Lars Breuer
Julius Tambornino über den in Köln lebenden Künstler Lars Breuer
Als das Aachener Ludwig-Forum Lars Breuer im Jahr 2011 anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums um ein dauerhaftes Kunstwerk für ihr Obergeschoss bat, konzipierte der Künstler ein repräsentatives Werk, dem in seiner Wirkungs-Strategie etwas Paradoxes anhaftet: Es ist in seiner Erscheinung von verführerischer formaler Schlichtheit. Auf der Sinnebene aber beinhaltet es zwei komplexe Kommentare. Der eine befasst sich mit der ganz spezifischen Historie des Museumsgebäudes. Der zweite implizite Kommentar ist allgemeinerer Natur und zielt auf unser kompliziertes Verhältnis zur Vergangenheit und insbesondere zur Geschichte unserer Kultur ab.
Dieser wird erst in dem Moment lesbar, in dem man die Titel der zweigeteilten Arbeit einbezieht: Breuer nannte das monumentale Wandgemälde, das er in der Loggia des Museums anfertigte, Zero History, wies damit hin auf die Bezugslosigkeit alles Neuen und stellte das Gemälde damit in direkten Kontrast zu seiner Umgebung, aber auch zu dem vom „Geist der Geschichte“ getragenen zweiten Teil seiner Arbeit, in dem Breuer den Schriftzug Esprit Historique mit einer dokumentarischen Auswahl ortsspezifischer Fotografien und Gemälde verband. Mittels dieser Konfrontation auf einer literarischen Ebene gelingt Breuer ein Denkanstoß, der dem Künstler selbst immer als zentraler Baustein seiner Arbeit dient, und der uns als Betrachter seiner Kunst auf faszinierende Art und Weise weit in eine Auseinandersetzung trägt: Wie transformieren sich die Produkte unserer Kultur, wenn sie in neue Kontexte geraten? Und wie sollte das Verhältnis zwischen Innovation und der Re-Interpretation bestehender Ideen für einen aktuellen Künstler sein? Besonders für einen jungen Zeitgenossen wie Lars Breuer ist diese weitreichend theoretisch begründete Arbeitsweise bemerkenswert, in ihr liegt der besondere Reiz seines komplexen Werkes.
Breuer wurde 1974 in Aachen geboren und studierte zwischen 1995 und 2001 zunächst an der Kunstakademie Münster, seit 1996 schließlich freie Kunst an der Kunstakademie in Düsseldorf als Meisterschüler von Gerhard Merz. Zwischen 1997 und 2003 absolvierte er ebenfalls in Düsseldorf zudem ein Magisterstudium der Philosophie und Kunstgeschichte. Heute arbeitet er in erster Linie von seinem Kölner Atelier aus. Mit dem Blick auf seine Arbeit im Zeitraum seit Ende des Studiums in Düsseldorf fällt schnell auf, dass sich Breuers Schaffen schon ungewöhnlich früh auf gewisse stilistische Grundpfeiler festlegte. Sein Werk erscheint uns auch deshalb so homogen, weil es vor allen Dingen zwei formale Kennzeichen gibt, die besonders charakteristisch sind und von denen sich immer mindestens eines zeigt: Es ist zum Einen die diagonale Linie, die sich in Breuers Arbeiten zu geometrischen Kompositionen addiert. Zum Zweiten ist es der monochrome Kontrast, der sich in fast allen Werken zeigt, und der ihnen oftmals die Kraft und das Verführerische einer Parole verleiht, ganz gleich ob es sich dabei um eine Schriftarbeit auf Tafel oder Wand, eine Fotografie oder eine rein formale Arbeit handelt.
Einher mit Breuers persönlicher Entwicklung zu einer sehr klaren stilistischen Linie ging die Gründung der Künstlergruppe Konsortium, in dessen Rahmen er gemeinsam mit Sebastian Freytag, Guido Münch und zeitweise Jan Kämmerling etliche und viel beachtete Gemeinschaftsprojekte realisierte und in Düsseldorf über Jahre einen Ausstellungsraum betrieb.
Das Konsortium folgte von Beginn an einer sehr ausgeprägten konzeptuellen Linie. In direktem Bezug auf die Utopien der künstlerischen Moderne arbeiteten sie mit radikal abstrakten Positionen an einem Gegenentwurf zur zwanghaft konkreten und erzählerischen Tendenz in der zeitgenössischen Kunst der Neunziger Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends. Die Abstraktion und die Betonung ihrer modernistischen Abstammung reichte bis in fotografische Inszenierung und eine uniforme Kleidung, die der Kunst in Sachen formaler Reduktion in nichts nachsteht. Um Breuers Werk als Einzelkünstler zu begreifen ist es auch deshalb wichtig, die Gruppe einzubeziehen, da die provokative Stringenz mit der sie sich der Abstraktion verschrieb, auf Breuer nicht vollständig übertragbar ist. In seinen künstlerischen Entwürfen finden wir durchweg eine durchaus kritische Auseinandersetzung mit einem ästhetischem Idealismus – dies wird nicht zuletzt deutlich durch die weite Offenheit seiner Aufgriffs-Strategien im freien Feld der Kunstgeschichte. Im Sommer 2013 bewegte sich Breuer als Einzelkünstler schließlich mit einer vollständig inhaltlich orientierten und an Aktualität kaum zu überbietenden Ausstellung zum Thema staatlich gelenkter, militärischer Geheimoperationen in der Münchener Galerie Esther Donatz gar in weite Entfernung der Ideale des Konsortiums.
„Kunst entsteht nie aus dem Nichts“ meint Lars Breuer. Denken wir diese Auffassung selbstständig weiter, so ließe sich in einem nächsten Schritt sagen, dass die Entscheidung, die ein Künstler diesbezüglich zu treffen hat, ausschließlich die Frage betrifft, ob er das bereits Vorhandene als Ballast versteht, oder als Arbeitsmaterial, das ihn befähigt, ein im engsten Sinne verständliches Werk zu schaffen, und das heißt zunächst einmal, dass etwas ins Werk gelegt ist, auf das sich unser Verstand richten und an dem er sich ausprobieren kann. Bei Breuer aber wird die Verständlichkeit immer wieder zum eigentlichen Thema der Kunst: Denn sie liegt gut versteckt hinter bildlichen Rätseln, für deren Lösung wir mitunter Jahrhunderte zurückgehen müssen. Sein Werk gewinnt in zunehmender Auseinandersetzung immer weiter an Kraft, denn die meisten Ideen, Formen und Materialitäten tauchen stets konstant hier ab, und da wieder auf, und durchdringen sich in einem ständigen Spiel der Konfrontation miteinander.
Das Zitat als Emblem: Motorradlärm
Besonders deutlich wird dies über die Beschäftigung mit einem Motivspiel, dass Breuer der Arbeit eines Futuristen entlehnte, und das sich durch seine ständige Widerkehr im Werk Breuers selbst füttert.
2001 entwarf der Künstler eine Komposition aus einem klar strukturiertem Formengebilde in unterschiedlich reflektierenden Silbertönen auf einer groben, unbehandelten Leinwand. Breuer isolierte hierzu den visuellen Stellvertreter des Lärms aus Giacomo Ballas Forme rumore di motocicletta (Formen und Geräusche des Motorrads). In der Folge tauchte der Motorradlärm in Breuers Austellungs-Installationen immer wieder auf. Die isolierte Form variierte er hierzu in einer doppelten Verschiebung ihrer inneren und ihrer äußeren Umgebung. 2005 integrierte Breuer seinen Motorradlärm in eine seiner monumentalen Wandmalereien und gab ihm auf diesem Weg ein Stück seiner ursprünglichen Umgebung zurück, nur um ihn zwei Jahre später im wahrsten Sinne des Wortes plakativ auf schwarzem Grund in die Leucht-Werbekästen des Düsseldorfer Stadtgebiets zu verbannen – was gleichermaßen die größtmögliche Öffentlichkeit und die größtmögliche Entwurzelung bedeutete. Als der Motorradlärm 2010 schließlich in strahlendem Grün auf schwarzer Leinwand entstand hatte er sich ganz zum Emblem gewandelt. Breuer hatte behutsam die Transformation eines kunsthistorischen Zitats zu einem öffentlichkeitswirksamen Markenzeichen begleitet, und vollzog damit in kritischem Bewusstsein einen Vorgang, der für unser Verhältnis zur Bildwahrnehmung in der modernen Konsumgesellschaft repräsentativ ist. Gleichzeitig zitierte er damit in Umkehrung eine Erkenntnis und die entsprechend nachfolgende Praxis der in diesem Kontext vielleicht folgenreichsten Kunstbewegung des letzten Jahrhunderts – der Pop-Art. Ein dritter Parallelismus liegt schließlich im Bezug zwischen Breuers Arbeit und den gesellschaftshistorischen Hintergründen dessen, was ihm in diesem Fall als ideeller Steinbruch diente: Während die Futuristen bedingungslos an eine neue Schönheit durch den technischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Umbruch glaubten, erscheint dies aus heutiger Perspektive erschreckend naiv – auch im Hinblick auf die Rolle der Kunst: Breuers Transformation scheint deshalb auch einen Richtungswechsel der Perspektive zu implizieren: Nicht die Ideen der Kunst prägen maßgeblich die Vorgänge der Gesellschaft, sondern umgekehrt – das Bild, seine Entstehung und seine Wahrnehmung, hängen unweigerlich ab von der gesellschaftlichen Realität, und die ist, dieser Eindruck hat sich vor allem im letzten Jahrhundert massiv gefestigt, meistens nicht ideell sondern funktionalistisch.
Abstraktionen und das Diffuse: Das Reich der Flora und Esprit Historique
Hatte Breuer zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn noch öfters mit Fotografien gearbeitet, rückte diese Vorliebe im Laufe der Jahre immer weiter in den Hintergrund. Anlässlich einer Ausstellung in der Kölner Temporary Gallery im Jahr 2011 jedoch drängte sich dieses Element erneut nach vorne: Breuer zeigte eine Serie schwarz-weißer Fotografien sturmgeschädigten Fichten aus dem Wittgensteiner Land, die er über einen Zeitraum von drei Jahren anfertigte.
Parallele Gültigkeiten
Tritt man einen Schritt zurück, und betrachtet Breuers bisherige Arbeit im Gesamten so zeigt sich, dass das Prinzip der Konfrontation in jüngerer Vergangenheit immer wichtiger wurde:
Eine ganz junge Arbeit aus diesem Jahr, die Lars Breuer in der Galerie Kant in Kopenhagen in einer Einzelausstellung gezeigt hat, besteht aus zwei Leinwänden. Die eine zeigt eine Standfigur der Viktoria aus den Händen des klassizistischen Bildhauers Christian-Daniel Rauch. Die andere Leinwand enthält ein für Breuer charakteristisches Formenspiel aus schwarzen und weißen Dreiecken. Unmittelbar wird klar, dass sich die lebendige Form der Statue auf formale Weise im Abstrakten wiederholt – so verknüpft Breuer zwei Ideen, die sich eigentlich ausschließen. Denn Breuer zitiert in der Formgebung die abstraktiven Mittel der Avantgarde. Sein Ursprungsmotiv – die Viktoria – ist aber ein Werk des Klassizismus, gefertigt nach dem Vorbild antiker Bildhauerei. Die ideologischen Vorzeichen beider hier konfrontierter Epochen, könnten also kontrastiver nicht sein, trifft hier doch das Innovations-Paradigma der Moderne auf die Parade-Epoche einer reaktionären Kultur. Doch in Breuers Entwurf stehen sie versöhnt als gleichberechtigte Zeugnisse nebeneinander und bilden im Werk des Künstlers als Einheit das Prinzip Innovation ab.
Dieses Arrangement der Koexistenz steht stellvertretend für Breuers anspruchsvolle und faszinierende Arbeit, die stets von der Gleichberechtigung parallel gültiger Zeichensysteme ausgeht.
Wenn wir Lars Breuers Werk in Anbetracht dessen als Paradebeispiel einer Geisteshaltung bezeichnen, die ohne den postmodernen Diskurs nicht denkbar gewesen wäre, werden dann unsere Jetztzeit und seine künstlerischen Produkte im Allgemeinen greifbarer? Die Tatsache, dass Breuers Arbeit einen mit einer solchen Frage zurücklässt, zeugt von seiner großen Stärke.
Julius Tambornino ist freier Autor, lebt und arbeitet in Köln.