Marianna Christofides

Marianna Christofides


Sabine Elsa Müller über die KHM Absolventin Marianna Christofides (*1980 in Nikosia), die Zypern mit Installationen und Videoarbeiten auf der 54. Biennale von Venedig vertritt.


Der Film „Staubpfade“ von Marianna Christofides – eine berührende Reflexion über das Leben ihres Vaters, die Bedeutung von Geschichte und ihre Heimat Zypern – war herausragende Position beim KHM Rundgang 2009. Um so erfreulicher die Nachricht, dass es die in Köln lebende Künstlerin in diesem Jahr nach Venedig geschafft hat.

Die brandneue 2-Kanal Videoarbeit „Stereoscapes #2“ entstand in Köln. Sie zeigt das Einbrechen der Nacht vor der Kulisse des Kölner Stadtwalds als eindrucksvolles Schauspiel in leicht zeitversetzter Doppelung. Eine bewegunglose, wie mit angehaltenem Atem verharrende Kameraeinstellung, ein starrer Blick von großer Höhe mitten durch ein Gewirr schneebeladener Zweige und Äste in die rötlich glimmende, unwirklich verfärbte Dämmerung. Im unmittelbaren Vergleich treten die minimalen Veränderungen mit dramatischer Deutlichkeit hervor: Das Wegsacken des Tiefenraums. Der Schrecken plötzlich aufleuchtender Lichtkegel aus Fenstern oder von Scheinwerfern unsichtbarer Autos. Die überraschenden Tönungen des Himmels über der Stadt. Das allabendliche Schauspiel der Verwandlung einer vertrauten Umgebung in eine wattige Uneindeutigkeit gerät in dem 29minütigen Loop zu einem Lehrstück über die Wahrnehmung. Marianna Christofides hat die Arbeit eigens für Venedig konzipiert. Zusammen mit einer zweiten Künstlerin, Elizabeth Hoak-Doering, wurde sie in diesem Jahr ausgewählt, ihr Heimatland Zypern auf der Biennale zu repräsentieren. Jetzt ist die verschneite Parklandschaft Teil einer zyprischen Installation im venezianischen Palazzo Malipiero, in dem die aus Köln importierten Verkehrsgeräusche der Tonspur fast gespenstischer wirken als die winterliche Szenerie. Aber gerade diese traumwandlerische Inszenierungskunst, Ereignisse und Dinge alltäglicher Art in eine theaterhafte Parallelwelt zu entrücken, in der sie eben jene Alltäglichkeit überwinden, ist die besondere Stärke von Marianna Christofides.

1980 in der zyprischen Hauptstadt Nikosia geboren und dort aufgewachsen, studierte sie zunächst in Athen Malerei, bevor sie an der Londoner Slade School zur Medienkunst wechselte und schließlich nach Köln kam, um ihr Studium an der KHM unter Matthias Müller und Marcel Odenbach zu vervollständigen. Ihre frühen Arbeiten drehen sich stark um die eigene Biographie. Die Erfahrung in einer geteilten Stadt und einem geteilten Land aufgewachsen zu sein, bildet den Hintergrund für den thematischen Schwerpunkt ihrer medienübergreifenden Auseinandersetzung, die Frage der Identität. Nikosia, seit der Invasion der türkischen Streitkräfte von 1974 durch die sogenannte „Green Line“ in einen türkischen und einen griechischen Bereich geteilt, ist auch der Ort der Handlung ihrer Diplomarbeit „Dies Solis“. Über den Zeitraum eines Jahres hat sie aus Indien, Sri Lanka, Vietnam und den Philippinen stammende Migrantinnen beobachtet, die als Haushaltshilfen der wohlhabenden griechischen Familien unter der Woche im Stadtbild kaum wahrnehmbar sind, aber an den Sonntagen die Parks und öffentlichen Plätze Nikosias mit ihren farbenprächtigen Saris und bunt geschmücktem Zeremoniengerät in glanzvolle Orte unbeschwerter Festlichkeit verwandeln. Die in der Stadt allgegenwärtigen Stacheldrahtabriegelungen, die aufgetürmten Barrieren rücken in den Hintergrund.

Als Biennalebeitrag ließen sich diese dokumentarischen, gleichwohl hochästhetischen Bilder möglicherweise allzuleicht vereinnahmen, zu sehr ähnelt das bezaubernde Licht Nikosias dem der Lagunenstadt. Statt dessen zeigt Christofides eine Weiterentwicklung ihrer Arbeit „Blank Mappings“, die schon anlässlich ihres Friedrich-Vordemberge-Stipendiums 2010 im Kölner Stapelhaus zu sehen war. Hier wird die Frage der territorialen Besetzung verdeutlicht am Stadtplan von Nikosia, der mithilfe der Lasertechnik in ein durchscheinendes, an Blindenschrift erinnerndes Relief übersetzt wird. Lebensraum macht sich am kartographischen Modell begreifbar. Seit langem beschäftigt sich Christofides mit der Wiedergabe der räumlichen, sozialen und politischen Gegebenheiten auf Stadtplänen und Landkarten sowie ihrer spielerischen Unterart, der Postkarte. In den „Flyaway Inlays“ bezieht sie sich auf die sogenannten „Flyaway Islands“ – Phantominseln, die auf den ersten Karten des 16. und 17. Jahrhunderts auftauchten und sich später als nicht existent herausstellten. Ähnlich irritierend sind die Zusammenstellungen mehrerer Orte in Mappenwerken aus der Kolonialzeit, z.B. wenn sich Zypern mit Hongkong und der arktischen Insel Wrangel unter Mißachtung jeder Logik eine Seite eines Atlasses von 1914 teilt.

Die Recherche in den Archiven der frühen Dokumentationen, deren Blickfeld von kolonialistischen Überlegenheitsphantasien wie der Exotik des Fremden gleichermaßen verengt wurde, zielt auf die Mechanismen des Mediums selbst. Marianna Christofides´ poetische Bedeutungsverschiebungen reflektieren die Bedingungen der Wahrnehmung mit den Mitteln des Films, der Fotografie, der Installation und nicht zuletzt der Sprache. Zu einem weiteren Biennalebeitrag, „Stereoscapes #1“, ist ein sehr sorgfältig gestalteter schmaler Band mit eigenen Fotografien und zwei Texten erschienen, die in ihrer diskursiven Dichte zwischen Analyse und subjektiver Gedankenentwicklung an den Kommentar aus Chris Markers berühmtem Film „Sans Soleil“ heranreichen.