Schloss Ringenberg
Den Kraken bändigen – Andreas Richartz zu Besuch auf Schloss Ringenberg, Hamminkeln
Die Kunstwelt hat scharfe Zähne. Das wissen Gudrun Bott und Marcus Lütkemeyer, künstlerische Leiterin und Projektkurator von Schloss Ringenberg nur zu gut. Aus diesem Grund werden hier jährlich 6-12 monatige Stipendien an KuratorInnen und KünstlerInnen aus der BRD und den Niederlanden vergeben, die deutlich dazu auffordern, sich zusammen zu schließen, nicht im eigenen Sud zu köcheln.
„Wir glauben daran, Erlebnisse und Erfahrungen haben zu dürfen, die nicht nur darauf abzielen, die Aufmerksamkeitsmaschine anschmeißen zu wollen“, sagt Marcus Lütkemeyer. Deshalb auch ist ein hoher Grad an Eigenständigkeit und Selbstorganisation im Schloss gefragt. Keine Köchin bekocht die Anwesenden, und keine Hausdame sorgt für frische Wäsche. Als künstlerisches Leitungs- und Organisations-Duo bilden Bott und Lütkemeyer seit Jahren ein eingespieltes Team, das sich jedoch nicht als „Herbergs-Eltern“ sieht. Vielmehr sehen sie ihre Aufgabe darin KünstlerInnen und KuratorInnen jene Praxen zugrunde zu legen, die dann draußen – im Getümmel eines kontingenten Marktgeschehens – erfolgreiche Anwendung finden sollen. Praxen, die unerlässlich sind, will man als Akteur wissen, wie man im Dschungel des Kunstmarkts besteht.
Schloss Ringenberg ist alles andere als bloße institutionelle Preisvergabe-Stelle. Es ist mithin nicht einmal institutionell verankert: Das Schloss gehört seit knapp 30 Jahren der Stadt Hamminkeln und die lässt hier lobenswerterweise beispielhaftes zu. Die auf zwei bis drei Jahre angelegten Kooperationsprojekte von Schloss Ringenberg werden auf Basis der Derik-Gaebert-Stiftung mit Europamitteln finanziert. Damit das so bleibt, ist neben dem Knowhow zur künstlerischen Programmatik auch und insbesondere Wissen über Akquise von Fördergeldern gefragt. Praktisches Wissen, das an die StipendiatInnen zurück fließt, die dadurch zukünftig zur Hoheit über ihre Produktionsmittel und –bedingungen gelangen sollen.
Partizipation lautet das Ziel, die Programm-Dichte ist entsprechend hoch: Binationale Kuratorenplattformen flankiert von Programmen, die – anstatt nur akademische Diskurse zu verlängern – ins Feld der Handlung führen, die spekulativ und aktionistisch sein dürfen und dadurch Effekte stimulieren können. Die Namen solcher Programme klingen nach Methode und sind klare Reaktionen auf die sich lange bereits ausweitende Prekarisierung des Berufs KünstlerIn: PLUGIN oder FOLLOW UP heißen sie und beinhalten Kooperationen mit wichtigen Museen, Kunsthallen, Kunstvereinen im Rheinland und den Niederlanden. Die Stipendiaten sollen sich austauschen, Kontakte knüpfen, weitgreifende praktische Erfahrungen sammeln. Ein eindrucksvoller Pool an Partnern in der Region ist so entstanden.
Abschluss-Ausstellungen im Schloss und der Region sind obligatorisch und helfen dabei, dass die Abwicklung von Projekten immer auch zu internen Erkenntnissen führt. Auch im Schloss selber und darüber hinaus sind Begegnungen und lebensweltliche Nähe durchaus erwünscht. Exkursionen in die nahen Niederlanden – Bott und Lütkemeyer sprechen fast liebevoll von „Klassenfahrten“ – aber auch innerhalb NRW`s, sind durchaus verbindlich, ebenso die sogenannten Schloss-Tische, Zusammenkünfte, bei denen jeweils ein Anderer eingeladen ist, über den Stand seiner Dinge im Prozess zu berichten.
Was ist Erfolg? Im Fall der „Ringenberger“ ist es die über allem stehende Praxis der Teilhabe, die nicht nur die je aktuellen StipendiatInnen, sondern selbst die Alumnis in einer fein entwickelten Nachbetreuungs-Struktur in aktuelle Projekte einbindet. „Netzwerke von kurzen Wegen bilden sich nur da, wo nach vorn gegangen wird,“ davon sind Bott und Lütkemeyer überzeugt. Zu bestehen im Hinblick auf die Erwartungen des Marktes ohne die eigene Seele zu verkaufen, darum geht es auf Schloss Ringenberg. Und natürlich darum, zu Befördern, Erproben, dazu anzuhalten, etwas zu riskieren.
In diesem Jahr darf das z.B. Katharina Veerkamp (*1986), noch 2015 Caspar-von-Zumbach-Preisträgerin und Teil der Künstler-Ateliergemeinde der Cité Internationale des Arts Paris, die mit ihren Untersuchungen den Bedingungen unserer Sinneswahrnehmung zuleibe rückt und wissenschaftliche Erkenntnisräume sinnlich fassbar macht; ihr eigentlicher Werkstoff ist häufig das Photon, in dessen Wirkraum sie Objekte setzt, die in Korrespondenz zu den Koordinaten unseres Sinnes-Apparates treten. Veerkamp ersinnt Objekt-Anordnungen, die in direkter Weise Phänomenen an der Schnittstelle von Täuschung und wirksamer Wirklichkeit Denkmäler bauen. Noch bis Juni betreibt Veerkamp ein Experiment, das in eine auf einem Sockel ruhende geometrische Form mündet, die in Anlehnung an einen Brillantschliff aus 57 Facetten gebildet ist. Die Oberfläche dieses Gips-Objekts hat Veerkamp mit einem dunklen Interferenz-Lack bestrichen, den sie direktem Lichtbeschuss aussetzt. Betrachtet man in einem auf der anderen Seite platzierten Spiegel nun das Spiegelbild des lichtbeschossenen Facetten-Objekts, wird Farbe in vielfältigen Nuancen und Übergängen unmittelbar physisch erfahrbar. Dergestalt interessieren die Bildhauerin die Themenfelder sensuelle Illusion, Wirklichkeit im phänomenologischen Sinn und so bringt sie die Betrachter-Wahrnehmung ihres Werks in Interaktion mit dem Raum und den in ihm ruhelosen Photonen.
Der junge niederländische Künstler und Mitwelt-Forscher Bram Kuypers (*1989) überträgt mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – von Mixed-Media-Installationen oder Performance über Fotografie und Video bis zum klassischen Zeichenstift – lebensweltliche Szenarien in neuartig kombinierte Sinn-Zusammenhänge. Seine sozialen Ein-Mann-Skulpturen z.B. seiner #Intervention tracks (2014/15) sind Beispiele wunderbarer Falsifikations-Anordnungen gegenüber seinen eigenen apriorischen (Vor-)Urteilen durch interaktive Interventionen zur Erforschung menschlichen Zusammenhalts. Kuypers, der mit Ringenberg bereits die achte Stipendiaten- bzw. Workshop-Einladung erhält, interessieren aktuell mögliche Übersetzbarkeiten von Aspekten bestimmter Landschaften als sich ständig verändernder (sozialer)Felder. Dabei umfassen auch auf Schloss Ringenberg die zur Anwendung kommenden Werkstoffe seiner Experimente ein breites Spektrum: Holz-Findlinge, die eingefärbt und neu arrangiert werden, Zeichnungen von Flugzeugen, die den Himmel durchkreuzen oder Videos von sich an der Geometrie seiner dunklen Zimmerwände verlierenden Autoscheinwerfern. Dies ist der Output eines hellwachen Akteur-Geistes, der sich seine Umwelt als künstlerische Mitwelt neu aneignet und Wiederaneignung nicht zuletzt durch Selbstvergewisserung betreibt.
Die Phänomene um Werden und Vergehen, die Suche nach den Auren der Dinge, die Fragen nach dem, was übrig bleibt: Das sind die geistigen Sujets, denen der Bildhauer Ben Greber auf Schloss Ringenberg nachgeht. Greber (*1979) ist u.a. für seinen bildhauerischen Ansatz bekannt, der die prozessuale Skulptur – die Verbundenheit des Werks mit seiner Zeitlichkeit – als narrativen Ansatz in den Fokus nimmt. Greber spielt ein grob entropisches Spiel mit dem Maß der Unkenntnis atomarer Zustände, wenn er Prozessen des Verfalls durch einen bewusst wenig zimperlichen Umgang mit seinen Skulpturen zuarbeitet und sie somit von Ausstellung zu Ausstellung mehr und mehr zu verlorenen Formen werden lässt (#Mary Star Of The Seas, 2011/12). Zeit und die beiläufig zerstörerischen Spuren, die sie im Raum hinterlässt, sind wichtige Bestandteile seiner Arbeit. Als GWK-Förderpreisträger hat er dies zum Jahreswechsel 2011/12 im Marta Herford mit einigen seiner Arbeiten präsentieren dürfen. Auf Schloss Ringenberg erlebt Greber nun eine weitere Entwicklung von einer abstrakt-minimalistischen zu einer noch stärker formalistischen Position. Während er mit 30 Siebdrucken experimentiert und modelliert, übersetzt Greber, der ihm eignende Formate und Formen im Rekurs auf seine Materialsprachen immer meisterlicher zu variieren versteht, weiter die Bestaunung des Unnahbaren, das allen Dingen beiwohnt.
Die junge Kuratorin Lena Reisner (*1987) schließlich, die eines von vier KuratorInnen-Stipendien für das Jahr 2016 ergattert hat, arbeitet auf Schloss Ringenberg an einem bislang eher „seltenen Vergnügen“, wie sie im Gespräch humorvoll verrät. Sie wird ab dem 20. Mai eine von ihr kuratierte Gruppenausstellung im Westfälischen Kunstverein Münster zeigen: Creatures of the Mud möchte das Verhältnis des Menschen zu anderen Tieren und Pflanzen auf dem Planeten Erde untersuchen und dabei eine kritisch-hinterfragende Haltung hinsichtlich des Anthropozentrismus einnehmen. Ihr kuratorisches Anliegen ist dabei, „nicht nur auf die Kunst zu schauen, sondern durch die Kunst den Blick zu schärfen für kulturelle Phänomene und jene Lebenswelten, die uns nicht zuletzt auch zur Kunst inspirieren“. Um das zu erreichen, projektiert Lena Reisner ihre Zusammenarbeit u.a. mit Liza Dieckwisch (*1989) einer aktuell ebenso auf Ringenberg lebenden Künstlerin, deren Arbeiten aus einem starken subjektiven Binnenraum entstehen und dabei – obgleich sie keine Leinwände bespielt – mit einem deutlich malerischen Gestus versehen sind. Internationale KünstlerInnen wie Madison Bycroft, Tue Greenfort, Mehreen Murtaza und – ungewöhnlich allenthalben – die ungarische Gärtnerin Gabo Bartha, werden neben Dieckwisch in Münster in diesem dialogischen Feld ihre Positionen in den konzeptuellen Kontext Lena Reisners stellen. Die Ausstellung Creatures of the Mud wird ab dem 21. Mai bis zum 03. Juli 2016 im Westfälischen Kunstverein Münster zu sehen sein.
Stipendiaten Schloss Ringenberg 2016
Künstler: Liza Dieckwisch, Ben Greber, Damaris Kerkhoff, Bram Kuypers, Katharina Veerkamp
Kuratoren: Lena Reisner und Joram Kraaijeveld – Natalie Keppler und Inez Piso