Tim Berresheim

Tim Berresheim


Sabine Elsa Müller über Tim Berresheim „Auge und Welt“ im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, bis 11.1.15

Tim Berresheim hat Räume im Griff. Derzeit nutzt der 1975 geborene Aachener die unterkühlte Atmosphäre des Düsseldorfer Kunstvereins, um hier eine aus der Wirklichkeit extrahierte digitale Landschaft einzurichten. Auf dem Fond eines über sämtliche Wände wie eine Tapete gezogenen Rasters wechseln große gerahmte Tableaus mit einzelnen, wie zufällig in den Raum gewehten Bildschnipseln und Piktogrammen. Dazu gehören figurativ sich zusammenballende Formationen aus Steinen, Kalender- oder Cannabisblättern, die sich im Raum mäandernd bewegen und in wilde Strudel auflösen.

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„Auge und Welt“ lautet der provokante Titel dieser Ausstellung, setzt er doch die subjektive Perspektive der eigenen Wahrnehmung einer in welcher Form auch immer vermittelten Welt gegenüber, als ob sich diese beiden Bereiche tatsächlich voneinander trennen ließen. Berresheim scheint auf diese Dualität abzuzielen, wenn er seine digital geformten und deformierten, übernatürlich scharf ausbelichteten und hochaufgelösten Bilder mit handwerklich oder wie man heute gerne sagt, „händisch“ erstellten Ausdrucksformen verbindet. Auf solch verfeinerten und auf höchstem technischen Standard operierenden Niveau entpuppt sich eine solche Synthese als explosive Mischung. Nicht nur die Anteile an Formen von Malerei und Zeichnung, die sich aus Körpermalerei, Graffiti, Comic und Werbegrafik ableiten lassen, auch die warme Holzfarbe der Bühnenarchitektur bis hin zu den Vitrinen mit ihren betont „handmade“ gestalteten Schaustücken aus der Platten- und Merchandising-Produktpalette des hauseigenen Labels „Studios New America“ sorgen für ein krudes Gegengewicht zur digitalen Glätte auf die Spitze getriebener Computerästhetik.

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Solche in einer Mixtur aus farbenfroher Malerei und zarter Linienführung gestaltete Oberflächen zeichnet auch die in den Tafelbildern exponierten Personen aus. Nackt und vollkommen haarlos, wirken sie wie Avatare des ersten Menschenpaares, Adam und Eva. Die strenge Symmetrie ihrer Positionierung im Raum unterstreicht die herausragende Stellung dieser neuen, in Computertechnik generierten Tafelmalerei innerhalb der gesamten Inszenierung. Erscheinen die Protagonisten auch durch ihre „unnatürliche“ Oberflächengestaltung und die gespreizte, teilweise manipulierte Haltung überdreht und künstlich, rufen sie doch fast zwangsläufig die lange Geschichte der kunsthistorischen Konvention wach, beispielsweise im Typus der sich lagernden Venus oder in der steifen formellen Repräsentation aus der Zeit des Manierismus oder Barock. Ausgestattet mit eigenartigen Attributen – aus dem Nichts herabstürzenden Kaskaden aus bunten Fäden oder Haaren, mit Stacheldraht bewehrte Barrikade oder eine offenbar leer getrunkenen Weinflasche – erscheinen sie wie computergenerierte Allegorien aus der Zukunft.

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Zweifellos findet Tim Berresheims künstlerisches Oeuvre, das er seit 2003, dem Jahr seiner ersten Einzelausstellung bei Hammelehle und Ahrens in Köln, explizit als zusammenhängendes Projekt begreift, hier zu einem vorläufigen Höhepunkt. Aus diesem Jahr stammt „The Muse“, ein Computerbild in den ausgreifenden Maßen 250 x 400 cm, das die Tradition abendländischer Historienmalerei in ein zeitgmäßes Medium übersetzt. Im Mittelpunkt stehen zwei männliche Figuren: links eine mit Pinsel und Palette ausgestattete Person, die an Berresheim erinnert und auf die zweite Person rechts deutet, offenbar seine „Muse“, die wiederum große Ähnlichkeit mit Jonathan Meese aufweist, mit dem Berresheim in dieser Zeit häufig kooperierte. Schon in diesem frühen Hauptwerk festigen sich die Bildelemente, die bis heute bezeichnend sind für Berresheim: Die Raumgestaltung als tiefenräumlich gedachte Bühne, die hyperreale Präsenz und das afformative Agieren der Protagonisten mit ihren Attributen sowie die sinnliche Präzision der Oberflächen. Aber noch bleibt „The Muse“ – diese programmatische Arbeit zum Thema Malerei – selbst von Malerei frei.

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Erst ein Jahr später wird Malerei in die computergenerierten Bilder eingefügt. Einzelne gemalte Details werden fotografiert und digital in das Bild integriert. Berresheim zeigt die großformatigen „Obey“-Bilder 2004 zusammen mit sieben kleinformatigen Prints im Berliner Ausstellungsraum „Autocenter“ in der Ausstellung „White Boy“, die er mit Michael Bauer und Stefanie Popp bestreitet. Mit Michael Bauer eröffnete er 2002 in Köln den Projektraum „Brotherslasher“ zeitgleich mit dem Erscheinen seiner ersten Platte. Eingespielt wurde die Schallplatte zusammen mit Jonathan Meese unter dem Projektnamen „Die Ahabs“. Tim Berresheim tummelt sich auf unterschiedlichen Betätigungsfeldern. Er ist (Mit-)Betreiber verschiedener Projekträume wie des „Institut für Betrachtung“ in Köln und Aachen und bringt seine musikalischen Projekte bei seinem eigenen Label „Studios New Amerika“ heraus. Dafür und im Rahmen weiterer kuratorischer Tätigkeiten und Kollaborationen gestaltet er unzählige Plattencover, Flyer, Kataloge und diverse Merchandising-Produkte wie Taschen oder T-Shirts.

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So breit die motivische und kompositorische Vielfalt in dieser weitläufigen Ausstellung angelegt sein mag – als Resumée einer zehnjährigen Auseinandersetzung mit der Frage, wie Malerei im Zuge ihrer Mediatisierung durch Digitalität, Computing und Netzkultur heute aussehen kann, ist „Auge und Welt“ tatsächlich das Ergebnis eines höchst bewussten, analytischen Entwicklungsprozesses. Motive der Ent- und Beschleunigung, des Unterwegs-Seins, der Heimatlosigkeit oder Entwurzelung wechseln mit banalen Dingen des täglichen Lebens wie Käse, Wurst, Eier; daneben tauchen Buchstaben auf oder ein ratloser Halbsatz wie „How to“. Die Blätter und Stauden der Cannabispflanze gehören als Hinweis auf die irrationale Struktur dieser bunten Welt zu einem der am häufigsten wiederkehrenden Elemente. Aber dazwischen finden sich immer wieder emotionale, wenn auch am Computer generierte Kommentare zur Malerei: In der Reihe der „Katarakte“ wird Farbe in explodierenden Kaskaden versprüht, und unter dem Titel „Vier Augen sehen mehr als zwei“ lösen sich glitzernde Partikel als mysteriöse malerische Farbwolken aus der Dunkelheit des Hintergrunds. Tim Berresheim setzt die Computertechnik ein wie die Alten Meister die Ölmalerei: Ihre Bildsprache entwickelt sich nicht allein aus deren hochartifizieller Kunstfertigkeit, sondern aus dem Spannungsfeld zwischen zeitgemäßer Technik und der Befragung der eigenen Wirklichkeit.

Eine Version dieses Artikels finden Sie auch in der neuen Ausgabe von artist.


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