TNoA – The Nature of Abstraction

TNoA – The Nature of Abstraction


Sabine Elsa Müller über „TNoA – The Nature of Abstraction“ im Kunstwerk, Köln, bis 17. Juli

Die Parallelen zwischen den sieben künstlerischen Positionen sind offensichtlich: Im Zentrum steht das Bild als klar begrenzte Oberfläche, die das räumlich und zeitlich sich auf ihr vollziehende Bildgeschehen vor allem als Prozess begreift und dies auch kenntlich macht. Malerei versteht sich hier als Austragungsort aufeinander bezogener Aktionen, in deren Wechsel von farbgesättigter wie transparenter, lichthafter wie verdichteter, vielfältig nuancierter Farbmaterie sich das malende Individuum in seiner Subjektivität wiederfindet, in maximaler Unterscheidung zu einer konzeptbasierten Herangehensweise.

Ausstellungsansicht (links: Max Frintrop, rechts: Jan Kolata)

Als kongenialer Mitspieler kommt die Natur mit ins Spiel. Der Titel „The Nature of Abstraction“ ist durchaus programmatisch zu verstehen. Die Suche nach dem wahren Wesen der Abstraktion ist das Mindeste, das die Künstlerinnen und Künstler vereint. Es geht aber um mehr. Denn es handelt sich nicht um irgendeine Abstraktion, sondern sehr konkret um die der gestischen Expression. Und hier wurde und wird die Natur gerne als eigentliche Schöpferin des Bildes, das sich gewissermaßen selbst malt, apostrophiert. Die Künstlerin oder der Künstler als Medium, die in Personalunion mit der Künstlerin Natur in einem Akt der Selbstaktivierung dem Bild zum Durchbruch verhelfen. In diesem Sinne spricht der Kunsthistoriker Horst Bredekamp in seiner „Theorie des Bildakts“ von der gestischen Malerei als „losgelassene Formen“, in denen „das Form- und Wirkgeschehen autonom ausagiert wird.“ (Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts, Berlin 2010, S. 316).

Jan Holthoff, No. 128, 2015, 190 x 150 cm, Pigment, Acryl auf Leinwand

Der Kurator Jan Holthoff, selbst Maler und flammender Vertreter einer neuen gestischen Malerei, beruft sich auf eine Wesensverwandtschaft mit der westlichen Nachkriegskunst, namentlich dem deutschen Informel, französischen Tachismus und amerikanischen Abstrakten Expressionismus´, die zwischen 1940 – 1960 zu einem großen Hauptstrom der westlichen Kunst zusammenflossen, bevor sie durch den Siegeszug der Konzeptuellen Kunst vollkommen ins Abseits gerieten. Frischer Wind regte sich in den letzten Jahren durch Ausstellungen mit fast oder vollkommen vergessenen Künstlerinnen und Künstlern wie Joan Mitchell, Hans Hartung, Lee Krasner oder Hans Hofmann, die das Terrain neu befruchteten, dadurch dass sie die Aufmerksamkeit auf das hohe bildimmanente Erregungspotential dieser Werke abseits der ausgetretenen Rezeptionspfade der Pollocks und de Koonings lenkten. Der 1977 geborene Kurator lenkt den Fokus auf das Freiheitspostulat der gestischen Malerei damals wie heute, das sich mit der Nobilitierung des Subjekts und der Suche nach Seinsvertiefung verbinde. In diesem Kontext feiert Holthoff die Geste als Signum einer Rebellion gegen das Erstarken von autoritären Strukturen und digitaler Verfügbarkeit.

Ina Gerken, Untitled (Bonfire), 2018, Acryl und Japanpapier auf Polyesterleinwand, 100 x 80 cm

Zur Unmittelbarkeit und kontrollierten Spontaneität des gestischen Ausdrucks gehört für Jan Holthoff die Umgehung jeder Art von sekundären Realitätsebenen wie sie Zitate und Verweise auf die Werke der Kunstgeschichte bieten. Die Kontaktaufnahme mit dem Bildsujet geschieht über die Körperarbeit. Holthoff holt die Landschaft in die Malerei über seine persönliche Erfahrung und eigenes Erleben, indem er die Landschaft durchwandert und in einem Transformationsprozess auf die Leinwand überträgt. Seine Bilder sind Momentaufnahmen eines Prozesses, der sich bei der Betrachtung vermittelt.

Ausstellungsansicht (Becker Schmitz)

Becker Schmitz, Untitled 1 (o.T.), 2020, Öl und Acryl auf Glas, 40 x 30 cm

Die biographische Gemeinsamkeit der vertretenen Künstlerinnen und Künstler ist durch ihre Verbundenheit mit dem Rheinland gegeben. Die Auswahl geht quer durch die Generationen, wobei keinerlei Gefälle in Punkto Frische und Aktualität zu verzeichnen ist. Der 1949 geborene Jan Kolata bringt ein ausladendes Querformat an die rückwärtige Kopfwand und weitet damit den Raum, nimmt die Energien der Ausstellung auf und bündelt sie in einer so bewegten wie achsensymmetrisch geschlossenen Arbeit. In Interaktion mit dem Farbmaterial trägt er mit breitem Pinselgestus Flächen auf und löst sie wieder ab, so dass darunter liegende Schichten von abgelagerten Farbsedimenten frei werden. Die zurückgedrängte Farbe bildet ein bewegtes Relief von Rändern und Strukturen, deren plastische Wirkung sich bei aller offenkundigen Materialität mit einem fotorealistischen Illusionismus verbinden kann.

Die Verwandtschaft mit geologischen Formationen lässt sich auch bei Max Frintrop,  geboren 1982, beobachten. Der Maler reagiert auf das selbständige Sich-Ereignen der Farbe. Im bewegten Bildgeschehen wachsen aus den verdichteten Pigmenthalligen zart ausblühende Pigment-Erosionen, die mit ihrer feinziselierten grafischen Struktur an fraktale Ordnungsmuster erinnern.

Sabine Tress, SOLEX, 2020, Acryl auf Leinwand, 160 x 120 cm

Sabine Tress, Jahrgang 1968, greift sehr viel stärker in das Bildgeschehen ein. Ihre fragilen Bilderzählungen entwickeln sich in einem spannungsgeladenen Dialog, bei dem immer wieder eruptive Entladungen in Form von schnell eingeschriebenen Chiffren, Linien und Textpassagen mit großzügig und flächig aufgetragenen Ausstreichungen und Beruhigungsfeldern wechseln. Die Direktheit der körperlichen Gestik findet in der emotional aufgeladenen Farbigkeit mit ihren haptischen Qualitäten in Form von glänzenden und manchmal wie gläsern wirkenden Lasuren oder schillernden Transparenzen ein adäquates Pendant.

Ausstellungsansicht (links: Sabine Tress, rechts: Max Fintrop)

Der Expansionsdrang dieser Arbeiten legt das große Format nahe. Besonders bei den Leinwänden der 1987 geborenen Ina Gerken scheinen die Farben, Formen und graphischen Kürzel regelrecht aus dem Bild heraus zu explodieren. Doch obwohl der entgrenzte Bildraum dem Blick keinen Ruhepol bietet und die Betrachtung eine permanente Sehbewegung herausfordert, gibt es doch auch auf diesen wirklich dramatisch bewegten Leinwänden ein geheimes inneres Gerüst, das sie zusammenhält und die rechteckige Fläche zum Bild macht. Sein Inhalt handelt von einem maximal ausagierten Freiheitsdrang in minimaler Distanz vor dem Sturz ins Chaos.

Laura Aberham, TanLines, 2020, Acryl auf Leinwand, 160 x 130 cm

Laura Aberham, geboren 1994, arbeitet dagegen fast harmonisch-ausgleichend. Die Grosse-Schülerin legt bewegte Schichten übereinander, so dass eine meditative Vertiefung und Verdichtung entsteht, in der sich immer wieder etwas zeigt und wieder verschwindet, an der Oberfläche auftaucht und wieder in die unteren Schichten zurückweicht, ungreifbar. In ihrer angedeuteten Räumlichkeit und Zeitlichkeit sind sie sowohl anwesend wie abwesend und scheinen ein Eigenleben zu führen. Auch hier geht es nicht um Zustände, sondern um Prozesse, die sichtbar gemacht werden.

von links nach rechts: Laura Aberham, Jan Holthoff, Ina Gerken, Laura Aberham

Schließlich kommt mit Becker Schmitz, geboren 1980, eine künstlerische Position hinzu, die aus der Graffiti-Praxis heraus einen sowohl performativen als auch partizipatorischen Ansatz entwickelt. Becker Schmitz verkoppelt seine Malerei mit der Projektion genau derselben Arbeit auf eben diese Malerei, so dass sich auf der Bildfläche das physikalische Licht mit dem optischen Licht mischt. Es bilden sich immer neue und andere Farbarrangements; unterschiedliche Farbverschiebungen und -Sättitungen führen zu einem permanent wechselnden Sinneseindruck. Hinzu kommt die Sensibiliät der Rezeptoren für akustische Signale, so dass die Anwesenheit der Betrachtenden einen direkten Niederschlag erfährt. Bild und Betrachtung bedingen sich gegenseitig und machen Malerei als Prozess, nicht als statische, unveränderliche Größe erfahrbar.

 

Artikelbild: Jan Kolata, 190.380.2021.01, 190 x 380 cm, 2021, Acryl auf Leinwand

 

 

 


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