Besprechung
Based in NRW


»Localhost« – Internationale Künstler in/aus NRW Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster, 18. Juni bis 18. September 2011

 

Dass sich das renommierte Kunstmagazin Frieze gerade entschlossen hat, einen deutsch / englischsprachigen Ableger herauszugeben und damit nicht nur der Metropole Berlin, sondern explizit auch den vielen anderen Kunstzentren im deutschsprachigen Raum ein eigenes Format widmet, lässt sich als Indikator für zwei einander bedingende Phänomene deuten:

Zum einen für die bereits vollzogene Auflösung der geographischen Unterscheidung von „Provinz“ und „internationaler Metropole“. Durch die hohe Mobilität gibt es an jedem Ort alles. Provinzialität findet sich ebenso in der Hauptstadt; und was die Internationalität der Künstler und den Standard der Ausstellungen betrifft, so unterscheiden sich die Haupt- und Nebenzentren hier in nichts als ihrer Dichte. Zum anderen richtet sich, wenn Internationalität überall zu finden ist, der Blick desto stärker auf das Lokale, das Besondere und mit der eigenen Persönlichkeit emotional Verbundene: die kulturelle Identität.

Ähnliche Überlegungen mögen die drei Kuratoren Jari Ortwig, Arne Reimann und Joanne Dijkman umgetrieben haben. Ihre Ausstellung „localhost“ betrachtet die Kunst im Lichtkegel der durch Internet und Globalisierung veränderten Arbeitsbedingungen. Dank der an jedem Punkt der Erde und zu jeder Zeit unterschiedslos verfügbaren Kommunikationsmedien scheint die Frage des Aufenthaltsortes obsolet. Andererseits schätzen die Künstler nach wie vor ein überschaubares Bezugssystem am bevorzugten Aufenthaltsort mit seinen spezifischen Kernkompetenzen, Künstlerförderungen, Lebens- und Arbeitszusammenhängen. Auch Münster zählt mit seiner Akademie und der hervorragenden Ausstellungspraxis zu den international führenden Kunststandorten.

„Localhost“ geht der Frage nach, wie sich Künstler inmitten dieser Internationalität mit ihrer eigenen Identität positionieren. Im Zentrum stehen die Wechselbeziehungen zwischen einer im Ausland erfahrenen Sozialisation und den Gegebenheiten des aktuellen Wohnortes NRW. Ausgewählt wurden zwölf in Nordrhein-Westfalen lebende Künstlerinnen und Künstler, deren Auseinandersetzung mit politischen, ethischen und ästhetischen Fragestellungen sich gerade im Spannungsfeld einer fremden Kultur entwickelt. Die Ausstellung soll zeigen, „dass kulturelle Identität in diesem Zusammenhang nicht länger als Konstante räumlich eingrenzbar und verhandelbar ist. Vielmehr wird in der AZKM ein Identitätsbegriff erlebbar, der sich als Passage begreift für wechselhafte Prozesse, deren Dynamik von den künstlerischen Arbeiten ebenso geprägt wie verbildlicht wird.“

 

Naturgemäß und glücklicherweise nehmen diese Prozesse ganz unterschiedliche Formen an. Nicht alle beteiligten Künstler umkreisen die Frage der kulturellen Identität so direkt wie Marianna Christofides, die 1980 in Nikosia geboren wurde und sich in verschiedenen Werkkomplexen mit ihrer zypriotischen Heimat auseinandersetzt. Ihre Videoprojektion „dies solis. Sonntage in Nikosia“ ist ein Film über indische Fremdarbeiter, die eine ethnische Minderheit Nikosias darstellen und an den Sonntagen bestimmte Straßen und Plätze in ein buntes, folkloristisch anmutendes Bild verwandeln. Die besondere poetische Qualität Christofides´ sorgt dafür, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion für den Betrachter wie für die Protagonisten im Film selbst zu verschwinden scheinen. Wie viele ihrer Kollegen hat sie während ihrer Ausbildung vor dem Wechsel an die KHM in Köln andere europäische Kulturzentren kennengelernt; in diesem Fall heißen die Stationen Athen und London. Die Künstler können nicht nur auf einen differenzierten Erfahrungshorizont zurückgreifen, sondern beherrschen die an den Akademien vermittelte internationale Formensprache.

Thea Gvetadze (geb. 1971) begann ihre Ausbildung in der georgischen Hauptstadt Tiflis, bevor sie nach Amsterdam und später nach Düsseldorf an die Akademie wechselte. In ihrer von Traumbildern und dunklen Anspielungen durchdrungenen Malerei spielen die Ästhetik und bildhafte Erzählstruktur der georgischen Kultur eine große Rolle. Die Malerei erscheint als Projektionsfläche übermächtiger, aber untereinander verfeindeter, um Aufmerksamkeit ringender Bilder. Die gemalte Collage bietet sich an als adäquater Ausdruck einer teils zerrissenen, teils komplexen, mehrfach konnotierten Identität. Subjektivität zeigt sich in der individuellen Mischung der kulturellen Codes. Dies trifft auch zu auf Kiron Khosla (geb. 1967 in Kalkutta). Khosla hat indische und irische Wurzeln, studierte an der St. Martin´s School of Art and Design in London, lebte jahrelang in Malaysia und arbeitet heute in Köln. Bei ihm handelt es sich um eine von Witz und dem smarten Touch des Kenners geprägte Gemengelage, die östliche und westliche Repräsentationsformen so verbindet, dass sie sich gegenseitig aufheben. Das Ingres-Zitat der Gorilla-Girls wird von ihm nochmal zitiert und auf zwei tumbe Bauerngestalten Breughel´scher Provenienz losgelassen – eingebettet in den Pseudo-Habitus billiger chinesischer Druckgrafik. Khosla gelingt die Einebnung der disparaten Elemente dank seiner meisterlichen Malerei, die auch schon mal realistisch gemalte Portraits einbezieht. In „How´s your glass?“ darf man seinen Galeristen Christian Nagel im milden Glanz süßlicher Bollywood-Ästhetik bewundern.

 

Die gebürtige Amerikanerin Rita McBride (geb. 1960) ist nach Stationen in Kalifornien, New York, Portugal, Madrid, Rom, Paris, Berlin und München seit 2003 Professorin für Bildhauerei in Düsseldorf. Sie nimmt den Begriff „localhost“ wörtlich und macht ihre eigene Arbeit zur interaktiven Oberfläche, an der sie andere Künstler teilhaben lässt. Ihre mit Gewichthebergurten verspannte Konstruktion „General Growth (Stage 1)“ lässt sich ohne die daran festgemachten sozialen und künstlerischen Beziehungen gar nicht wahrnehmen. Ein großer Abschnitt wird von Alexej Koschkarows Arbeit „Waschbecken an Café Achteck“ eingenommen, dessen sattes Froschgrün mit dem auskragenden Muschel-Waschbecken die Wirts-Skulptur überformt. Bei McBride sind die Grenzen zwischen den Künstlern nicht mehr lokalisierbar. Die Übergänge sind fließend wie die zwischen den Gattungen, den Ländern und Identitäten. Auch Diango Hernández (geb. 1970) verhilft einem weiteren Künstler zu einem unverhofften Auftritt. Mitten im Raum schwebend, bilden etwas verstaubt wirkende, kleine gerahmte Bilder das Gegengewicht zu Hernández´ eigener Installation aus funktionsentleerten Sendern und Empfängern. Hernández lebt in Düsseldorf, wo er sich intensiv mit seiner kommunistischen Heimat Kuba befasst. Die futuristisch-zeichenhaften Kompositionen seines Landsmanns Blanco Lopez weisen eine verblüffende Ähnlichkeit mit den abstrakten Innenschauen im Deutschland der 40er Jahre auf. Die Formensprache der inneren Emigration eines Künstlerlebens in der Diktatur kreiert ihren eigenen Internationalismus.

Eine ganz andere Form von Eskapismus betreibt der Kalifornier Owen Gump (geb. 1980), der an den Fotoklassen in Leipzig und Düsseldorf studierte und heute in Köln lebt. Seine hochwertigen Drucke, Schwarzweiß- und Farbfotografien transportieren die Sehnsuchtsorte der Medien in ein unerreichbares Zwischenreich zwischen Dokumentation und Fiktion, das gleich vor der Haustür beginnt. Es liegt nahe, die besondere Mischung aus amerikanischer und deutscher Fotografietradition als Hintergrund für die eigentümliche Melange aus kühler Distanziertheit und Romantik heranzuziehen. Dass solche kulturellen Spannungen äußerst produktiv sein können, beweisen auch die weiteren Beiträge: Die konzeptuelle Fotografie des Kanadiers Adam Harrison (geb. 1983), der bei Jeff Wall assistierte, bevor er sein Fotografiestudium an der Düsseldorfer Akademie aufnahm; die kruden Gipstransformationen des teils in Deutschland, teils in Rom sozialisierten Bildhauers Lorenzo Pompa (geb. 1962); oder die von einer Kindheit in Namibia beeinflusste Formensprache der Papierarbeiten und Röhrenobjekte von Jan Albers (geb. 1971).

 

Gerade wenn der Prozess der Akkulturation derart weit fortgeschritten ist, dass sich die verschiedenen Anteile kaum mehr auseinanderdividieren lassen, zeigt sich der von den Kuratoren konstatierte „Passagencharakter“ der kulturellen Identität am deutlichsten. Die verlassene Hausruine der Videoarbeit „Lokores“ von Danica Dakíc (geb. 1962 in Sarajevo, lebt in Düsseldorf) mag in Bosnien Herzegowina aufgenommen worden sein. Als Sinnbild der Gefährdung menschlichen Behaustseins siegt hier das Allgemeine über das Besondere. Die Arbeit von Suchan Kinoshita (geb. 1962 in Tokyo, lebt und arbeitet in Maastricht und Münster) eröffnet in ihrer Verbindung von Fragilität und Komplexität einen weiten Raum kultureller Bezüge, in dem sich Identität vor allem über die Kommunikation verhandeln lässt.

Interkulturelle Stimulanzen spielen immer schon eine wichtige Rolle bei der Erneuerung der Kunst. Die Ausstellung „localhost“ ist spannend, weil sie einen Eindruck davon gibt, wie sich trotz permanentem Transfer und „dynamischem Identitätsbegriff“ künstlerische Subjektivität herausbildet. Der 1959 in Los Angeles geborene Glen Rubsamen setzt sich als einziger kritisch mit der Frage kultureller Überformung auseinander. Unter dem Titel „The hosts and their guests, the guests and their hosts“ zeigt er poppige Plakate, auf denen die vermeintliche Landschaftsidylle mit einer artfremden Flora besetzt ist. In der eigens für die Ausstellung entwickelten Videoarbeit „Transplant“ stellt er das Arboretum für forstwissenschaftliche Studien im Staatsforst Burgholz im Bergischen Land vor. Hier werden sehr zum Bedenken von Naturschützern Baumsorten aus allen Teilen der Erde kultiviert, unter anderem auch Gelb-Kiefern aus Rubsamens kalifornischer Heimat. Der unaufgeregte Beitrag zur zivilisatorischen Überformung der Natur erzählt auf sehr sinnliche und unmittelbar einleuchtende Weise von der schützenswerten Einzigartigkeit lokaler Populationen.

Sabine Elsa Müller


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