Am Morgen nach dem Feste

Am Morgen nach dem Feste


Christina Irrgang über Alex Wissel „Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat“ in der Galerie Nagel Draxler, München, bis 6.9.

Dieser Raum mit Girlande, sich kräuselnder Deutschland-Flaggen-Luftschlange und Bierglas-Imitat auf dem Fensterbrett stellt sich vom Bürgersteig aus gesehen als Schaukasten dar und eröffnet eine Art Bühne. Oder so: Die Bühne ist die aktuelle Ausstellung von Alex Wissel in der Galerie Nagel Draxler in der Münchner Türkenstraße – ein raffiniert-dramaturgisches Setting, das sich unter dem Titel „Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat“ präsentiert und das mich nicht bloß als eine Schauende mit ästhetischem Wohlgefallen – im Kant’schen Sinne – in sich aufnimmt, sondern als Akteurin in der Rolle einer reflektierend-handelnden Bürgerin gezielt vorsieht. Die Adressierung besteht zunächst subtil inmitten einer geordneten Hängung, wenngleich der Titel der Ausstellung wie die Inschrift eines Architraven in fein säuberlich gemalten Buchstaben und begleitet vom Wappen, das dem Freistaat Bayern nachempfunden ist, direkt zu Beginn den Blick auf einen tragenden Balken des Raumes richten lässt und recht deutlich auf den Aktionsraum verweist, der sich mit jedem Schritt mehr entfaltet.

Finanzen, Heimat, Freiheit sind Schlagworte und Sujet in Wissels Malereien, Zeichnungen und Objekten, die in dieser Ausstellung aus differenzierten Bezugnahmen als wankende Währungen oder „Marken“ diskutiert werden. Dabei erfüllen die primär für dieses Setting produzierten Arbeiten keine ästhetischen Kategorien. Material, Textur und Bildgegenstand referieren vielmehr auf gesellschaftliche und sozialpolitische Abläufe, Funktionen und Handhabungen, denen eine gewisse „grobschlächtige“ Kulturpropaganda inhärent ist. Ausradieren, Überblenden, Verkleben, Abreißen, Stapeln, Umkehren, Kopieren, Auftragen: Wissel zeigt bildhaft gesprochen die Seite der Medaille, die durch Prozesse des Ausschmückens (kultur-)politische Machträume fördert und eine Traditionsbildung anregt sowie vertieft, die auf Fiktionalisierung basiert.

Die kritische Auseinandersetzung mit Bräuchen oder „inter(n)sozialen“ Praktiken zur Identitätserzeugung ist ein Ansatz, den der 1983 in Aschaffenburg geborene und in Düsseldorf lebende Künstler Alex Wissel seit einigen Jahren in diversen künstlerischen und gesellschaftsorientierten Formaten untersucht und diskursiv verhandelt. Wissel schreibt, zeichnet, malt, bildet heraus, interagiert, stellt in filmischen Kooperationen mit zum Beispiel dem Regisseur Jan Bonny dar und gestaltet selbst Bühnenbilder fürs Theater. Dabei referiert er immer wieder auf die Aneignung von Kulturgeschichte, ihr abbildhaftes Zelebrieren sowie damit einhergehend die gezielte Herausbildung politisierter und polarisierender Meinungen.

In der Galerie Nagel Draxler in München umfasst Alex Wissel mit seinen narrativen Setzungen, die „Heimat als monetäre Kulturpraktik und Währung auf der politischen Bühne“ (Wissel) umkreisen, auf intertextuelle Weise Facetten der Identitätsperformance. Er geht hierbei – beginnend mit der Einladungspostkarte – (motivisch) von der Appropriation in der Selbstdarstellung des Markus Söder zum Frankenfasching aus. Wählte Söder 2012 als bayerischer Finanzminister und im Kontext der griechischen Staatsschuldenkrise das medienwirksame Punker-Kostüm mit T-Shirt-Aufdruck „Hast du mal nen EURO“, folgten in den Jahren 2014 bis 2018 in seiner zusätzlichen Funktion als Heimatminister Bayerns Adaptionen von Ludwig III. (Prinzregent und letzter König von Bayern), Shrek („der tollkühne Held“), Edmund Stoiber, Homer Simpson oder Mohandas Karamchand Gandhi, die Wissel auf verschiedene Bildgründe gezeichnet und in Kombination mit Text assembliert hat. Dabei wird wie in dem Bild „Frankenfasching Söder/Gandhi“ (2021) nicht nur Söders Maskeradenbildung (durch einen Helfenden) herausgestellt. Anhand der Wahl von zum Beispiel Raufasertapete, fein geprägter blau-weißer Biergartentischdecke oder fluoreszierendem Karton in dem Bild „Neustart Kultur“ (2021), schiebt sich materialbedingt der Begriff des Erhabenen ins Auge, der zugleich den plakativ gesetzten Werbeslogan durch die Ausdifferenzierung der Bildelemente und in Hinblick auf die Lesart der dargestellten Figuren dekonstruiert: EU, STAR, ART, KULT, UR.

Mittels visuell-anekdotenhafter Referenz auf die als legendär überlieferten Münchner Künstlerfeste des 19. Jahrhunderts, wie in dem Bild „Am Morgen nach der Wiederholung des Albrecht Dürerfest 1840, nach Eugen Neureuther“ (2021), stellt Alex Wissel die traditionsbildende Rolle der Künste für das Land Bayern zur Schau, im Zuge derer auch im Nationalsozialismus die Stadt München als Hauptstadt der Künste beworben und inszeniert worden ist. Wissels Wiederholung der Neureuther’schen Zeichnung zeigt in ihrer Erweiterung ein mit Wurst-Voluten verziertes Bild des Künstlers zwischen Edelweiß-Schlapphut-Krönung, rhizomatischer Verwurzelung, Schutzbefohlenem und in sich gebrochenem Garanten nationaler Geschichtsschreibung. Der (eigentlichen) Prekarisierung des Künstlers begegnet Wissel mit der Silhouette einer Weste, die als Raufaser-Haut vom Bildgrund zum Teil abgerissen worden und freigestellt ist. Die Formgebung der Weste als Grund und Körper des Bildes wird von Wissel im Rahmen dieser Ausstellung mehrfach wiederholt, mitunter durch angedeutete Hosenträger oder reflektierende Kunststoffe fortgeführt. So, wie der Verweis auf die gelbe Warnweste als ein Synonym für Radikalisierungsprozesse und Populismus gelesen werden kann, formulieren in dem Bild „Land der Ideen“ (2021) Elemente wie Blumen, Euro, das Gebot der Abstandshaltung sowie das Logo „ZDF“ und „Hitlers Helfer II“ eine Melange aus verknappter mono-maskuliner Geschichtsschreibung, Aussöhnung, Anleihe, (Aus-)Zeichnung und allgemeiner Förderung etablierter Strukturen in einem gedeihenden deutschen Blütenmeer.

Der Weg entlang dieser Bilder, die zueinander ein dicht verwobenes Referenzsystem erzeugen, führt vorbei am „Speibecken“ (2019) – eine Installation, die Alex Wissel bereits wiederholt in seine Ausstellungen integriert hat – hinein in einen schmalen Raum, der „Rechnung“ trägt. Oder, der in letzter Instanz eine Abrechnung vom (persönlichen) Ausdeuten demokratischer Prozesse verlangt. Die Motive der Zeichnungen auf Mahnbriefen zu unausgeglichenen Rechnungen der GEZ, die Alexander Wissel im Rahmen eines Lebensaufenthaltes in München vom Bayerischen Rundfunk erhielt, bilden eine Allianz zu abgebissenen Würstchen auf bajuwarischem Pappteller und Leberwurstbrot mit krauser Petersilie. Links oben, über einer verschlossenen grauen Tür, ragt – mahnend – Bavarias Arm als Pappmaché-Attrappe aus der Decke. Der Unterarm der Patronin ist gesäumt von Wurstimitaten, getüncht in die Nuancen eines Hellen, ihre Ikonografie getrübt, der Siegeskranz ist ein Ring aus blankem Zeitungspapier: Berichtetes, Überliefertes, verklebt und verborgen. Sie übergibt eine Botschaft, nicht zuletzt das Hand-in-Hand von nationaler Identität und Geschichtsschreibung, ein anhaltender Kreislauf, m it ausgenüchtertem Blick zu überdenken. Dabei offeriert „Bavaria“, sich (diese) Kunst nicht einfach nur einzuverleiben, sondern durch die von Alex Wissel hier eingerichteten Handreichungen tatsächlich selbst in aktives Handeln überzugehen – und, mir persönlich, das laufende Kunst- und Gesellschaftssystem einmal mehr zu hinterfragen.

 

Alles Fotos: 

Courtesy: Alex Wissel & Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln/München

Fotograf: Ulrich Gebert

tags: , , ,