideas because they got turned into spiels.«

– Doch vielleicht ist dies auch der Gang der Dinge, Ideen sind ab einer bestimmten Stelle aufgebraucht und eine Sprache des Dagegen wird innerhalb weniger Jahre zum Jargon. Aus diesem, zumeist in der französischen Theorie fußenden, Jargon lassen sich auch weiterhin leerlaufende Phrasen generieren. Sie sind bedeutsam, um einem Objekt einen Status zukommen zu lassen, das ist heute ihr trauriger Sinn und Zweck.

Es war der zu Beginn des Textes erwähnte, samstägliche Spaziergang, der mich in Wilhelm Riphans Weisse Stadt in Köln Buchforst führte und dort daran erinnerte, wie Interventionen im Stadtraum tatsächlich aussehen können.

 

Dank ihres Denkmalstatus‘ ist die Siedlung in einem relativ guten Zustand, bedenkt man, daß sie in einem Stadtteil steht, in den kulturinteressierte Großstädter und urbane Hipster kaum einen Fuß setzen und Lebensqualität einfordern. Hier könnte Arbeit ansetzen: Wege beschreiben, Bewegungen nachvollziehen, Bewertungen von Orten untersuchen, aber genauso auch diejenigen befragen, die heute in erstklassiger Designerwohnlage leben, ohne damit anzugeben.

 

Vielleicht dauern aber derartige Projekte zu lang, vielleicht kann Kunst der Soziologie tatsächlich nichts hinzufügen (was ich jedoch sehr bezweifeln mag!) und vielleicht versprechen die resultierenden Kunstwerke keinen guten Erfolg am Markt. Aber immerhin gäben sie Anlass zu einer Beschäftigung mit städtischen Räumen. Vielleicht würden sie auch das wir aus dem Text zu Eknæs Ausstellung in Frage stellen, welches jene sozialen und territorialen Grenzen ignoriert, die eine Stadt in unterschiedlichste Lebenswelten dividiert. Auch wenn hier glücklicherweise Köln ist und nicht Rio de Janeiro.