Volker Saul

Volker Saul


Sabine Elsa Müller über „Shapes – Work in Progress“ im Leopold-Hoesch-Museum, Düren, bis 22.11.2015

Es braucht nicht viel – ein bisschen in die Länge ziehen, dann ein leichter Drall nach unten, während sich die Spitze sanft himmelwärts bewegt. Und schon haben wir eine völlig andere Form und einen anderen Charakter. Die Rede ist von einer Nase, aus dem Gesicht geschnitten, um ähnlich wie in Nikolaj Gogols berühmter Posse ihre eigenen Wege zu gehen. Nur dass sie sich dabei in einem fort verformt, so dass selbst Gogols Barbier nicht mehr hätte zu sagen vermögen, welchem rechtmäßigen Besitzer sie nun eigentlich zuzuordnen sei.

_MG_1413-0741

„Headhunters“, Acryl auf geschnittenem Papier

Bei Volker Saul machen sich nicht nur Nasen, sondern Formen aller Art selbständig. Sie schwellen an, kratzbuckeln oder bilden in die eine oder andere Richtung Ausbuchtungen, als ob eine geheime Kraft an ihnen zerrt. Alles ist in Bewegung. Selbst den leuchtend roten Nasen, die sich gegen den gelben Wandanstrich wie eine Abfolge von Einzelzeichnungen eines Animationsfilms absetzen, begegnen wir in einer anderen Ecke der Ausstellung unvermutet wieder. Jetzt schweben sie allerdings in Gelb vor einer grauen Wand, bzw. hängen genauer gesagt an einem dünnen Faden von der Decke, Nase aus Nase, als ob sich aus einem heraussickernden Tröpfchen gleich wieder eine neue Nase bildet und so fort. Auch hier wirkt der Aufbau der Arbeit wie eine filmische Abfolge. Die einzelnen Elemente sind hier wie dort ganz Kontur, ausgeschnitten aus einer Aluminiumplatte und mit Lackfarbe bemalt. Sie erobern den Raum nicht als plastische Volumen, sondern durch ihre potenzielle Beweglichkeit. Der kleine Abstand von der Wand, das Schweben und sich Drehen am langen Faden: all das suggeriert eine Loslösung von der Fläche.

Haengende, Acryllack auf Aluminium,

links: „Hängende“, Lack auf Aluminium, ca. 190 x 45 x 0,3 cm, 2015, Leopold Hoesch Museum Düren, Foto: Peter Hinschläger

Der Ausstellungstitel „Shapes – Work in Progress“ kommt unscheinbar daher, meint es aber genauso: Wir erleben eine geradezu spektakuläre Inszenierung des Kunstwerks und seiner Präsentation als Ausdruck eines nie abgeschlossenen, einem unentwegten Fließen und Wandel folgenden sinnlichen Denkens. Volker Saul, 1955 in Düren geboren, gelingt mit dieser so klugen wie heiteren Präsentation von Arbeiten vorwiegend aus den letzten beiden Jahren nicht nur eine stimmige Choreografie, die den Besucher in die Welt dieses Denkens förmlich hineinzieht. Auch während der mehr als fünf Monate währenden Laufzeit gibt es keinen Stillstand. Aus dem Angebot des Ausgangsmaterials entwickeln sich neue Formen, so wie die Wandmalerei „Paris/Texas“, die sich erst vor kurzem über dieselbe Wand gelegt hat, die in dieser Ausstellung bisher den Filmen allein vorbehalten war. Eben aus diesen drei Filmen „Auftritt“, „Abgefahren“ und „naseweis“, stammen die Einzelelemente der Wandmalerei. Der Screen mit den Film-Loops erhält durch die implantierte Einbindung eine weitere Bezugsebene und wirkt an dieser Stelle noch zwangsläufiger als zuvor, obwohl die Situation auch da schon durchaus stimmig erschien.

Die Kurzfilme von sechs- oder sieben-minütiger Länge gehen wie im Grunde das gesamte Formenvokabular der Ausstellung auf ein profundes Konvolut an Zeichnungen zurück.

Paris_Texas

links: „Paris/Texas“, Screen mit 3 Filmen auf Wandmalerei, 450 x 720 cm, 2015, Leopold Hoesch Museum Düren, Foto: Peter Hinschläger

Gezeigt werden davon 14 mit Tuschemarker auf DIN A4-Karton gezeichnete Studien als kleine Auswahl aus einem intensiven, auf die inneren Bilder gerichteten Arbeitsprozess. Die Formen, die hier zu Tage kommen, sind bei ihrem ganzen Reichtum an Variationen immer nur aus der einfachen Umrisslinie heraus entwickelt, schwarz auf weißem Grund. Sie sind dinghaft, körperlich und narrativ, ohne etwas Konkretes zu bezeichnen. Mal sind es isoliert auf dem Blatt stehende Einzelformen, mal lockere Verbände, die sich zu komplexen Szenarien mit ausgesprochen räumlicher Wirkung verdichten. Gelegentlich taucht so etwas wie eine Horizontlinie auf, die Innenräume oder Landschaftliches evoziert. Die an den Comic angelehnte Stilistik macht sich sowohl dessen Vermögen filmische Bewegtheit zu evozieren, als auch seinen Witz und subversiven Humor zu nutze.

RENKER 3

„chain reaction“, Tusche auf Karton, 29,2 x 21 cm, 2013, aus der Serie „between the lines“

Das Oszillieren der Formen zwischen Körperlich-Organischem, Pflanzlichem und Technoidem erinnert manchmal an futuristische Bildergeschichten voller seltsamer Deformationen zwischen Apparatur und Prothese. Volker Sauls zeichnerische Geste ist aus der Schrift heraus entstanden, mit der er sich in früheren Arbeiten stark auseinandergesetzt hat. Dieser Bezug ist inzwischen kaum noch von Bedeutung, die erzählerisch-anthropomorphe Konnotation schlägt sich jetzt direkter nieder – man denke an das Motiv der Nase oder die „Headhunters“, einen Block mit augenzwinkernd-monströsen Kopf-Mutationen.

5

Vorne: 10 Arbeiten, Acryl auf geschnittenem Aluminium, 2012 – 2013, hinten: Lack auf Aluminium auf bemalter Wand

Saul isoliert aus seinen zeichnerischen Studien einzelne Fragmente und bildet daraus typologische Reihen, die in unterschiedlichen Materialien und Techniken weiterentwickelt werden. Als Papier- oder Aluminiumschnitt befreit sich die Zeichnung aus der Bindung an die Fläche zugunsten einer intensivierten Spannung zwischen Positiv- und Negativform. Schattenwirkungen sorgen für zusätzliche Vibrationen. Die buntfarbene Chromatik verschärft den Grad der Abstraktion und macht aus den Schnitten eine biomorphe Version von „specific objects“. Als Wandmalerei schließlich wirkt die großflächig aufgetragene kräftige Farbigkeit mit ihren starken Kontrasten wie ein riesiger Screen, der in den Raum strahlt. Ganz aktuell ist die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Jazzpianisten Richie Beirach, der mit seinen Improvisationen Volker Sauls Zeichnungen in eine musikalische Dimension überträgt. Die elegischen Klänge mischen sich sehr dezent in die Wahrnehmung und bilden ein zusätzliches Beziehungsgeflecht zwischen den Werken der Ausstellung.


tags: , , ,